15. Jahrgang | Nummer 20 | 1. Oktober 2012

Bemerkungen

WeltTrends aktuell

Auf ihrer aktuellen Homepage fragt und antwortet die Redaktion der Zeitschrift WeltTrends: „Wer ordnet die Welt im 21. Jahrhundert? Ist das Zeitalter der Hegemonie beendet? Welche Spieler werden das Great Game der nahen Zukunft bestimmen? Dies sind die drängenden Fragen der internationalen Politik – und wir liefern Antworten in unserem Themenschwerpunkt: sachlich und pointiert, faktenorientiert und kontrovers. ‚Neue Weltordnung’ war der Titel der ersten WeltTrends-Ausgabe 1993; ‚Neue Weltordnung 2.0’ ist der Titel der nunmehr 86. Ausgabe.“
Und die Redaktion des Blättchens gratuliert den Kollegen herzlich zum 20-jährigen Jubiläum!

WS

WeltTrends. Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 86 – September / Oktober 2012 (Schwerpunktthema: Neue Weltordnung 2.0), Potsdam / Poznan, 9,50 Euro (für Bezieher des Newsletters: 6,- Euro) plus Porto. Weitere Informationen im Internet: www.welttrends.de

Verhältnismäßig

Weil ich fürderhin nicht mehr Gefahr laufen möchte, über meine Verhältnisse zu leben und dann womöglich unter den Rettungsschirm meiner Schwiegermutter kriechen müsste, gegen die übrigens Angela Merkel ein Waisenknabe ist, liebe Griechen, habe ich mir vorgenommen, genau zu prüfen, wie eigentlich meine Verhältnisse sind und wie ich ihnen entsprechend zu leben hätte.
Das erwies sich als schwieriger als gedacht, denn niemand sagt, welche Verhältnisse eigentlich gemeint sind. Das mit Rosi schloss ich aus, weil es schon lange zu Ende war. Das Verhältnis zu meiner Frau könnte gemeint sein, denn über dieses lebe ich tatsächlich. Sie kennen das doch noch von früher, als man vieles nur über Beziehungen als einer Sonderform der Verhältnisse bekam. Das „über“ kann man durch ein „durch“ ersetzen. Der Vorwurf klappt dann allerdings nicht mehr. „Wir haben durch unsere Verhältnisse gelebt“ – klingt wie die Bilanz von Heiratsschwindlern. Im Unterschied zu den führenden europäischen Staaten versprechen diese den Bund fürs Leben nur und schließen ihn nicht, um dann fortwährend mit seiner Auflösung zu drohen, weil man über seine Verhältnisse lebe.
Mancher denkt, es gehe dabei darum, dass man mehr ausgegeben habe, als man einnahm, aber das machen doch alle – Staaten zumindest. Bei Privatpersonen ist das anders. Da gibt es höchstens immer mal ein paar überschuldete, die fallen aber nicht ins Gewicht, sondern auf die Fresse.
Der Reichtumsbericht für Deutschland teilt mit, dass in den letzten Jahren die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer geworden sind. Der Ausweg besteht darin, bei den Armen zu kürzen und die Reichen zumindest in Ruhe zu lassen. Folglich haben vor allem die Armen über ihre Verhältnisse gelebt. Allerdings nicht über ihre Einkommensverhältnisse, sondern über die Kräfteverhältnisse. Und weil sie immer noch mehr bekommen, als man ihnen zutraut, erkämpfen zu können, nimmt man ihnen jetzt noch etliches weg. Darauf sollten sie sich aber nicht einlassen, sondern – um fürderhin nicht mehr über ihre Verhältnisse zu leben, sondern mehr zu bekommen, als sie den Wohlhabenden und ihrem Staat mit aller Kraft abnötigen können, – die Verhältnisse zu ändern.

Ove Lieh

Integrare

„Multikulti ist gescheitert, aber nicht die Integration“, stellte der Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky anläßlich des Erscheinens seines Buches „Neukölln ist überall“ richtig. Damit meint er, dass ein buntes Nebeneinander der Kulturen zu Konflikten führt, wenn daraus nicht ein Miteinander wird. Der Optimismus verlangt, daran zu glauben, dass sich Einwanderer in unsere Gesellschaft integrieren können, wenn ihnen zugleich zugestanden wird, ihre traditionellen Werte beizubehalten. Die Reibung, die daraus entsteht, ist das Thema des Theaterabends „Integrare heißt Erneuern!“, der in einem freien Projekt im Berliner Theater unterm Dach vorgestellt wurde.
Unter Anleitung des Schweizer Regisseurs Reto Kamberger haben die Schauspieler Anna Dieterich, Tobias Kaufhold, Marlies Ludwig und Ali Yigit aus eigenen Textbeiträgen eine Art Revue erarbeitet, in der sie verschiedene Berliner Bevölkerungsgruppen repräsentieren: Der Westberliner, die Ostberlinerin, die Frau aus Schwaben und der türkische Einwanderer in zweiter Generation. Sie nennen sich bei ihren wirklichen Vornamen und haben offenbar eigene Lebenserfahrungen einfließen lassen. Der Westberliner hat als Kind Ball an der Mauer gespielt, die Ostberlinerin wurde einst auf ein Gastspiel nach Wien gelassen, die Schwäbin verleugnet ihren Dialekt, und der Türke? Die Regie hat zugelassen, dass Ali Yigit mehr und mehr in den Mittelpunkt gerät. Unverständnis zwischen Ost, West und Schwaben ist denn offenbar doch kein so großes Problem, wie das Fremdeln zwischen Deutschen und Türken (die hier stellvertretend für andere Zuwanderergruppen stehen).
Die Vorurteile, das Aneinandervorbeireden, auch Ignoranz werden an- aber nicht ausdiskutiert. Das Ganze hat Tempo, oft Witz, mitunter auch die Andeutung von Tiefe, aber drei der Figuren sind nicht klar umrissen, oft nur Stichwortgeber, während der Vierte eine Geschichte bekommt. Das ist nicht wenig, aber es hätte sich aus der Konstellation mehr machen lassen. So bleibt die Forderung nach gegenseitigem Respekt, Zuhören, nach einem Miteinander. Letzteres blieb bei „Integrare“ noch im Ansatz stecken.

Frank Burkhard

Weitere Vorstellungen am 6., 7., 25. und 26. Oktober sowie am 10 u. 11.11., jeweils um 20 Uhr im Theater unterm Dach, Danziger Str. 101.

New Yorker Brausepulver

Fast 60 Prozent der New Yorker, so weisen seriöse Studien aus, sind übergewichtig oder fettleibig. Kindern sollen zu rund 40 Prozent betroffen sein. Dass dies andernorts in den USA nicht nennenswert anders aussieht, weiß zumindest jeder, der das Land schon mal besucht hat. Der Bezug auf Big Apple entspringt einer Meldung, der zufolge NY´s Bürgermeister Bloomberg nunmehr ein Gesetz erlassen hat, das diesem üblen Zustand entgegenwirken soll: Von nun an ist in Restaurants, Kinos, Stadien und an Straßenständen der Verkauf zuckerhaltiger Limonaden-Portionen, die größer sind als ein halber Liter, verboten. Abgesehen davon, dass diese Maßnahme nicht mehr ist als ein Tropfen auf heißes Fett ist, ein „Brausepulver“ quasi – es ist immerhin ein Anfang, denn der Konsum vornehmlich einer bekannten braunen Zuckerlösung gilt weltweit sehr zu Recht als einer der wichtigsten Gesundheitszerstörer, sofern man sie in solchen Mengen konsumiert, wie vor allem in den USA üblich, also hektoliterweise.
Dass es gegen Bloombergs Maßnahme jede Menge Widerstand gibt, versteht sich: Das Gesetz schränke die Freiheit der Bürger ein, gehört ebenso zum einschlägigen Mantra der „zivilisatorischen“ Empörung wie die Ankündigung der betroffenen Unternehmen, gegen diese Verfügung Klage zu führen.
Nach derzeitiger Kenntnislage ist eine ganz besondere Spezies aber noch nicht aktiv geworden: Diejenigen nämlich, die sich zunächst jahre- oder gar jahrzehntelanlang dem üppigen Verzehr von potenziell gesundheitsschädlichen „Lebens“mitteln hingegeben haben, dann daran erkrankten und anschließend die Produzenten des Konsumierten dafür verklagen. 2002 hatte selbst ein deutscher Richter (sic!) Coca Cola verklagt, weil er Infolge des täglichen Verzehrs von einem Liter des klebrigen Getränks sowie zweier Schokoriegel der Marken Mars und Snickers süchtig und zuckerkrank geworden sei. Doch die USA sind nun mal das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, was allein qua Begrifflichkeit ja Dummheit ausdrücklich einschließt. Wobei die bekanntermaßen kein amerikanisches Privileg ist. Aber der Spruch zum Thema, der stammt dann doch wieder von dort: „Freedom ist just another word for nothing left to loose“, womit im Zweifelsfalle wohl auch auch der eigene Verstand gemeint sein könnte.

Helge Jürgs

Kurze Notiz zu Wittenberg

Diese Stadt ist eine der schönsten von Sachsen-Anhalt, und eigentlich sogar schon wunderschön. Hier steht nicht nur allerhand herausgeputzte Geschichte herum, es hängt auch noch welche in Form von Gedenkplatten dran: Peter der Große, Dürer, Münzer – sogar eine für Lessing, der hier einst seine Magisterprüfung bestanden hat. Aber sonst ist alles auf jene glorreiche Zeit getrimmt, in der Luther an der altehrwürdigen Universität Sprechstunde hatte und Lucas Cranach im Rathaus saß. Melanchthon steht zur Erinnerung auf dem Markt, das (thüringische) Luther-Bier wird in jedem Café der Altstadt ausgeschenkt, und im „Souvenir-Laden No. 1“ gibt es eine spezielle Luther-Ecke mit Luther-Korn und Luther-Keks und natürlich der neuen englischsprachigen Luther-Biografie. Die Kassiererin dort sieht sich gerade das Ende von Dirty Dancing auf dem Laptop an („Mein Baby gehört zu mir!“), und die einzige Namenskarte, die hier nicht ausverkauft ist, heißt Kevin. Im Clack-Theater am Markt gibt es entweder Kabarett oder Travestie, und die nächste große Lesung gibt Ute Freudenberg im Thalia-Buchladen. Doch das alles versaut den Gesamteindruck überhaupt nicht!
Denn hier heißen die Restaurants so sinnfällig wie Carpe Diem oder In Vino Veritas. Und auch wenn das Schloss vergammelt, verbreiten die Evangelische Akademie, das Evangelische Predigerseminar sowie die Stiftung für christliche Kunst – und natürlich die englische Kirchenlieder trällernden Seniorinnen am evangelischen Büchertisch vor der Jugendherberge – ein ganz besonderes Ambiente, das in diesen heidnischen Breiten äußerst exotisch ist. Und auf so eine individuelle Note kommt es ja an.

Thomas Zimmermann

Eine Stadtrendite für die Städter

Berlin ist hoffnungslos überschuldet; wir wissen das. Und wir wissen auch, wie die Stadtregenten  dem bisher zu begegnen versuch(t)en: mit eisernem Sparen. Es soll nun hier nicht erörtert werden, welches Sparen an welcher Stelle sinnvoll, oder doch nur kurzatmig und kontraproduktiv war und ist; Beispiele für beides sind reichlich vorhanden, wenn auch nicht jedes sich so summiert wie der Großflughafen BER.
Unbedingt vermeldens- und begrüßenswert ist dafür die jüngste Entscheidung des Senats, verfügbare Berliner Liegenschaften – von denen es so viele gibt, wie in kaum einer anderen europäischen Metropole – künftig nicht mehr ausschließlich an Meistbietende zu verscherbeln, um ja optimal Kasse zu machen. Nunmehr soll (soll!) ein Veräußerungsfaktor einbezogen werden, um den es, eigentliche schon immer hätte gehen müssen: eine „Stadtrendite“. Gemeint ist die Frage, welchen gesellschaftlichen Gewinn die Stadt und ihre Einwohner aus Übereignung und der daraus erwachsenden Nutzung von Liegenschaften ziehen.
Gewiss – ganz außer Acht gelassen werden können die Finanzen deshalb natürlich nicht. Aber dass Grund und Boden Tafelsilber nicht des (gewählten) Senats sondern der (wählenden) Berliner sind und dass dieser vitale Aspekt mit jahrzehntelanger Verspätung nun endlich erkennbar Eingang gefunden hat in einen Regierungsbeschluss, das soll durchaus gewürdigt werden – selbst wenn dieser Schritt für zig-Tausende Quadratmeter Landesfläche zu spät kommt. Und auch wenn abzuwarten bleibt, welche Taten tatsächlich folgen werden.

Bernhard Reich

Es war einmal ein Spiel

Es war einmal ein schöner Sport, Fußball wurde er genannt, weil wetteifernde Mannschaften – erst auf Straßen und Wiesen, dann auf Sportplätzen und schließlich in Stadien – einen Ball mit dem Fuß auf und günstigstenfalls in  ein gegnerisches Tor bugsierten. Jaja, es ist lange her, dass es lediglich darum ging, ich weiß.
Bei der Nachfolge„sport“art, die irritierenderweise den gleichen Namen trägt, weil seinerzeit vergessen worden ist, diesen rechtlich zu schützen, berichten heute deutsche und anderweitige Schlagzeilen häufig über schwere Ausschreitungen da und dort, diverse Verletzte, Großaufgebote der Polizei, die die „Fans“ von und zu Eisenbahnzügen eskortiert wie weiland Kriegsgefangene, und die die Stadien überwacht und gegebenenfalls von sich prügelnden Horden träumt.
Laut Polizeigewerkschaft betragen allein die Personalkosten pro Fußball-Saison hundert Millionen Euro. Die von der Bahn aufzubringenden Gelder, um demolierte Züge zu reparieren, sind hier nicht mal inbegriffen. Auch jene Verletzungen nicht, die die Gesetzeshüter dabei davontragen.
Dies alles – so bekennt ein jeder in diese Branche verantwortlich Involvierte mit sorgenvoll gerunzelter Stirn – ist schlimm, wirklich schlimm. Und man etabliert Fan-Projekte, Stadionwachen, Aufklärung noch und nöcher. Nur eben halt: Gewalt, und damit korrespondierend, Chauvinismus und zum Teil Rassismus entfalten sich weiter.
Schuld der Sportler? Als Faktor zu vernachlässigen. Schuld der Vereine? Hier sieht´s schon schwieriger aus, denn Vereine (Unternehmen!) brauchen Aufmerksamkeit und volle Stadien, wenn sie ihr Spieler- und ihr Führungspotential weiter fürstlich entlohnen wollen. Fußball ist längst zu einer Wirtschaftsform geworden ist – auch wenn gelegentlich immer noch von der „schönsten Nebensache der Welt“ gesprochen wird. Warum hat der Trainer X statt Y aufgestellt? Ist die Abwehr von Z optimal besetzt? Wie viele Zweikämpfe hat O diesmal gewonnen? Was sagen die Ball-Anteil-Statistik oder die der Laufwege einzelner Akteure aus oder deren Laktatwerte – alles „demokratisch veröffentlicht“ – aus? Und was stand in jenem über 500-seitigen Dossier, das Nationaltrainer Löw vor dem Europameisterschafts-Spiel („Spiel!“) gegen Italien zwecks Vorbereitung von profunden und vermutlich ebenfalls gut verdienenden Profis erarbeitet bekommen hat?
Fragen über Fragen.
Das Prinzip „Brot und Spiele“ geht auf das antike Rom zurück und wird bis heute mit unveränderter Zielstellung angewandt – um Menschen, ihren Emotionen und ihrem potentielles Engagement ein vergleichsweise harmloses Ventil zu geben, das politisch allemal ungefährlich ist. Und das lässt man sich gern besagte 100 Millionen kosten. Aber was heißt hier „man“? Gezahlt wird ja aus Steuergeldern, also von den „Ventilierten“ selbst …

HWK

Medien-Mosaik

Es macht doch auch Spaß, dass der kleine Jasper seinem Vater helfen kann, den Altkleider-Container zu plündern. Doch die Sache hat einen ernsten Hintergrund. Stefan ist getrennt lebender Vater, der an wenigen Tagen in der Woche versuchen muss, seinem Sohn etwas zu bieten, und er ist arm. Seit er seine Stelle als Krankenpfleger verlor, versucht er, allen etwas vorzumachen. Er lehnt Hilfe von Ämtern, von Freunden und Verwandten ab und gibt vor, es ginge ihm gut. Jasper, so klein er auch ist, merkt schon etwas, und nach und nach wachsen auch in den anderen Zweifel. In seiner Ausweglosigkeit beschließt Stefan, seinen Körper zu verkaufen – auf grausame und humane Art zugleich.
Curtis Burz’ Film „Gib mir noch ein Jahr“, in dem der Regisseur sehr sensibel selbst die Hauptrolle spielt, lief erfolgreich auf mehreren Festivals – gerade erst in Montreal – und startet Anfang Oktober in deutschen Kinos. Er ist eine ergreifende Sozialstudie, erzählt in langen Einstellungen, in denen die Dialoge nur eine untergeordnete Rolle spielen. Seine Langsamkeit macht die Geschichte sehr intensiv. Allerdings merkt der Zuschauer recht schnell, dass die Geschichte auf ein schlimmes Ende hinausläuft. Kleine Katastrophen werden aufeinander gehäuft, und Überraschungen finden nicht mehr statt. Doch wer der schnellen Komödien überdrüssig ist, weiß es zu würdigen, dass hier ein Stück soziale Wirklichkeit von heute gezeigt wird. (Gib mir noch ein Jahr, ab 4. Oktober im Babylon Berlin und ausgewählten Spielstätten.)

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Soziale Wirklichkeit der späten vierziger bis zu den frühen siebziger Jahren in der DDR bringt der Bildband „Alltag in der DDR: So haben wir gelebt“. Nach zahlreichen Bänden von renommierten Fotografen kommt hier das erstaunliche Werk eines Amateurs zum Vorschein, das den Vorteil hat, dass er ohne offiziellen Auftrag Alltag dokumentierte. Manfred Beier (1927-2002) war ein Berliner Lehrer in Lichtenberg, der sein Hobby, die Fotografie, besonders intensiv auslebte. Seinem Sohn Nils ist es zu danken, dass Beiers Archiv bewahrt und ausgewertet werden konnte. Die großformatigen Aufnahmen verraten viel darüber, wie man damals lebte (bis 1961 auch mit dem Blick gen Westen). Auf Urlaubsreisen, Schulungs- und Klassenfahrten entdeckte Beier viele Regionen der DDR mit seiner Kamera. Zahllose Details sind zu entdecken an Kleidung und Frisuren, an Straßenverkehr und Wiederaufbau, an Geschäften und Propaganda, und gelegentlich bekam Manfred Beier auch einen Prominenten wie den Dichter Martin Andersen Nexö vor seine Kamera. Er hat alles säuberlich notiert, so dass Herausgeber Nils Beier manches dazu beitragen kann, das Leben in der vergangenen Republik besser zu verstehen. (Manfred Beier: Alltag in der DDR, Komet Verlag, Köln 2012, 312 Seiten, 14,99 Euro)

bebe

Wirsing

Worin zeichnen sich Sozialisten aus? Sie sollten immer auf der Höhe der Zeit sein, ihren Klassenstandpunkt nicht verleugnen, sich für die Unterdrückten einsetzen, die Vergangenheit kennenlernen, um die Gegenwart deuten zu können, immer frohgemut sein und auf die Gesundheit achten. Müssen Sozialisten auch rechnen können? Das nicht unbedingt, wenn man die sozialistische Tageszeitung neues deutschland richtig interpretiert. Der Feuilletonchef gratulierte da dem unvergessenen Fernsehkriminalisten Oberleutnant Fuchs alias Peter Borgelt zum 75. Geburtstag. Da er 1927 geboren wurde, wäre jetzt wirklich so ungefähr sein 75. (Aber bitte, nicht nachrechnen!) In den Leserbriefspalten wurde an den 60. Todestag von Hanns Eisler erinnert, über den man eigentlich alles weiß, so daß sich jedes Wort erübrigt. Weiß man aber auch, dass er 1962 starb? Eben, die 1962 Geborenen sind heute 60. Ja, die Vergangenheit kennen, aber ihr nicht hinterherrechnen …
All dies ist allerdings nichts im Vergleich zu dem Ungemach, der den Jungs aus dem Bundesjustizministerium jetzt droht. Die Berliner Zeitung deckte es auf: „Der Gesetzentwurf zur Beschneidung von Jungen des Bundesjustizministeriums ist am Mittwoch an Experten verschickt worden.“

Fabian Ärmel