von Eckhard Mieder
Immer mal wieder lese ich von den USA als der „größten Demokratie der Welt“. Im Reich der Komparation geht über den Superlativ nichts. Das ist die einzige Feststellung, die sicher ist. Alles andere ist fraglich: Was heißt „größte Demokratie der Welt“? Geographisch kann es nicht gemeint sein. Kanada hat mehr an Fläche, Indien hat mehr an Menschen. Von Kanada höre ich wenig und Gutes. Von Indien höre ich viel und Übles. Was sagen „wenig“, „viel“, „gut“ und „übel“ über eine Demokratie aus? Gar nichts, glaube ich. Demokratie heißt: Jeder darf so blond sein, wie er will.
Meint „größte“ Demokratie – „stärkste“, „vorbildlichste“, „ansehnlichste“, „erstrebenswerteste“ Demokratie? Vermutlich ist dies gemeint. Denn es gilt als ausgemacht in der Bruder- und Schwesternschaft des Kapitals, dass die USA unser aller Stichwortgeber, Ideenlieferant, Trendsetter und Befreier sind. Wohl dem, der einen geopolitischen Giganten seinen Freund nennen darf. (Wobei das mit der Freundschaft – dazu zum Ende hin was.)
Von all den schönen Dingen, die von dort kamen und kommen, will ich gar nicht erzählen. All das Kommandieren und Absolutieren und Füsilieren und Musizieren und Charmieren und Epilieren – nein, wirklich, ich bin nicht töricht. Ich arbeite mich nicht ab an einer Kritik der Segnungen und Sünden des atlantisch-pazifischen Bruderlandes.
Die USA polarisieren seit je, das bisschen Colarisieren ist da marginal. Wer aus sowjetisierter Wirklichkeit in amerikanisierte Wirklichkeit geraten ist, der lebe ohnehin in Demut und Dankbarkeit. Oder hast du, Chefmelancholiker vom Dienst, vergessen, wie lang die Schlangen waren? Als in der Hauptstadt der Deutschen Demolierten Republik das Lied die Runde machte: Auf, auf zum Kampf! zum Kampf! – in der „Jugendmode“ in der Berliner Brüderstraße werden Levis- und Wrangler-Hosen verkauft!?
Wiederum sind, in Betracht der letzten Jahrzehnte, durchaus andere Superlative denkbar. Läge gänzlich daneben, wer die USA als die „bigotteste Demokratie der Welt“ bezeichnen würde? Oder als die „gewalttätigste Demokratie der Welt“? Oder als die „eigensüchtigste Demokratie der Welt“? Gerade wurde einer der „frischeren“ Kriege medial abgehakt. Es wurde der Irak durchgeharkt. Auch so eine blühende Landschaft.
Dass es aufgrund des Anspruches der USA, als „größte Demokratie der Welt“ anderen Ländern ein paar „kleinere Demokratien“ zu schenken, immer mal wieder zigtausende Tote gibt, vorwiegend undemokratisch gesinnte Fellachen, Schleier tragendes Weibsvolk* und kleine Bengels, deren pubertärer Bartwuchs ein Synonym für Terrorismus ist – also das ist kollateral und kann grammatisch nicht gesteigert werden. Gemessen in Zahlen von Toten, Vertriebenen und Traumatisierten könnte man jedoch von „kollateraleren“, gar „kolletaralsten Schäden“ sprechen?
Es ist ja eine wunderbare Eigenschaft des Hirns, das es vergisst oder verdrängt. Es ist wie mit dem Wetter. Dass es vor gar nicht vielen Jahren schon „kältere“ Märze gab – wir wissen es nicht mehr. Der diesjährige kommt uns einmalig arktisch vor. Subjektiv gefühlt ist dies der kälteste Märze, der jemals über uns kam. Und subjektiv gefühlt sind die USA die „größte Demokratie der Welt“.
Wurde auch wieder gezeigt, als ihr Präsident grad zu Gast in Israel war. Von Israel als der „kleinsten Demokratie der Welt“ zu sprechen, verbietet sich von selbst. Erstens klänge das abwertend. Zweitens sind Malta, Luxemburg und weiß ich wer noch, „kleinstere Demokratien“ als Israel. Wenn wir bei geographischer Bestimmung bleiben.
Und wenn wir dabei bleiben, dass es sich überhaupt um Demokratien handelt. Was weiß ich schon über Malta und Luxemburg? Nicht mehr als über Kanada und Indien. Allerdings trägt der luxemburgische Finanzminister den wirklich schönen Namen Luc Frieden. Der braucht kein Adjektiv. Die amerikanische Seite sprach übrigens von dem „unzerbrechlichen Bündnis“ zwischen den USA und Israel. Was mich wiederum an die „unverbrüchliche Freundschaft“ zwischen der UdSSR und der DDR erinnerte. Wohl dem, der einen geopolitischen Giganten seinen Freund nennen darf?
In diesem Zusammenhang ist die Bundeskanzlerin zu loben. Die Sicherheit beziehungsweise das Existenzrecht Israels sei „Teil der deutschen Staatsräson“. An dieser Säule muss kein Adjektiv kleben. Und wo ein Teil ist, ist auch ein Ganzes. Nebbich die Vernunft des deutschen Staates. Falls es so etwas gibt wie die Vernunft eines Staates. Falls es die gibt, gibt es gewiss auch eine „große“, „größere“, sogar „größte“ Vernunft. Die allerdings bleibt Gott vorbehalten, dem größten aller Chaoten. Möglicherweise aber hat Frau Merkel mit „Räson“ „Disziplin“ gemeint. Dahin ist die „Räson“ umgangssprachlich verkommen.
Adjektive haben es in sich. Sie sind zerbrechlicher Natur. Gern lackieren sie das Subjektiv und behaupten vom Substantiellen etwas, das bei genauerer Betrachtung nicht standhält und zerbröselt. Zum Beispiel war ich mal Bewohner der „größten DDR der Welt“. Und jetzt? Bin ich Bewohner einer „großen“ oder „sehr großen Demokratie“. Die „größte“ haben immer die anderen.
* Mein Freund Johannes Tütenholz besteht auf dieser Fußnote: „Es gehört zu den bizarren Ergebnissen dieses Krieges, dass Frauen, die einst mit wehendem Haar und modischen Röcken durch Bagdad liefen, sich in der Folge des Krieges verhüllen müssen. Wie im Irak so auch anderswo, aber nicht in Wuppertal und auch nicht in Werneuchen.“
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