von Erhard Crome
Peer Steinbrück – zur Erinnerung: er ist der derzeit agierende Kanzlerkandidat der SPD – hat kurz vor Jahreswechsel wieder einmal ein Interview gegeben. Nachdem er wochenlang damit zu tun hatte, sich der mehr oder weniger zu Recht oder zu Unrecht bestehenden Vorwürfe des geldgierigen, zu mietenden Wanderredners zu erwehren, hatte es Steinbrück nun wieder mit dem Gelde. Er meinte, Bundeskanzler und Bundeskanzlerin in diesem Deutschland verdienten zu wenig.
Bisherige Amtsinhaber, wie Helmut Schmidt – auf den sich Steinbrück sonst immer wieder gern bezieht – oder Helmut Kohl, auch Gerhard Schröder oder Angela Merkel hatten sich bislang nicht beschwert. Nun aber Steinbrück, der dieses Amt noch gar nicht hat, aber den Eindruck zu erwecken scheint, es einnehmen zu wollen. Auf seiner Webseite soll zu lesen sein: „Warum ich Kanzler werden will“, und dort heißt es: „Wir brauchen mehr WIR, weniger ICH“ (versale Schreibweise im Original). Das behauptet er, geredet hat er aber wieder über das Ich: ICH will mehr Geld. Sein Argument lautet, nahezu jeder Sparkassendirektor in Nordrhein-Westfalen verdiene mehr als die Kanzlerin oder eben der prospektive Kanzler Steinbrück. Gerhard Schröder antwortete derselben Zeitung mit dem ihm eigenen Charme: „wem die Bezahlung als Politiker zu gering ist, der kann sich ja um einen anderen Beruf bemühen“.
Überhaupt Schröder. Steinbrück verweist in seinem Interview richtig auf die wachsende soziale Kluft in dieser Gesellschaft, dass sich viele Menschen auch aus der so genannten Mittelschicht, die ein oder zwei Kinder haben, fragen, wie sie finanziell durchkommen sollen, und dass viele Menschen nur schlecht bezahlte, befristete Arbeitsplätze haben. Dazu Originalton Steinbrück: „Es gibt statistisch belegt seit Mitte der neunziger Jahre eine Umverteilung von unten nach oben. Das wird in der bürgerlich intakten Welt nicht thematisiert.“ Peer Steinbrück gibt sich fest entschlossen, das im Wahlkampf zu thematisieren. Gegen die bisherige Kanzlerin Angela Merkel? Wenn wir von Mitte der neunzehnhundertneunziger Jahre bis jetzt 18 Jahre ansetzen, dann regierten die Sozialdemokraten mit Kanzler Schröder in einer Koalition mit den Grünen sieben Jahre und eine Koalition der Christdemokraten mit Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück von 2005 bis 2009 vier Jahre, das heißt die Sozialdemokraten insgesamt elf von 18 Jahren. Sie hatten also viel Zeit, dem beizeiten gegenzusteuern. Das haben sie nicht getan. Und jetzt soll daraus ein erfolgreicher Wahlkampf gegen Merkel werden?
Steinbrück hantiert in dem zitierten Interview aber nicht nur mit Gehaltsargumenten. Angela Merkel wirft er vor, sie sei „beliebt, weil sie einen Frauenbonus hat“. Hat in den politischen Debatten in Deutschland während der vergangenen Jahre eigentlich jemand dieses Argument schon einmal erfolgreich angewandt? Im Indien der neunzehnhundertsiebziger Jahre hieß es, Indira Gandhi als erste Frau an der Spitze des Landes konnte dies sein, weil sie „der einzige Mann in der Kongresspartei“ war. Angela Merkel hat den Muff der Kohlschen Beziehungspolitik aus der CDU vertrieben, die westdeutschen Männerbünde in der Partei entmachtet und regiert seit 2005 dieses Land, nachdem die damalige SPD-Spitze verkündet hatte: „Die kann das nicht!“ Und da kommt Steinbrück ausgerechnet mit dem Frauenbonus? Einmal in ihrer politischen Karriere hat sie das weite Dekolleté als Mittel benutzt, die Titelseiten der großen Zeitungen zu belegen. Vielleicht ist auch, weil sie Frau ist, bisher niemand in diesen Großmedien darauf gekommen zu fragen, weshalb sie als erster deutscher Regierungschef seit Adolf Hitler der Wagner-Familie in Bayreuth regelmäßig zu besonderer öffentlicher Aufmerksamkeit verhilft. Ansonsten aber ist an ihrer Innen-, Außen-, Europa- und Weltpolitik sicherlich vieles zu kritisieren, aber nichts davon läuft unter der Überschrift: „Frauenbonus“.
Steinbrück benutzt dieses Scheinargument als Hilfskonstruktion, weil ihm offenbar nichts Inhaltliches einfällt. Er hat auch wenig vorzuweisen, was er denn wirklich anders machen würde. Die Frage, ob denn die SPD nicht Merkels Europa-Politik unterstütze, verneint er, um dann zu sagen: „Wir stimmen Rettungsmaßnahmen zu, weil wir das für den richtigen und verantwortlichen Kurs in unserer Europa-Politik halten“. Sehr interessant. Nur nicht alternativ.
Nach der Nominierung Steinbrücks zum Kanzlerkandidaten der SPD merkte die Linken-Vorsitzende Katja Kipping an, das sei eine Bewerbung für den Posten des Vizekanzlers. Steinbrück betonte dann mit großer Geste, er werde nur Kanzler sein oder nichts. Am 10. Januar 1947 geboren, wird er ohnehin dieser Tage 66 Jahre alt, er muss auch nichts mehr werden. In allen Umfragen aber gibt es keinen Steinbrück-Kick, der die SPD irgendwie vor die Christdemokraten führen würde. Es wird im September für Schwarz-Gelb nicht reichen, es ist nicht einmal ausgemacht, dass die FDP wieder in den Bundestag kommt, und für SPD-Grün reicht es ebenfalls nicht. Die CDU wird aller Voraussicht nach vor der SPD liegen. Damit wird Angela Merkel auch wieder die erste sein, die die Kanzlerschaft beanspruchen kann. In der SPD wartet man nach dem Abtreten von Steinbrück, der alle Verantwortung auf sich nimmt, wieder mit Frank-Walter Steinmeier als Vizekanzler-Kandidat auf – der war das ja schon einmal, unter Merkel.
Daneben aber steht Katrin Göring-Eckardt, seit der Urwahl im November 2012 eine der beiden Spitzenkandidaten der Grünen zur Bundestagswahl 2013. Sie ist nicht nur seit 2005 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und seit 2009 Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, sie hatte in der auslaufenden DDR Theologie studiert und war in der Wendezeit 1989/1990 in der neu gegründeten Oppositionspartei „Demokratischer Aufbruch“ engagiert. Dort war damals auch Angela Merkel; die eine ging zur CDU, die andere zu den Grünen. Vielleicht kommen sie ja 2013 wieder zusammen, wenn es rechnerisch reicht. Dann heißt der Vizekanzler jedenfalls nicht notwendig Steinmeier.
Peer Steinbrück weiß das offensichtlich: Es ist eine unmögliche Mission, gegen eine aus Sicht der Herrschenden dieses Landes wie der Mehrheit der Wähler erfolgreiche Regierungschefin anzutreten. Wechselstimmung gibt es nicht. Sie lässt sich auch nicht herbeireden. Wahrscheinlich macht Steinbrück deshalb eigenartige Sprüche, die weder eine Taktik noch die Strategie eines zielorientierten Wahlkampfes sichtbar werden lassen, und gibt jetzt den Mitt Romney. Der hatte gegen Obama auch nie wirklich eine Chance.
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