von Kai Agthe
Bei der Lektüre der neu illustrierten Verserzählung denkt man als guter Staatsbürger unweigerlich: Welch eine politisch-korrekte Lesart würde unsere Bundesfamilienministerin für „Die Geschichte von den schwarzen Buben“ finden, wenn sie diese ihren Kindern vorträgt? Denn immerhin stammt die aus dem berühmt-berüchtigten „Struwwelpeter“-Buch des Heinrich Hoffmann. Folglich kommt nicht nur die Bezeichnung „schwarze Buben“ drin vor, sondern auch das verwerfliche Wort „Mohr“ als im 19. Jahrhundert durchaus gängige Bezeichnung für einen Menschen schwarzer Hautfarbe.
Verwerflich? Verdammenswert? Wenigstens aber begrifflich unbedingt zu reformieren? Mitnichten, denn in überlieferte Literatur aus political correctness eingreifen zu wollen, ist ebenso voreilig wie die vor einigen Jahren versuchte sprachliche Nivellierung von literarischen Werken früherer Epochen aus dem Glauben, dass sie nach solcher Bereinigung für junge Menschen verständlicher wären. Was geschrieben steht, soll, sofern es nicht wirklich rassistisch ist, auch so gedruckt bleiben.
Weder Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ noch Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“ wird man allen Ernstes den Vorwurf machen können, dass es beleidigend sei, wenn hier von „Negerkönig“ oder dort von „Negerlein“ die Rede ist. Sollte es diesbezüglich Erklärungsbedarf geben, können das Eltern und Kinder beim Lesen durchaus unter sich klären. Dass Verlage auf Zuruf von besorgten Eltern bedenkenlos Änderungen in seit Jahrzehnten lieferbaren Kinder- und Jugendgeschichten vornehmen, ist ebenso bedenklich wie der Umstand, dass man auf Seiten der Verleger in hektische Aktivität verfällt, wenn die Familienministerin aus ihrer Praxis des abendlichen Vorlesens plaudert.
Denn der Aberwitz könnte ansonsten so weit führen, dass das Bundesfamilienministerium auch dem Berliner Schokoladenhersteller Sarotti nahelegt, sich von seinem Mohren zu trennen. Das wäre natürlich nur eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn es könnte ja sonst passieren, dass ein um politische Korrektheit bemühtes Krümelmonster den allseits bekannten Schokojungen entführt …
Auch Hoffmanns „Die Geschichte von den schwarzen Buben“ bietet keine Handhabe zur Zensur. Mag dort auch der Begriff „Mohr“ fallen, ist dieser Text ein Bekenntnis gegen Diskriminierung. Man erinnert sich ganz ohne moralisches Grausen: Ein Mohr, dem kein Namen zugestanden wird, geht spazieren und wird von den weißen Knaben Ludwig, Kaspar und Wilhelm wegen seines Aussehens geärgert. Wie ein Deus ex machina erscheint Nikolas und warnt die drei Knaben vor derlei gehässigem Tun. Die aber lassen sich nicht einschüchtern und hänseln den schwarzen Jungen weiter. Der, zugegeben, höchst antiquierten Methode folgend, dass, wer nicht hören kann, fühlen muss, steckt Nikolas die drei bösartigen Knaben in ein Tintenfass, was zur Folge hat, dass sie noch schwärzer sind als der von ihnen ausgelachte Mohr. Leider endet die Geschichte nicht mit einer Versöhnung zwischen dem Mohr und den eingefärbten Buben, sondern allein mit dem belehrenden Hinweis: „… und hätten sie nicht so gelacht, / hätt‘ Niklas sie nicht schwarz gemacht.“ Aber schon damit wird auch den Jüngsten klar, dass man keinen Menschen wegen seines Äußeren beleidigt.
Es ist gut zu wissen, dass sich der Rostocker Hinstorff-Verlag von der aktuellen Diskussion nicht hat schrecken lassen und diese von dem Berliner Berliner Künstler Karsten Teich neu illustrierte Geschichte wie geplant veröffentlicht hat. Darf man noch betonen, dass auf den Bildern Ludwig, Kaspar und Wilhelm nicht nur eine dicke Lippe riskieren, sondern solche auch im Gesicht tragen?
Die Geschichte von den schwarzen Buben. Eine Struwwelpeter-Geschichte, Erzählt von Heinrich Hoffmann, Illustriert von Karsten Teich, Hinstorff-Verlag, Rostock 2013, 24 Seiten, 14,99 Euro
Schlagwörter: Heinrich Hoffmann, Kai Agthe, Political Correctness, Verlage