von Erhard Crome
Thomas de Maizière, der für das Kriegswesen dieses Landes zuständige Bundesminister, wollte mal wieder etwas zur Image-Pflege der ihm unterstellten Bundeswehr tun. So war für den 10. April 2013 an der Berliner Humboldt-Universität ein Vortrag des Ministers über den Beitrag der Bundeswehr zum gesellschaftlichen Zusammenhalt angekündigt. Als er dann in den Saal kam, riefen die anwesenden Studenten Sprechchöre, um den Minister am Reden zu hindern, bis er es schließlich aufgab. Universitätspräsident Jan-Hendrik Olbertz hatte gebeten, de Maizière doch reden zu lassen, war damit jedoch nicht durchgedrungen. Es fiel aus.
Nun war der Ort Berlin scheinbar gut gewählt. Es ist die Hauptstadt. Und an der „Alma Mater Berolinensis“ waltet zum Beispiel auch der Ordinarius Herfried Münkler, offiziell Professor für Theorie der Politik, tatsächlich der Vordenker imperialer Kriegsführungsfähigkeiten. Es ist schon interessant, dass die Protestierer gegen die Symbiose von Bundeswehr und Universitäten stets die Technischen Wissenschaften im Blick haben, die an waffentechnisch relevanten Entwicklungen herumforschen, und zuweilen entsprechende Proteste bekunden, die geistige Kriegsvorbereitung aber ausblenden.
Münkler hat gerade (Der Freitag, 8. April 2013) der Kampf-Drohne das Wort geredet. Die will de Maizière gern rasch anschaffen, um die militärischen Kapazitäten der Bundeswehr mit denen anderer NATO-Staaten gleichziehen zu lassen. Das ist jedoch selbst innerhalb der Christdemokratie umstritten und soll deshalb bis nach der Bundestagswahl ausgesetzt werden. Das Thema soll die Wahlkämpfe nicht stören. Münkler erklärte nun dem Freitag, Heldentum sei bei Nutzung der Drohne „nicht mehr an die Gleichverteilung der Tötungschancen gebunden“. Denn das könnten sich die westlichen Gesellschaften schon „aufgrund ihrer niedrigen Geburtenrate gar nicht mehr leisten“. Der Held unserer Tage sei der Bürokrieger. Die so genannten postheroischen Gesellschaften könnten sich auf Dauer den Begriff des Opfers nicht mehr leisten. Sie seien „religiös erkaltet“. Auch der Nationalismus stehe „nicht mehr als Opfergenerator zur Verfügung. Das Opfer ist nicht mehr ein Wert an sich, sondern nur noch ein Restrisiko.“ So werde die Vorstellung des Helden, der den Kampf auf Leben und Tod wagt, „ersetzt durch die des Spielers am Joystick. Die Paradoxie ist, dass der Spieler der verantwortlichere Akteur ist als der Kämpfer, der sich auf die Du-oder-Ich-Logik einlässt.“
So ist es für die postmoderne westliche Gesellschaft ungleich leichter, Kriege zu führen, wenn sie keine Truppen auf dem Boden hat. „Da findet dann“, so Münkler, „eine Kosten-Nutzen-Abwägung statt: Und die Bekämpfung von Partisanen oder Terroristen durch Drohnen aus der Luft ist für unsere Gesellschaften eindeutig kostengünstiger, als das lange und aufwändige Projekt einer Intervention auf dem Boden und der Versuch, eine Gesellschaft zu transformieren.“ So ist es den westlichen Gesellschaften ungleich leichter geworden, wieder Kriege zu führen. Münkler bestreitet zwar, „dass diese Gesellschaften geil darauf sind, Krieg zu führen“. Die drastische Zunahme von Kriegen seit dem Ende des Kalten Krieges, an denen der Westen beteiligt ist und in denen es um Rohstoffe, geopolitische Machtentfaltung, den Sturz missliebiger Regierungen und ähnliches geht, ist jedoch unverkennbar.
Dazu gehört die Gewöhnung. Man will die Bevölkerung auch dieses Landes an die Alltäglichkeit des Kriegführens gewöhnen. Deshalb viel Aufhebens, wenn „unsere Jungs“ aus Afghanistan wohlbehalten wieder im Brandenburgischen eintreffen, aber möglichst keine Regung angesichts der Joystick-Krieger. So ging der Protest gegen de Maizières Vortrag an die Wurzel des Übels. Mehrere Gruppen hatten in den vorhergehenden Tagen über das Internet zum Protest aufgerufen. Zu Beginn wurde der Minister in dem mit etwa 300 Studenten besetzten Hörsaal nur mit rhythmischem Klatschen und Sprechchören wie „Thomas, wir lieben Dich“ am Reden gehindert. Später gab es Parolen wie „Nie wieder Deutschland“, „Nie wieder Krieg“.
De Maizière meinte dann, die Aktion sei „Kein Zeichen von Stärke“. Oder doch? Es gab immer auch ein anderes Berlin. Hauptstädte werden gern als Symbole verwandt, für das Land, dem sie Hauptstadt sind. Aber die in der Stadt lebenden Menschen suchen sich das in den wenigsten Fällen selbst aus. Am 19. Januar 1871, dem Tage nach der Kaiserproklamation des preußischen Königs in Versailles, wurden in Berlin am Kriegsministerium Fahnen aufgezogen. Auf die erstaunte Frage von Passanten, ob denn etwas passiert sei, antwortete der Portier, nichts wäre passiert, nur der König sei Kaiser geworden. Für die Siegesparaden der aus Frankreich heimkehrenden Truppen hatten sich die Herrschenden drei Tage Feierlichkeiten ausgedacht. Am ersten Tage sollte der preußische Ministerpräsident und nunmehrige Reichskanzler Bismarck als „Schmied des Reiches“ einen triumphalen Empfang erfahren, am zweiten sollten die Heerführer Roon und Moltke gefeiert werden und am dritten Tage, sozusagen als Krönung des Ganzen, schließlich der Kaiser in die Stadt einziehen. Die Stadt Berlin aber, „immer bockig“, wie Bismarck dazu bemerkte, hatte dieses Programm „aus Kostengründen“ abgelehnt und Kaiser, Kanzler und Marschälle zusammen am 16. Juni 1871 begrüßt. Als die ersten Wahlen zum neu gegründeten Reichstag stattfanden, fielen die sechs Berliner Wahlkreise wie auch die beiden Wahlkreise in Potsdam und Umgebung an die oppositionelle Fortschrittspartei.
1878, als ihm die verschiedensten Staatsstreich-Gedanken durch den Kopf gingen, die von ihm selbst geschaffene Verfassungsordnung wieder zu sprengen, vermutete Bismarck in Berlin 50.000 Sozialdemokraten, die in der Lage sein könnten, die ganze Stadt lahmzulegen. Als Mittel dagegen erwog er eine deutliche Verstärkung der Garnison von Berlin. Vielleicht hätte man überhaupt die Reichshauptstadt an einen anderen Ort verlegen sollen? Ein paar Jahre später meinte Bismarck, dass er sich „vor Berlin“ graute. Kaiser Wilhelm II. ging es zeitlebens nicht viel anders. Vielleicht hatte er auch nur die richtige Vorahnung. Jedenfalls wurde er hier schließlich entthront; am Berliner Reichstag rief der Sozialdemokrat Scheidemann am 9. November 1918 die Republik aus, vom Schlossbalkon aus Karl Liebknecht die „Freie Sozialistische Republik“.
Den Nationalsozialisten nutzte es ihrerseits nicht viel, dass sie 1926 Joseph Goebbels, den späteren Propagandaminister Hitlers, als Gauleiter nach Berlin schickten. Bei den Wahlen zum Reichstag am 6. November 1932 wurden von den 2,78 Millionen gültigen abgegebenen Stimmen (Berlin hatte damals etwa 4,3 Millionen. Einwohner) lediglich 720.619 Stimmen für die NSDAP abgegeben (25,96 Prozent), aber 646.647 Stimmen für die SPD (23,30 Prozent) und 860.850 Stimmen für die KPD (31,02 Prozent). Auch bei den von den Nazis – bereits unter staatsterroristischer Gewaltanwendung – manipulierten Reichstagswahlen am 5. März 1933 hatten die beiden Arbeiterparteien zusammen immer noch deutlich mehr Wählerstimmen als die NSDAP. In Berlin jedenfalls ist Hitler nicht gewählt worden.
Auch die „neuen Herren“ hatten Probleme mit den Berlinern. Beispielsweise wählten sie in den 1990er Jahren immer wieder PDS. Bei etlichen Wahlen erreichte diese Partei in Ostberlin 40 Prozent der Wählerstimmen. Viele zugezogene Bonner und die aus Westberlin kommende Stadt-Obrigkeit waren der Meinung, die Ostberliner seien „nicht dankbar“. Wofür sie „dankbar“ sein sollten, wussten die nicht, waren sie doch stets der Meinung, dass sie die Mauer aufgedrückt hatten, und niemand sonst.
Beim Verlassen der Humboldt-Universität sagte de Maizière, er wolle weiterhin auch an Universitäten auftreten: „Ich mache das gern weiter. Berlin ist nicht überall.“
Schade eigentlich, hätte er recht.
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