von Kai Agthe
Wer die Schriften Friedrich Dieckmanns kennt, weiß, dass er nicht zur Euphorie neigt. Wenn der Berliner Publizist aber den Architekten am Hofe August des Starken und Baumeister des Dresdner Zwingers einen „genialen Schöpfer“ nennt, ist das Urteil auf die Unze abgewogen. Der Bekanntheitsgrad von Daniel Matthäus Pöppelmann steht freilich im krassen Gegensatz zur Bedeutung jener barocken Architektur in Sachsen, zu der er die Entwürfe lieferte. Das zu erläutern, ist Friedrich Dieckmann – der einerseits ausgewiesener Architekturkritiker ist und andererseits prägende Kindheitsjahre in Elbflorenz verbrachte – genau der richtige Cicerone. Nach Richard Wagner – über den er soeben den Band „Das Liebesverbot und die Revolution“ im Insel-Verlag veröffentlichte – ist Pöppelmann die zweite Gestalt der Dresdner Geschichte von singulärer Gestaltungskraft, über die Friedrich Dieckmann nun in Buchform reflektiert.
In dem fulminanten Essay „Pöppelmann oder Die Gehäuse der Lust“ stellt uns Dieckmann das über Jahrzehnte in Dresden und dem übrigen sächsischen Königreich entstandene Werk des 1662 in Herford geborenen und 1736 in Dresden gestorbenen Architekten vor. Erschienen ist der Text in Verbindung mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen im Sandstein-Verlag. Nomen est omen. Denn das Baumaterial, aus dem auch der Zwinger erwuchs, ist eben jenes Gestein. Wir spazieren mit dem Autor durch den Zwinger, beugen uns mit ihm im Kupferstichkabinett über alte Stiche, bestaunen die Porzellansammlung, halten vor dem heutigen Hotel Bellevue inne, dem ein Pöppelmann-Entwurf zu Grunde liegt, und verlustieren uns auch im Schloss Pillnitz.
Ein Vorzug dieser Darstellung ist nicht allein die gut nachvollziehbare Beschreibung und Deutung der Pöppelmann-Architektur, sondern auch deren Einbindung in die Zeit, welcher August der Starke – der sich nicht nur wegen seiner Körperkraft als „Hercules Saxonicus“ bezeichnete – als Kurfürst von Sachsen und König von Polen seinen Stempel aufdrückte. Was Pöppelmann realisierte, geschah im Auftrag seines Herrschers. Diese Bauwerke waren auch dann staatstragende Architektur, wenn sie, wie die Schlösser Moritzburg und Pillnitz, vor allem die Funktion von Jagd- und Festsitzen hatten, also als „Gehäuse der Lust“ dienten. So gelang Pöppelmann mit seinen Entwürfen, was heutige Regierungssitze – ob sie nun wie das Berliner Kanzleramt als „Waschmaschine“ verspottet werden oder nicht – durchaus vermissen lassen: „Was sich von 1711 an“, so notiert Friedrich Dieckmann, „auf dem Zwingergelände bildet, ist eine Staatsarchitektur nicht einschüchternder, sondern nahebringender Art.“
Dazu trägt auch der Bauschmuck erheblich bei. Durch seine 698 Skulpturen kann der Zwinger als größte plastische Bauaufgabe des 18. Jahrhundert in Deutschland gelten. Verantwortlich für das Figurenprogramm war mit Balthasar Permoser ein Bildhauer genialischen Zuschnitts.
Das Pöppelmann-Buch verfehlt seine Wirkung beim Architekturliebhaber nicht. Kaum ist man am Ende angelangt, möchte man es aufs Neue lesen, um sich abermals daran zu erfreuen, wie großartige Barockarchitektur von Friedrich Dieckmann formvollendet in Schriftsprache übertragen wird. In dieser bringt der Autor denn auch Daniel Matthäus Pöppelmanns Werk auf den kürzesten Nenner, in dem er es zuletzt als „eudämonischen Realismus“ bezeichnet. Und auf die rhetorische Frage, was unsere Zeit ihren Nachfahren hinterlassen wird, findet der Essayist diese Antwort: „Eine Menge Beton, können wir heute schon sagen.“ Die Bauwerke Pöppelmanns in Dresden und Umgebung jedoch wollen, so Friedrich Dieckmann, „ein Heil- und Hilfsmittel sein, das eigene Weltgefühl aufzufrischen und der Entsinnlichung zu wehren“.
Friedrich Dieckmann: Pöppelmann oder Die Gehäuse der Lust. Sandstein-Verlag, Dresden 2012, 95 Seiten, 15,00 Euro.
Schlagwörter: Barock, Friedrich Dieckmann, Kai Agthe, Pöppelmann