von Klaus Hammer
Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatte sich in München ein Künstlerkreis gebildet, aus dem vor allem zwei Russen, Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky, als Wegbereiter einer neuen Kunst hervorgehen sollten. Jawlensky hatte noch in Rußland der Offizierslaufbahn Ade gesagt und im Atelier von Ilja Repin seine ersten Kunsterfahrungen gesammelt. Aber erst in München und auf Reisen, vor allem in Frankreich, in der Auseinandersetzung mit den symbolischen Klangfarben Gauguins und den emotionalen Spannungen van Goghs, aber auch mit der unbewegten Sinnlichkeit der Farbe, die ihn bei Matisse faszinierte, fand er zu dem ihm eigenen Stil. Dabei bestimmte nicht die Vielfalt der Motive, sondern die Konzentration auf wenige Kompositionsformen sein Schaffen. Das waren zunächst Landschaften, Porträts und Stillleben. Mit den dann während des Ersten Weltkrieges im Schweizer Exil – in St. Prex am Genfer See – geschaffenen „Variationen über ein landschaftliches Thema“, die bis 1921 weitergeführt wurden (Wiesbaden wurde jetzt sein neuer Wohnort), ging er dann über in eine Malerei in Serien, denen er sich in Werkgruppen über Jahre hinweg zuwandte: den ab 1917 entstandenen „Mystischen Köpfen“ und zeitgleichen „Heilandsgesichten“, die seine Wendung zu einer spirituellen Dimension belegen, den „Abstrakten Köpfen“, die diesen Weg um geometrische Elemente ergänzen, und den späteren „Meditationen“ (1934-1937). Dem menschlichen Antlitz galt in den letzten 20 Schaffensjahren – seit 1929 litt er an einer arthritischen Erkrankung – seine vorrangige Aufmerksamkeit. Er erfand eine bis dahin unbekannte Formsprache, in der seine immer abstrakter werdenden, jede persönliche Dimension vermeidenden Bildnisse in immer neuen und anderen Farben und Formen oszillierten.
Dem engagierten Direktor der Kunstsammlung Jena, Erik Stephan, ist es in Zusammenarbeit mit Angelica Jawlensky Bianconi, der Enkelin des Künstlers, und dem Alexej-von-Jawlensky-Archiv in Locarno gelungen, eine höchst repräsentative Jawlensky-Ausstellung, die erste in Ostdeutschland überhaupt, zeigen zu können. Er knüpft damit an eine Tradition an, denn Gemälde von Jawlensky wurden seit 1912 mehrfach in Ausstellungen des Jenaer Kunstvereins vorgestellt, am umfangreichsten in einer Ausstellung im Sommer 1922, die beim Publikum wie in der Presse eine besonders starke Resonanz hervorrief. Dank zahlreicher bedeutender Leihgaben aus internationalen Sammlungen kann nun – 90 Jahre später – das Werk dieses großen Künstlers der klassischen Moderne nicht nur umfassend, sondern auch in einer bemerkenswerten Auswahl präsentiert werden. Erstmals wird auch eine der markantesten Arbeiten, die „Sizilianerin mit grünem Shawl“ (1912), die schon 1922 in Jena gezeigt, doch dann von den Nazis konfisziert worden war und lange Zeit als verschollen galt, wieder der Öffentlichkeit vorgeführt.
Während des Paris-Aufenthaltes Jawlenskys 1905 erregten gerade die Fauves Aufsehen, jene Künstlergruppe um Matisse und Derain, die in stark vereinfachten Formen und sich heftig reibenden Farbkontrasten malte. Auch Jawlensky begeisterte sich für die reine Farbe, die vor allem auf seinen Gemälden aufblühte, die nach 1906 entstanden und auf denen große Flächen den dominierenden Tönen vorbehalten sind. Ein starker Lyrismus kommt in seinen Stillleben, Landschaften und Menschendarstellungen zum Ausdruck. Gelb, Rot, sattes Blau werden hier und da von vibrierendem Schwarz getragen. Während des Aufenthalts an der Ostsee 1911 steigerte sich sein Mut zur Farbigkeit. Auf dem Gemälde „Kiefern“ (um 1911) wird die gespensterhafte Erscheinung der Bäume durch den Kontrast zu dem in nahezu reinen Farben aufgetragenen, zum Glühen gebrachten Boden geradezu herausgefordert.
Zu seinen lebhaften Farben trat bald die Linie hinzu: Anfangs umrandete er die Formen mit einer breiten Kontur; als er sie mehr vereinfachte, gelangte er 1911 zu einer gewissen gleichbleibenden Grundform mit rundlichen oder ovalen Gesichtern in frontaler Sicht. Gleichzeitig vergrößerte er jedoch die Augen und hob die Pupillen hervor. Ihr Ausdruck wurde ernst, mitunter maskenhaft-dämonisch gesteigert. In der Vereinfachung der Form und der Intensität der Farbe stellt „Der Buckel I“ (1911), die Darstellung einer buckligen Fischersfrau in Prerow, ein Höchstes dar. Die in Schwarz, Blau und Rot gesetzten Konturen vermögen den Farbenfluss kaum bändigen.
Was ihn, aus dem Kreis des „Blauen Reiters“ kommend, von den mächtigen Farbakkorden der Expressionisten unterscheidet, das ist die formale Modulation. Dabei hat er die starke Farbigkeit der russischen Volkskunst beibehalten. Er setzte kühne Farben flächig zwischen starke Konturen. Die Farbe wird zur symbolischen Unterstützung gedanklicher Absichten verwendet. Komprimierte Linearität und expressive Farbigkeit werden zur tiefgründigen Erforschung eines Menschen eingesetzt. Er rückt die Porträtierten bis an den Bildrand vor. Sie erhalten die hieratische Strenge einer Ikone.
Eine strenge geometrische Formensprache weist bereits die mit „Urform“ (1918) betitelte Arbeit auf, mit der die Reihe der „Abstrakten Köpfe“ einsetzt, die aber erst ab 1922 konsequent zur Serie entwickelt wird. In der Herausarbeitung der konstruktiven Elemente, die die Grundformen von Kreis, Dreieck und Rechteck variieren, entsprechen sie den Gestaltungsprinzipien des Bauhauses. Haben wir es hier nur mit einem harmonischen Klanggefüge zu tun, geht es um die Vision eines göttlichen Gesichtes oder soll es ein Gleichnis für kosmische Ganzheit sein?
Bei seinen „Abstrakten Köpfen“ wie „Meditationen“ geht es nicht mehr um die Darstellung eines Gesichtes, sondern um Elemente einer Formel, aus Farbflächen und -linien bestehend. In seiner Analyse des Menschenantlitzes, der Zerlegung in die reinen, abstrakten Verhältnisse der Maske, hört der Mensch auf, Mensch im organischen Sinne zu sein und wird auf einen rein geistigen Bezug, abgeschirmt gegen jeden Kontakt von außen, konzentriert. Die Flächen und Linien, die auch organische Verhältnisse „bedeuten“ und als Augen, Nase, Mund, Rundung des Kinns abgelesen werden können, verbinden sich mit einer Farbigkeit, die dem Strahlen von Kirchenfenstern nahekommt. Mit der sachbezogenen Zeichensetzung in der äußeren Form ist auch ein Äußerstes an Verinnerlichung erreicht, das Jawlensky in solchen Bildtiteln wie „Inneres Schauen“ oder „Nacht“ oder auch „Stummer Schmerz“ gleichzeitig ausspricht. Hier ist ein folgerichtiger Weg aus der Anschauung in die Abstraktion ablesbar, schaffen Form und Farbe mit der Erinnerung an Gegenständliches einen echten Ansatz zu einer Mystik, wie sie in den neunzehnhundertdreißiger und neunzehnhundertvierziger Jahren dann für viele so bitter notwendig werden sollte. Kunst als „Sehnsucht zu Gott“ – ein Hauch von Melancholie, Entsagung und Entrücktheit schwingt hier mit – bei einem, der seit 1938 vollständig gelähmt, mittellos, von den Nazis mit Malverbot belegt und als „entartet“ verfemt, 1941 in Wiesbaden starb.
In seinen Lebenserinnerungen hatte der unheilbar kranke Künstler, der trotzdem „wie besessen“ an seinen „Meditationen“ arbeitete, geschrieben: „Und jetzt lasse ich diese kleinen, für mich aber bedeutenden Werke für die Zukunft den Menschen, die Kunst lieben“. Wir können jetzt in Jena seine Arbeiten bewundern und über sie nachdenken.
Alexej von Jawlensky. Kunstsammlung Jena, Di/Mi/Fr 10-17 Uhr, Do 15-22 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr, bis 25. November; Katalog 25,00 Euro
Schlagwörter: Alexej von Jawlensky, Bauhaus, Blauer Reiter, Jena, Klaus Hammer