von Heerke Hummel
Zu später Stunde strahlte das Bayerische Fernsehen (BR-alpha) am ersten Sonnabend des neuen Jahres die Aufnahme der fünften Veranstaltung „Dialog unter der Kuppel“ aus. Diese Reihe unter der Ägide von Ministerpräsident Seehofer in jährlichem Rhythmus soll zum öffentlichen Diskurs der Zukunftsfragen unserer Zeit beitragen. Nachhaltiges und sozial verantwortliches Handeln brauche das Denken über den Tellerrand des Hier und Heute hinaus, heißt es in der Ankündigung des Gastgebers, und mit interdisziplinären und innovativen Ansätzen wolle man diese Kultur der Verantwortung voranbringen.
Bereits Anfang Dezember hatte Horst Seehofer seine „hochkarätigen“ Gesprächspartner im Kuppelsaal der Bayerischen Staatskanzlei empfangen, um mit ihnen unter der Moderation von Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens, dieses Mal über das Thema „Geld regiert die Welt. Wer regiert das Geld?“ zu reden. Immerhin hätten die internationalen Wirtschafts- und Finanzkrisen einen neuen Diskurs über die gesellschaftliche Verantwortung ökonomischen und politischen Handelns ausgelöst, hieß es in der Ankündigung. Die Frage sei: „Wie können wir die Grundfesten unserer Sozialen Marktwirtschaft sichern und dennoch auf den internationalen Finanzmärkten bestehen?“ Und: „Wie stärken wir Wettbewerbsfähigkeit für Wachstum und Wohlstand in unserem Land, ohne den sozialen Zusammenhalt zu vernachlässigen?“ Solche vom Bayerischen Ministerpräsidenten schon im Vorfeld in den Raum gestellten Fragen, aber auch der würdige Ort der Veranstaltung, der Teilnehmerkreis und das ganze Flair ließen etwas anderes, ja mehr als eine der üblichen Talk-Shows erwarten, die eher der allgemeinen Unterhaltung als der gründlichen Besprechung wichtiger Sachverhalte und Zusammenhänge dienen. Solche Erwartung wurde zwar nicht enttäuscht, aber auch nicht so richtig befriedigt. Zwar trat viel praktischer und vor allem juristischer Sachverstand zutage, doch die bereits im Thema formulierte Frage „Wer regiert das Geld?“ blieb offen, auch nachdem Moderator Gottlieb sie mehrmals und direkt personengerichtet gestellt hatte. Zu klaren Antworten fehlte offenbar der Mut, man schien sich drum herum zu drücken.
Bemerkenswert offen und ehrlich war da noch der Bayerische Ministerpräsident. Er gestand ein, man (wörtlich „wir“) habe(n) Fehler gemacht und den Bankern zu viel Freiheit in ihrem Finanzgebaren gewährt, und nun gehe es darum, diese Fehler Schritt für Schritt wieder zu korrigieren. Aber das sei eben nicht leicht angesichts der internationalen Verflechtung der Finanzmärkte und der divergierenden nationalen Interessenlagen und Meinungen.
Überraschenderweise kam ausgerechnet der Theologe Reinhard Kardinal Marx mit seinem Hinweis auf die Loslösung des US-Dollars sowie der seinerzeit an ihn gekoppelten Währungen vom Goldstandard (im Jahre 1971) der Einsicht in die objektiven Ursachen der heutigen Finanzmisere am nächsten. (Die „Gier“ und Verantwortungslosigkeit der Finanzhaie ist nämlich ein subjektives Phänomen, eine Erscheinung der Sphäre des menschlichen Bewusstseins!) Darin eine Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse, insbesondere der Beziehungen der Menschen zum Eigentum zu erkennen, die unabhängig vom menschlichen Bewusstsein real existieren, konnte von dem Mann Kirche und des Glaubens nicht unbedingt erwartet werden, auch wenn seine Funktionen (unter anderem Vorsitzender der Kommission der Deutschen Bischofskonferenz für gesellschaftliche und soziale Fragen) ihn dafür in gewisser Weise prädestinieren.
Auf jeden Fall war solche Erkenntnis nicht vom Erfinder der „Steuererklärung auf dem Bierdeckel“, Friedrich Merz, zu erwarten. Immerhin wurde dieser dennoch seinem in der Anmoderation zu hörenden Ruf als Finanzexperte gerecht. Dazu mag auch nicht besonders viel gehören angesichts seiner zahlreichen, oft gleichzeitig ausgeübten Jobs in diversen Anwaltskanzleien, Unternehmen, Verbänden und Gesellschaften, nicht zuletzt auch im Parlament. Da erfährt und lernt man eine Menge und kann das alles mit einiger Intelligenz zu recht interessanten Aussagen vermischen.
Anders dagegen bei Claudia M. Buch! Als studierte Volkswirtschaftlerin arbeitete sie mehr als ein Jahrzehnt am Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) und übernahm dort unter anderem die Leitung des Forschungsbereichs „Finanzmärkte“. Nach Promotion und Habilitation wechselte sie als Professorin für Wirtschaftswissenschaften an den Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie, insbesondere Geld und Währung, der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Heute ist sie die wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung, Tübingen, sowie Mitglied des Sachverständigenrats für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweise“) und außerdem Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Sie forscht über die Regulierung und Aufsicht von Banken. Gerade von dieser so intensiv mit der Materie befassten Wissenschaftlerin wäre eine deutliche (vor allem auch theoretische) Klarstellung der Vorgänge im Finanzwesen zu erwarten gewesen. Doch wie sehr die ganze bürgerliche Wirtschaftswissenschaft (nicht erst) seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts versagt hatte und damit die eigentliche Verantwortung für das große ökonomische Desaster trägt, machte Claudia Buch (wenn auch ungewollt) mit der Feststellung deutlich, das Platzen der Finanzblasen hätten die Ökonomen nicht vorhersehen können, auch sie selbst sei überrascht worden. Kam denn wirklich niemandem je die naheliegende Frage in den Kopf, wer die Billionen an Schulden (allein in Deutschland!) wann und wie zurückzahlen soll? Und wieder war in der Gesprächsrunde unter der Kuppel Kardinal Marx der einzige, der den Mut hatte, ganz kategorisch festzustellen: „Diese Summen sind nicht rückzahlbar!“ Wissenschaftlerin Buch wird das auch wissen. Aber sie sagte es nicht und sprach sich lieber konsequent gegen eine gemeinsame europäische Sicherung der Bankeinlagen aus, weil dies eine Vergemeinschaftung der Haftungsrisiken bedeuten würde, was den deutschen Interessen widerspräche. Wenigstens im Dschungel der praktischen Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie der entsprechenden privaten (und auch nationalen) Interessen zeigte die Professorin Durchblick und war damit Herrn Merz ebenbürtig.
War der ganze „Dialog unter der Kuppel“ also sinnlos? Nein! Wenigstens wurde ja die Frage nach Wegen aus der Finanzkrise „zwischen Primat der Politik und Diktatur der Märkte“ angesprochen, wenngleich sie nicht beantwortet wurde. Auch wenn der „Diskurs über die gesellschaftliche Verantwortung ökonomischen und politischen Handelns“ Konsequenzen nicht einmal andachte, geschweige denn artikulierte, scheint doch wenigstens ein Gefühl dafür wieder lebendig zu werden, was in Artikel 14 des Grundgesetzes dekretiert ist: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Aber was ist Eigentum? Ist das Geld, das wir verdienen und das größtenteils nur noch als elektronische Information in Computern existiert, unser Eigentum? Oder sind es die Dinge, die wir damit erwerben können? Bis 1971 vertrat unser Geld je 35 US-Dollar eine Feinunze Gold, das bei der amerikanischen Notenbank (Federal Reserve System / Fed) lag. Dort befand sich unser eigentliches, reales Eigentum, wenn wir Geld in der Hand oder auf dem Sparbuch hatten. Seinen ziemlich stabilen Wert und Gebrauchswert (seine Nützlichkeit) kannten wir, auch seinen Hüter. Wenn wir irgendetwas kauften, tauschten wir eigentlich dieses Gold gegen eine andere Ware unseres Bedarfs ein. Es wechselte, in den Tresoren der Fed verbleibend, seinen Eigentümer. Das Ganze war eine private Angelegenheit (Tausch – Gold gegen Ware) zwischen Käufer und Verkäufer. Und heute? Heute vertritt unser Geld anonymes Realeigentum (der Gesellschaft als Ganzes), von dem wir uns noch gar nicht im Klaren sind, worin es bestehen soll, wann und wofür wir es nutzen wollen und wo, bei wem es sich befindet oder befinden wird, wenn wir es mit unserem Gelde erwerben wollen. Und vor allem wissen wir nicht, was es dann „wert sein“ beziehungsweise kosten wird.
Aus diesem Unterschied resultieren die heutige, größere gesellschaftliche Verantwortung ökonomischen und politischen Handelns und die Notwendigkeit, der Politik ein Primat gegenüber der „Diktatur der Märkte“ zu sichern. Solange mit je 35 US-Dollar eine Feinunze Gold auf dem Spiel stand, hielt sich die Spekulation mit diesem Geld in Grenzen, wurde sie gebremst, weil das Risiko des Verlusts eine konkrete Erscheinung, ein bestimmtes Maß hatte und ein privates Risiko war. Das galt insbesondere für den Herausgeber und Regenten des Geldes, den Hüter dieses realen Schatzes, die Fed. Dennoch duldete sie Spekulation wie auch die riskante Verschuldungspolitik des US-amerikanischen Staates, solange das Vertrauen ihrer (der Bank) Gläubiger (in Gestalt der Inhaber von Dollar-Guthaben) vorhanden und der Goldschatz in ihren Tresoren nicht durch Abfluss ins Ausland gefährdet war. Als dieser Fall aber 1971 eintrat, zog man mit dem Bruch des Abkommens von Bretton Woods die Notbremse.
Dies bedeutete das Ende der ohnehin bereits stark unterhöhlten ökonomischen Steuerungsfähigkeit des Geldes und der Märkte, weil Geld nun ohne unmittelbare Konsequenzen für seine Schöpfer „beliebig“ vermehrt und in Umlauf gebracht werden konnte. Denn dazu bedurfte es von nun an keines wirklichen Arbeitsaufwandes zur Schaffung realen Reichtums, sondern höchstens „guter“ Geschäftsideen. Jeglichen Verlust trug von nun an „die Allgemeinheit“. Es war der Beginn eines neuen Prinzips in der Praxis von Wirtschaft und Politik: Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste. Und der so genannte „Neoliberalismus“ lieferte dafür auch eine „theoretische“ Basis mit diversen Modellen ökonomischen Wachstums. Die beherrschen noch heute das allgemeine Denken in Wirtschaft und Politik, womit Geld- und Finanzvermögen aller Art für Reichtum und Wohlstandsgrundlage gehalten werden.
Sigmund Gottlieb hätte seine mehrfach vergeblich gestellte Frage „Wer regiert das Geld?“ am Schluss der Sendung selber beantworten und feststellen müssen: Infolge wirtschaftswissenschaftlicher Fehlleistungen sowie allgemeiner Leichtgläubigkeit ist es nicht – bestimmt durch die Politik – das Gesetz mit Begrenzungen und Normen für Rechte und Pflichten im Umgang mit dem Geld, das dieses regiert, sondern – kombiniert mit der Gier – regiert die Dummheit!
Schlagwörter: Finanzkrise, Geld, Heerke Hummel, Politik, Wirtschaftswissenschaft