16. Jahrgang | Nummer 7 | 1. April 2013

Bemerkungen

Frühlingshimmel

Laut ruft es aus ziehenden Gänsekeilen dem schlafenden Grün zu,
sich zu beeilen.

Siegfried Haase

Einer, der was zu sagen hatte

„Da war einer, der was zu sagen hatte. Und was er sagte, war von einer literarischen Qualität, die mich oft an Tucholsky erinnerte“, würdigte Wolfgang Schaller seinen Freund und Kollegen Peter Ensikat, der im 72. Lebensjahr in Berlin gestorben ist. Gemeinsam hatten sie viele Kabarett-Sketche für die „Herkuleskeule“, ja ganze Kabarett-Revuen geschrieben, die auf Tourneen gezeigt oder an zahlreichen DDR-Bühnen nachgespielt wurden. „Bürger, schützt eure Anlagen!“, „Aus dem Leben eines Taugewas“ oder „Auf dich kommt es an, nicht auf alle“ hießen diese Stücke, die die Themen der DDR mit Aktualität und zugleich einer gewissen Allgemeingültigkeit behandelten; dabei immer auf des Messers Schneide balancierend. Dass es in der DDR mit der Freiheit des kabarettistischen Wortes nicht weit her war, hatte Ensikat schon 1961 als Schauspielstudent in Leipzig bitter erfahren müssen. Seine Mitstreiter im Studentenkabarett „Rat der Spötter“ wurden wegen zu frecher Texte für einige Monate eingebuchtet. Doch weder er noch der ebenfalls betroffene Peter Sodann ließen sich in den folgenden Jahrzehnten davon abbringen, mit der Kraft des Wortes Veränderungen in der DDR anzumahnen.
Peter Ensikat arbeitete als Schauspieler vorrangig beim Kinder- und Jugendtheater und schrieb witzige Kinderstücke, die ihn bald zum meistgespielten Autor machten, der auch im Ausland bemerkenswerte Aufführungsserien erlebte. Seine Liebe blieb aber die Satire.
Ensikat hatte ein großes Vorbild. „Auf mich, seinen lebenslangen Leser, hatte und hat Tucholsky eine einzigartige, anhaltende Wirkung, nachhaltig nennt man das heute“, bekannte der damalige „Distel“-Chef 2005. Ihn trieben die verschiedenen Seiten Tucholskys um, die Möglichkeit, die seine Texte boten, in Auswahlen in Ost und West so unterschiedliche Façetten zu vereinen, daß man ihn im Osten für nichts als einen Klassenkämpfer, im Westen nur als witzigen Feuilletonisten ansehen konnte. Erst in den siebziger Jahren weitete sich der Blickwinkel auf ihn in beiden deutschen Staaten. „Tucholskys Texte waren und sind für mich oft genug Orientierung, sogar Lebenshilfe, gerade die, in denen er seine Zweifel, seine Verzweiflung über deutsche Zustände, die sich in mancher Beziehung ja nicht geändert haben, zum Ausdruck bringt. Es ist ein schwacher Trost – aber es ist einer – die Menschheit ist in den Nach-Tucholsky-Zeiten nicht dümmer geworden. Viel klüger freilich auch nicht.“ Aber dieses Bisschen ist denn auch Peter Ensikats beharrlicher Arbeit gegen die menschliche Dummheit zu verdanken. Wir hätten ihn noch gebraucht.

F.-B. Habel

In Lakomys Land der Phantasie

Wenn wir mit der Enkelin reisen, ist Paule Platsch, der Regentropfen, ein regelmäßiger Begleiter. Er erzählt Geschichten vom Indianerjungen aus dem Friedrichshain, vom Tintenfisch-Schreibbüro im Meer, einem Streusselkuchen, der davonlief, von Schneeflocken. Und wenn die Stelle kommt, wo ein Pudel eine Nudel verschluckt hat, in Sorge ist, nun wie ein Igel auszusehen, ruft die Enkelin „Oma, jetzt kommt Dein Lied“ und wir singen alle lautstark mit, wenn es denn heisst: „Seitdem lieben alle Pudel sehr gern Bockwurst, selten Nudel.“
Reiche Phantasie trifft sich in Reinhard Lakomys Liedern (Texte Monika Ehrhardt) mit fröhlichem Nonsens, Lebensfreude und – Poesie. Die Geschichtenlieder öffnen Kindern einen ganz wunderbaren Weg zur Welt der Poesie. Und führen Erwachsene zurück in das Land der Phantasie. Was kann man mehr über einen Musiker sagen? Reinhard Lakomy wird sehr vermisst werden. Gut, dass seine Lieder und Geschichten uns weiter verzaubern können.

mvh

Blätter aktuell

Eines kann man dem Kanzlerkandidaten der SPD, so Albrecht von Lucke in seinem Beitrag „15 Jahre von 150: Die Misere der SPD“, nicht nachsagen: dass er nicht alles unternähme, um Angela Merkel zu einer dritten Kanzlerschaft zu verhelfen – angefangen von der verspäteten Offenlegung seiner Vortragshonorare, über Pinot Grigio nicht unter fünf Euro pro Glas und die Klage über ein zu geringes Kanzlergehalt, bis hin zu halbstarken „Clowns“-Vergleichen. Mancher Beobachter zweifelt inzwischen ernsthaft daran, ob Peer Steinbrück die Wahl überhaupt gewinnen will.
Immer wieder sorgt der von der NATO geplante Raketenabwehrschirm in Osteuropa für Missstimmung zwischen Russland und den NATO-Staaten. So auch auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz im Februar. Seit Jahren verlangt Russland rechtsverbindliche Erklärungen, dass die neuen Systeme nicht gegen die russischen Streitkräfte gerichtet werden. Die NATO ist jedoch bislang nur zu politischen Zusicherungen bereit und lehnt rechtsverbindliche Verpflichtungen strikt ab. Dieter Deiseroth und Bernd Hahnfeld gehen diesen Fragen unter der Überschrift „Rüstung ohne Recht: Der neue Raketenabwehrschirm der NATO“ nach.
Kein Italiener, kein Europäer – mit Jorge Mario Bergoglio wurde erstmals ein Lateinamerikaner zum Oberhaupt der Römisch Katholischen Kirche gewählt, ein Argentinier. Was kann Lateinamerika, wenn überhaupt, von Papst Franziskus erwarten, fragt Roberto Guareschi.
Unter anderem mit folgenden Themen befassen sich weitere Beiträge: „Grillos Italien: Patt aus Protest“, „Die BRIC-Staaten: Weltkonjunktur am seidenen Faden“, „Konzerne versus Staaten: Mit Schiedsgerichten gegen die Demokratie“ und „Europa und die mutlose Linke“.

am

Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, April 2013, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet: www.blaetter.de

Gelesen: Über Leiharbeit und Hartz IV

Der Hessische Sozialrichter Jürgen Borchert wurde bei Süddeutsche.de zur Agenda 2010 interviewt. Er erklärt dort unter anderem, dass „wir eine Entwicklung erleben, die mit Erosion und Abwärtsmobilität der Mittelschicht beschrieben werden kann. Dabei ist sie der Garant für demokratischen und sozialen Frieden in Deutschland.“ Dieses Fundament sei brüchig geworden durch die Agenda 2010 und er verweist darauf, dass inzwischen acht Millionen Menschen im Niedriglohnsektor beschäftigt seien, wo sie mit ihren Einkommen nicht einmal die Existenz sichern können. Sein Fazit – es handele sich um die Aufkündigung der sozialen Marktwirtschaft und die Verfestigung von Armut. Mit dem Zusammenwirken von Hartz I und Hartz IV habe sich der Staat einseitig auf die Seite der Leiharbeitsunternehmen und der Arbeitgeberschaft geschlagen.
„Hartz I war die Entfesselung der Leiharbeit und den Leiharbeitsunternehmen wurde mit den Sanktionsmechanismen von Hartz IV die Arbeitskraft in Scharen zugetrieben. Hartz IV sorgt dafür, dass um jeden Preis und für jeden Preis Arbeit angenommen werden muss.“

mvh

Der Zahn der Zeit nagt auch im Harz

Aus Schierke soll ein Nobelferienort werden und Friedrichsbrunn eine Bobbahn bekommen. Es klingt sehr vielversprechend, was jüngst aus dem Harz berichtet wurde. Aber auch und gerade dort kennt man Elend und Sorge. Den wenigen Architekturprojekten, die daselbst derzeit im Entstehen begriffen oder in Planung sind, steht eine unbekannte Zahl von aufgegebenen Objekten gegenüber, an denen seit Jahren und Jahrzehnten der Zahn der Zeit nagt. Im Buch „Lost Places Harz“ werden 19 ausgemusterte Immobilien aus Sachsen-Anhalts und Thüringens Harzregion vorgestellt. Es ist nach Bildbänden über Halle und Leipzig, Magdeburg und Beelitz-Heilstätten die fünfte Publikation in der Reihe „Verlorene Orte“. In dieser werden ausschließlich Ruinen von Industrie- und öffentlichen Bauwerken, die nach 1989 dem Verfall preisgegeben wurden, in ihrem gegenwärtigen Zustand dokumentiert.
Wir werden von dem Halleschen Fotografen Marc Mielzarjewicz durch die Großbäckerei Hettstedt, die sich nach der Wende „Ossi-Bäckerei“ nannte, und durch die einstige Produktion von Farbchemie Quedlinburg und Argenta Wernigerode geführt. Wir sehen mit seinen Augen das ehemalige Kinderkrankenhaus Wippra und sind versucht, in den ruinösen Räumlichkeiten der Lungenheilstätten Albrechtshaus, Hohentanneck und Sülzhayn die Luft anzuhalten.
Gleich, ob man hier eine ehemalige Saigerhütte oder ein Erholungsheim betrachtet, die Bilder gleichen sich allerorten: In Jakobsleitern fällt Sonnenlicht durch löchrige Fenster, Tapete rollt sich von den Wänden und Farbe pellt sich wie sonnenverbrannte Haut von Zimmerdecken. Bisweilen hat – wie etwa auf den Fotos der Eisenhütte Mädesprung I erkennbar – ein DDR-Telefon mit Wählscheibe die Zeit und juvenile Zerstörungswut ebenso glimpflich überstanden wie eine vor Zeiten geleerte Flasche „Naumburger Rats-Siegel“. Daselbst behauptet sich auch eine Armee aus Ordnern der Marke Pirol in ihren Regalen noch immer wacker gegen den Zerfall. Eine halbwegs intakte Lampe wirkt in solcher Umgebung bereits als Fremdkörper.
Sabine Ullrich, die Autorin der Begleittexte, verbindet mit diesem Bildband den frommen Wunsch, dass er einen Beitrag leisten möge, „die Ruinen aus ihrer Versunkenheit zu befördern, um sie einer eventuellen Wiedernutzung zuzuführen“. Die Nachricht hört man wohl, allein es fehlt der Glaube. Denn nach zwanzig Jahren Leerstand und Vandalismus sind die meisten der hier vorgestellten Architekturen wohl unrettbar verloren. Das kann man nur aufrichtig bedauern. Besonders Leid tut es den Betrachter um Schloss Helmsdorf und das ehemalige FDGB-Erholungsheim „Fritz Heckert“ am Kuhkopf in Gernrode, das Anfang der fünfziger Jahre als erster Ferienheimbau der DDR errichtet wurde. Man fragt sich beim Durchblättern stets aufs Neue, wie es sich ein Land wie das unsere erlauben kann, zum Teil denkmalswürdige Industrie- und Gesellschaftsbauten dem Verfall preiszugeben. Über kurz oder lang wird allein der vorliegende Band an diese 19 verlorenen Architektur-Orte erinnern.

Kai Agthe

Marc Mielzarjewicz: Lost Places Harz. Mit Texten von Sabine Ullrich, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2013, 159 Seiten,19,95 Euro

Das verträumte Nachdenken einer Wahlberlinerin

Nicht nur Schwaben (der Alptraum des Herrn Thierse) und Türken (der Alptraum des Herrn Sarrazin) zieht es nach Berlin. Als Vertreter des badischen Volksstammes darf die 1979 in Karlsruhe geborene Musikerin Jeanette Hubert gelten.
Auf ihrer ersten CD-Veröffentlichung „On the Run“ präsentiert die Wahlberlinerin exakt ein Dutzend an Eigenkompositionen. Drei der in englischer Sprache verfassten Liedtexte hat die Schlagzeugerin Catrien Stremme beigesteuert. Die Kompositionen, geprägt durch die akustische Gitarre von Jeanette Hubert, schmeicheln sich als eingängige, entspannte Popmelodien ins Ohr.
Die Künstlerin besingt die Liebe und das Leben in der Großstadt. Sie räsoniert, während sie friedvoll im Gras liegt, über ihr Leben und ihre Zukunft („Waiting for the Rest“). Es bedarf keines perfekten Partners, um das Leben genießen zu können, betont sie stimmungsvoll im Lied „Always Perfect“. Mag das eine oder andere Lied zu sehr als radiotauglicher Ohrwurm getrimmt sein, ihre wahre Stärke liegt in dem balladesk komponierten und vorgetragenen Liedgut. Hier lädt Jeanette Hubert zum Innehalten ein, zum verträumten Mit- und Nachdenken inmitten der großstädtischen Hektik. Bleibt zu hoffen, dass Ihre schön gestaltete Homepage www.jeanettehubert.de bald viele Konzerte in den kommenden Monaten ankündigt und nicht nur auf vergangene Termine verweist.

Thomas Rüger

Jeanette Hubert: On The Run, Ozella Music 2012, circa 16 Euro

Wann ist ein Berg ein Berg ?

Eigentlich sollte die Topografie Mitteldeutschlands hinlänglich bekannt sein. Berg, Tal, Fluss, Stadt … alles sollte längst vermessen und kartographiert sein. Saale, Halle, Harz, Leipziger Tieflandbucht … alles Schulwissen seit Ururgroßvaterzeiten – zumindest seit der Gaußschen Landesvermessung.
Die heutigen Gauß-Nachkommen fördern jedoch mit ihrer modernen, vollelektronischen Vermessungstechnik selbst im 21. Jahrhundert noch so manche Überraschung ans Tageslicht. Jetzt verblüfften sie die Einwohner rund um Halle mit der Neuigkeit, dass der Petersberg mit seinen 250,4 Metern nicht mehr die höchste Erhebung des Saalekreises ist. Dabei war bisher in jedem Reiseführer nachzulesen, dass die Porphyrkuppe nördlich der Saalestadt auf ihrem Breitengrad der höchste Buckel zwischen Harz und Ural ist. Und in nördlicher Richtung trifft man erst wieder in Schweden auf höhere Berge. Dazwischen sind, so spottete der Volksmund, die Zuckerrüben in der Magdeburger Börde die höchsten Gipfel.
Nun ist Schluss mit diesem Spitzenplatz, denn die Geografen haben herausgefunden, dass westlich der Kreisstadt Merseburg gleich mehrere Erhebungen höher sind als der Petersberg, wobei der Kahle Berg mit 296,2 Metern die Nase vorn haben soll.
Der Saalekreis-Kenner wundert sich jedoch: Wo bitte gibt es da Berge? Schließlich erstreckt sich dort die Querfurter Platte, ein landwirtschaftlich genutztes Plateau, flach wie eine Tischplatte, vielleicht mit ein paar Bodenwellen, die man aber nicht einmal als Hügel bezeichnen könnte. Aber Berge? Oder sollten die zahlreichen Windkraftanlagen gemeint sein, die in den letzten Jahren auf den oft stürmischen Ackerflächen entstanden waren?
Da erhebt sich die Frage: Wann ist ein Berg überhaupt ein Berg? Normalerweise verbinden wir daran Vorstellungen von schroffen Felsen, Gipfelkreuz und bombastischer Fernsicht. Nein, bei „Berg“ denken wir wahrlich nicht an eine seichte Anhöhe, die sich in der Landschaft verliert.
Doch was helfen dem Petersberg nun seine jahrhundertelange Tradition, seine geschichtsträchtige Stiftskirche, sein fast 120 Meter hoher Telekom-Fernmeldeturm oder sein Bismarckturm? Die Höhenmessgeräte sind einfach unbarmherzig und haben ihn vom Podest gestürzt. Selbst wenn die neuen Spitzenreiter neben ihren Windrädern nur über Kartoffelstauden oder Maiskolben verfügen. Wir sollten die fast schon philosophische Frage „Wann ist ein Berg ein Berg?“ jedenfalls nicht nur Geografen, Geologen oder irgendwelchen Landvermessern überlassen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich Herbert Grönemeyer bald einmal des Themas annimmt.

Manfred Orlick

Wirsing

Redakteure von Leserbriefspalten haben oft nicht die Zeit, die Briefe, die sie abdrucken, auch zu lesen. So hieß es in einer Zuschrift ans Neue Deutschland: „Mit Herrn Mehldorn wurde der Bock zum Gärtner bei der Rettung des Berliner Fughafens gemacht.“ Mit Fug und Recht kann man feststellen, daß der genannte Name falsch geschrieben wurde. Allerdings handelt es sich nicht um jenen Chemnitzer, von dem Roda Roda hörte: „Mei Freind Mehlhorn iss ooch schon zu lange dood.“

Fabian Ärmel