von Christoph Marischka
Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSC) der EU war fleißig am 10. Juli 2012 und in den Wochen davor. Seine wesentliche Funktion besteht darin, die von den militärischen Stäben der EU ausgearbeiteten Einsatzkonzepte zwischen den teilnehmenden Staaten politisch abzustimmen und dann zu beschließen. Im Gegensatz zu den Beschlüssen des Rates, die zunehmend auf Vorrat verabschiedet und öffentlich gemacht werden, sind die Einsatzkonzepte nicht einsehbar. Somit ist schwer zu erschließen, was genau der Inhalt der drei neuen Missionen im Rahmen der so genannten Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) im Südsudan, in Niger und am Horn von Afrika sein wird, die am 10. Juli vom PSC auf den Weg gebracht wurden, als hätte es gegolten, noch vor der Sommerpause Nägel mit Köpfen zu machen.
Beginnen wir mit dem Südsudan, der vor ziemlich genau einem Jahr mit massiver westlicher Unterstützung seine Unabhängigkeit vom Sudan erklärt hatte und seit dem in einer Reihe interner und Grenzkonflikte mit dem Sudan versinkt, während unter anderem aufgrund der Einstellung der Erdölförderung die Hälfte der Bevölkerung vom Hunger bedroht ist. Die Mission „EUAVSEC South Sudan“ soll in der Hauptstadt des neuen Staates, Juba, ihren Sitz haben und vor allem der Flugsicherheit am dortigen Flughafen dienen. Damit will man verhindern, dass dieser ein Ziel von Terroristen werden könnte, und zugleich sollen so Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung des Südsudan geschaffen werden. In der Pressemitteilung zum entsprechenden EU-Ratsbeschluss vom 18. Juni 2012 wird die Mission außerdem damit begründet, dass der Südsudan ein Binnenstaat und hochgradig abhängig vom Luftverkehr sei. Tatsächlich soll mit der Aufwertung des Flughafens auch eine größere Unabhängigkeit vom Restsudan und eine engere Anbindung an die Geburtshelfer des neuen Staates in Europa und Nordamerika gewährleistet werden. Die EU-Mission reiht sich somit ein in andere Infrastrukturprojekte, an denen auch die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit beteiligt ist, die unter anderem den Ausbau des Verkehrsnetzes nach Äthiopien, Kenia und Uganda – alles enge Verbündete des Westens und Empfänger deutscher und europäischer Militärhilfe – beinhalten. Für eine „zivile“ GSVP-Mission ist EUAVSEC mit 64 Einsatzkräften relativ umfangreich. Im Grunde kann damit die gesamte Flughafensicherheit bis in die unteren Führungsebenen mit Angehörigen der EU-Mission besetzt werden. Entsprechend groß ist auch das Interesse von Nicht-EU-Staaten, sich an dieser Mission und damit an der Internationalisierung eines möglichen neuen Verkehrsknotenpunktes für Ost- und Zentralafrika zu beteiligen. So sollen zum Beispiel bereits die Schweiz, Norwegen, die Türkei, die USA, Kanada, Kenia, Uganda, Südafrika, China und Japan ihre Bereitschaft zur Beteiligung signalisiert haben.
Auch bei der Mission in Niger handelt es sich offiziell um eine „zivile“ Mission, obwohl in den Ausschreibungen gerade für die leitenden Posten explizit ein militärischer Rang eingefordert wird. Aufschlussreich in dieser Hinsicht ist auch ein Schreiben des PSC an die Mitgliedsstaaten, wonach das für die Mission abgestellte Personal „seine Uniformen mitbringen wird. Vor Ort wird der Missionsleiter je nach den lokalen Umständen Kleidungsvorschriften erlassen und bestimmen, ob von den Mitgliedern der Mission zivile Kleidung oder Uniformen getragen werden soll“.
Der offizielle Name der Mission wird wahrscheinlich „EUCAP Niger“ lauten, obwohl bislang gelegentlich noch von „EUCAP Sahel“ und „EUCAP Sahel Niger“ die Rede ist. Das „CAP“ dabei steht für den „Kapazitätsaufbau“, vornehmlich soll es wohl um den Aufbau von Gendarmeriekräften gehen. „Sahel“ verweist darauf, das entsprechende Missionen ursprünglich im Rahmen der letztes Jahr verabschiedeten EU-Sahel-Strategie auch in Mauretanien und Mali geplant waren oder aber eine Mission, die alle drei Staaten umfassen sollte. Diese Strategie ging aus Erkundungsmissionen der EU in allen drei Staaten hervor. Sie beruhte auf der Bedrohungsanalyse, dass es auf Grund einer mangelnden Präsenz des Staates (und seiner Sicherheitskräfte) in der Fläche, einer zunehmenden Verarmung der Bevölkerung und absehbarer Hungerkatastrophen zu Aufständen kommen könnte, die ein gutes Umfeld für islamistische Terrorgruppen bilden könnten. Bezeichnenderweise gehen selbst Mitarbeiter der Regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik davon aus, dass gerade die EU-Sahel-Strategie dazu beigetragen haben dürfte, dass sich diese Befürchtungen Anfang des Jahres in Mali bewahrheiteten. So schrieben Denis M. Tull und Wolfram Lacher in ihrer Studie „Die Folgen des Libyen-Konflikts für Afrika“ zu den Hintergründen des Aufstandes im Norden Malis: „Im Jahr 2011 begann die malische Regierung […], ein maßgeblich von der EU unterstütztes Programm zu verwirklichen, das die staatliche Präsenz im Norden ausweiten sollte. Das brachte die Anführer der Rebellionen der 1990er Jahre und von 2006 vollends gegen die malische Führung auf. Nach Ansicht der ehemaligen Rebellen widersprach die Stationierung zusätzlicher Sicherheitskräfte den Friedensabkommen der 1990er Jahre, denn diese sahen vor, die militärische Präsenz im Norden zu verringern.“
Zwar ist von Seiten der EU weiterhin die Rede davon, dass die EUCAP-Mission ihren Schwerpunkt in Niger haben werde, tatsächlich deutet jedoch alles darauf hin, dass sie sich – neben einigen auszubildenden Gästen und Geheimdienstlern aus den Nachbarstaaten – auf die Hauptstadt Niamey beschränken wird. Denn die Bewegungsfreiheit selbst für die „Sicherheitskräfte“ der Anrainerstaaten im Sahel ist gegenwärtig eng begrenzt. Auch in den Niger sind nach dem Krieg in Libyen viele Waffen und Kämpfer eingesickert, und manche sprechen bereits davon, dass diese auch im Norden des Niger weitgehend die Kontrolle übernommen hätten – zu einem sichtbaren Aufstand sei es allein deshalb nicht gekommen, weil der Niger keine Gegenmaßnahmen ergriffen hätte.
Die EUCAP-Mission wird sich selbst nicht unmittelbar an der Aufstandsbekämpfung im Norden beteiligen, sondern lediglich die Kräfte hierfür ausbilden und ausrüsten. Die internationale Präsenz könnte allerdings verhindern, dass auch im Niger der Aufstand im Norden und die dadurch gebundenen Kräfte die Bedingungen für einen Putsch in der Hauptstadt schaffen – oder im schlimmsten Fall dafür sorgen, dass ein solcher noch vor der Stationierung der Internationalen Kräfte stattfindet.
Auch die neue Mission am Horn von Afrika trägt den „Kapazitätsaufbau“ in ihrem Namen „EUCAP Nestor“. Diese Mission wird demnächst in Somalia, Djibouti, Kenia und den Seychellen beginnen, Vorausteams sind bereits vor Ort. Später soll die Mission unter anderem auf Tanzania und Mosambik ausgeweitet werden können – ursprünglich war auch eine Beteiligung des Jemen vorgesehen. Der Kapazitätsaufbau soll sich hier auf die maritimen Kapazitäten konzentrieren und erfolgt im Rahmen der so genannten „Bekämpfung der Piraterie“. Europäische Marinesoldaten sollen in den Küstenstädten der betreffenden Länder stationiert werden und diese unter anderem bei der Ausbildung ihrer Marinekräfte unterstützen – auch im Einsatz selbst. Dazu sollen sie gegebenenfalls eine Koordinationsfunktion bei der Ausstattungshilfe ausüben, was bedeutet, dass den entsprechenden Staaten kostenlos militärische Ausrüstung (keine Waffen und Munition im engeren Sinne) überlassen wird.
Im Falle Kenias, Djiboutis und der Seychellen dürfte es sich dabei vor allem auch um Gegenleistungen für deren Unterstützung der Aktivitäten der EU am Horn von Afrika handeln. Djibouti stellt der EU und der NATO dafür großzügig militärische Infrastruktur und Stützpunkte zur Verfügung. Kenia und die Seychellen haben für die EU das dreckige Geschäft übernommen, die von ihr festgesetzten Piraterieverdächtigen zu inhaftieren und auf dünner rechtlicher Grundlage abzuurteilen. Kenia und Äthiopien, die beide zusätzlich in das jüngste Programm für die militärische Ausstattungshilfe durch Deutschland aufgenommen wurden, haben außerdem mittlerweile große Teile des Südens Somalias und von dessen Zentralregion unter ihre Kontrolle gebracht und wurden von der EU dabei mehr oder weniger offen unterstützt. Diese rückt zunehmend von ihrer Unterstützung für die korrupte und aus dem Ausland geführte somalische Übergangsregierung ab und neigt stattdessen dazu, Somalia in Einflusssphären aufzuteilen. Während der Süden und der mittlere Westen Somalias den Nachbarn Kenia und Äthiopien überlassen werden, sollen im Norden die lokalen Regierungen Puntlands und Somalilandes gestärkt werden. Auch dem soll EUCAP Nestor in völkerrechtlich höchst zweifelhafter Manier dienen, sollen es doch gerade diese Provinzen sein, deren maritime Fähigkeiten ausgebaut werden sollen, obwohl diese formal über gar keine Küstenwache oder Marine verfügen, weil dies Aufgabe des Gesamtstaates ist.
Generell lassen alle drei Missionen große Gemeinsamkeiten erkennen, welche Aufschluss über die sich herausbildende EU-Strategie liefern und sich in diese gut einpassen. Es handelt sich bei allen drei Missionen formal um zivile Missionen, von denen aber mindestens zwei eine starke militärische Komponente haben. Im Vergleich etwa zu den von der EU aufgestellten Battlegroups handelt es sich zudem um recht kleine Missionen, die nicht auf militärische Konfrontationen ausgerichtet sind, sondern vor allem den Schutz kritischer Infrastrukturen (Regierungsviertel, Flug- und Seehäfen) beinhalten und den Aufbau lokaler Kräfte zur Bekämpfung möglicher Aufstände an der Peripherie (beziehungsweise der Piraterie auf See). Sie sind dabei eingebettet in regionale Strategien des Staatsaufbaus und der bewussten Stärkung kooperationsbereiter lokaler und regionaler Akteure und der Schwächung gegnerischer Kräfte. Sie erinnern damit stark an frühere Strategien des europäischen Kolonialismus. Schockierend auch, dass derartige Missionen ohne öffentliche Debatte und parlamentarische Kontrolle in Brüssler Hinterzimmern konzipiert werden.
Erstveröffentlichung unter: http://www.heise.de/tp/artikel/37/37280/1.html
Schlagwörter: Afrika, Christoph Marischka, EU, Horn von Afrika, Niger, Piraterie, Sudan