von Bernhard Romeike
Aus Anlass des 90. Geburtstages von Egon Bahr fand unter anderem im März eine Diskussionsveranstaltung mit Bahr und Valentin Falin im Russischen Haus in Berlin statt. Beide kennen sich bereits aus Zeiten der „Neuen Ostpolitik“, als der eine der persönliche Vertraute von Bundeskanzler Willi Brandt und der andere der des KPdSU-Generalsekretärs Leonid Breshnew in Bezug auf die damaligen Beziehungen beider Staaten war. Es ging an dem Abend um viele verschiedene Themen, die Ostpolitik und die damalige Entspannungspolitik, aber eben auch um geschichtliche Linien. Falin erläuterte, dass die antirussische Richtung der Außenpolitik Großbritanniens, Frankreichs und dann der USA bis ins 19. Jahrhundert zurückgeht. Sie hatte während der Zeit der Sowjetunion nur eine spezifische ideologische Aufladung erfahren, ist mit dem Ende des Kalten Krieges aber nicht verschwunden. Deshalb kann die russische Politik machen, was sie will, diese Länder des Westens werden ihr immer feindlich begegnen.
Egon Bahr bestätigte, dass auch heute die strategischen Planungen dieser Länder zum Ziel haben, Russland „aus Europa“ herauszuhalten. Deutschland jedoch habe andere Interessen. Die „strategische Partnerschaft“ zwischen Deutschland und Russland sei von Breshnew bis Putin und von Brandt bis Merkel immer betont worden.
Das meinte ich, als ich im vorigen Blättchen (No. 17/2012) schrieb, dass die Kampagne in Sachen „Pussy Riot“, an der sich auch deutsche Politiker und Medien mit Eifer beteiligten, sehr wohl im Interesse der USA oder Großbritanniens liegt, nicht aber im deutschen. Das war als Beschreibung der tatsächlichen Verhältnisse gemeint, nicht als ideologische Äußerung. Deshalb hat mich auch die Leserinnen-Meinung von Frau Zeller nicht wirklich getroffen, weil es bei der Beschönigung der sowjetischen Verhältnisse in der DDR tatsächlich um Ideologie ging. Das heutige Russland ist ein kapitalistisches Land, wie Deutschland, die USA oder Großbritannien auch, und zwischen ihnen gibt es die „normalen“ Auseinandersetzungen imperialistischer Staaten, wie sie verschiedene Autoren bereits vor dem Ersten Weltkrieg beschrieben haben. Es ging mir nicht um Beschönigung der Politik Putins, sondern um die Benennung dessen, worum es wirklich geht – das sind jedenfalls nicht die Punk-Damen.
Nun gab es während der vergangenen Tage in den verschiedenen Medien nicht nur Propagandatexte. In der Zeitung Neues Deutschland war am 22. August ein sehr differenzierter, nachdenklicher Artikel von Kai Ehlers zu lesen. Er verwies darauf, dass die übergroße Mehrheit der Bevölkerung Russlands die Aktion der jungen Frauen in der Kirche ablehnt. Die Zustimmung zu dem gegen sie ergangenen Gerichtsurteil liegt zwischen 50 und 70 Prozent, die Ablehnung des Urteils bei 15 bis 20 Prozent, der Rest ist unentschieden. Das heißt auch, die Regierung kann sich auf eine breite Zustimmung der Bevölkerung in dieser Angelegenheit stützen.
Ehlers vergleicht diese jetzigen Auseinandersetzungen in Russland mit denen in Westdeutschland nach 1968. Die „Pussy Riots“ verstehen sich als feministisch-anarchistischer Protest „gegen eine patriarchal verknöcherte Gesellschaft“, zu dem sich in der damaligen westdeutschen Geschichte Analogien finden lassen. Geschichte wiederhole sich nicht, Russland ist nicht Deutschland. Und in Russland kommen zu den Folgen des Stalinismus noch die der „aus dem globalisierten Kapitalismus“ resultierenden Krise hinzu. „Aus diesem doppelten Umbruch ist die Maßlosigkeit der gegenwärtigen Ereignisse zu verstehen – solcher Aktionen, wie denen der ‘Pussy Riots’, wie die der Reaktionen der Mehrheitsgesellschaft und des Staates.“
Und in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (26. August) geißelte ein Kommentator die ganze Aufregung in Sachen „Pussy Riots“ unter der Überschrift: „Für wen setzen wir uns da eigentlich ein?“ voller Abscheu vor deren „vulgären Provokationen“, womit er Ehlers’ Befund von konservativer Seite bestätigte.
Bereits am 20. August hatte im Neuen Deutschland Hans-Dieter Schütt sein Bekenntnis „weltweit“ verkündet: „I am Pussy Riot“. Das sei jetzt der Satz der Freiheit, der nach Russland hinübergerufen werden müsse. Um seinen linken Leserinnen und Lesern dies schmackhaft zu machen, möchte er das aber mit dem Ruf in Richtung USA verbinden: „Freiheit für Bradley Manning!“ Das soll ein ständig zu wiederholender Satz werden, wörtlich: „Das muss Artikel und Reden abschließen, wie Cicero die seinen abschloss: Und im Übrigen bin ich dafür, dass Karthago zerstört werden muss!“
Nun ist der Satz: „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam“ jedoch nicht von Cicero, sondern von Cato dem Älteren – als Cicero 106 v. Chr. geboren wurde, lag die Zerstörung Karthagos bereits 40 Jahre zurück. Aber das macht ja nichts. Wer die DDR-Schule nicht besucht hat, glaubt nun wahrscheinlich, dass das da nicht vorkam.
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