von Heiner Flassbeck, Genf
Man ist ja so einiges gewöhnt von unseren Politikern und Beamten, was aber jetzt in der Eurozone geboten wird, ist schon an der Grenze der Vorstellungskraft. Dieser Tage sagte der Fraktionschef der Liberalen, Eurobonds, wie vom neuen französischen Präsidenten Hollande vorgeschlagen, seien „Zinssozialismus“ und den werde man auf keinen Fall mitmachen. Ähnlich äußert sich ein hoher Beamter des Finanzministeriums in einen Brief an den Chefkommentator der „Financial Times“ in London und beklagt dessen kritische Kommentare über die Berliner Regierungskunst mit Argumenten, die einem die Haare zu Berge stehen lassen.
Da kommt etwas zum Ausdruck, was es bisher so in der Bundesrepublik nicht gegeben hat und was einen sehr bedenklich stimmen muss. Das Berliner Regierungsviertel hat sich eingemauert hinter schlechten Argumenten und kann schon nicht mehr über die Mauer schauen und sehen, wie der Rest der Welt, und diese geographische Einordnung ist in diesem Fall ausnahmsweise keine Übertreibung, nur noch den Kopf schüttelt über den Berliner Starrsinn und sich fragt, was man noch dagegen tun kann, da die Rationalität offenbar an eine Grenze stößt.
Mit Zinssozialismus meint Herr Brüderle offenbar die Tatsache, dass im Falle von Eurobonds die Unterschiede in den Zinssätzen zwischen den Ländern in der Eurozone verschwinden würden. Was, so eine in Berlin weitverbreitete Meinung, dazu führen müsse, dass die Länder, die jetzt tief in der Bredouille sind, wieder anfangen, fröhlich über ihre Verhältnisse zu leben und den Herrgott einen guten Mann sein lassen, statt sich am Riemen zu reißen und ihre Verhältnisse in Ordnung zu bringen.
Bezeichnenderweise ist Herrn Brüderle und allen anderen in Berlin der Zinssozialismus, den die Märkte, die Kapitalmärkte nämlich, in den ersten acht Jahren der Währungsunion praktizierten, gar nicht aufgefallen, und sie haben ihn auch nicht beklagt. Da waren die Zinsen für staatliche Anleihen absolut gleich zwischen Deutschland und Griechenland, obwohl die Staatshaushalte in Sachen aktuelle Schulden und Schuldenstand damals schon sehr differierten.
Vor der Währungsunion war das in der Tat anders, da waren die Zinsen weit gefächert, aber auch die Zinsen von Ländern wie Frankreich, die keine aus dem Ruder laufenden Staatshaushalte hatten, waren höher als die deutschen. Das war aber keineswegs der deutschen Staatshaushaltsdisziplin geschuldet, sondern einzig und allein der Tatsache, dass Deutschland immer eine etwas niedrigere Inflation als die anderen Länder aufwies. Weil alle wussten, dass diese Inflationsdifferenz früher oder später durch eine Abwertung der Währung der Länder mit höherer Inflation ausgeglichen werden musste, spiegelte sich diese Abwertungsgefahr in den Zinsen der Staatsanleihen, nicht aber unsichere Staatsfinanzen und ein „Druck der Märkte“, um „unsolide Verhältnisse“ zu beenden.
Es gab noch nie die „Disziplinierung“ durch die Kapitalmärkte, die heute von der Berliner Laienspielschar als besonderes Kennzeichen freier Märkte beschworen wird. Märkte glauben in der Regel, dass Staaten ihre Schulden bezahlen, jedenfalls dann, wenn die Schulden in der eigenen Währung begeben sind, weil die Staaten sich diese Währung im Zweifel über ihre Notenbank „besorgen“ können. Daher war der Realzins, also der langfristige Zins nach Abzug der Inflation, in den „unsoliden“ Ländern vor dem Euro auch nicht systematisch höher als im soliden Deutschland. Erst mit dem Euro sanken die Realzinsen in den Südländern stärker als in Deutschland.
Mit Beginn der Währungsunion sind die nominalen langfristigen Zinsen überall gleich geworden, weil man unterstellte, die Währungsunion werde ein Erfolg und die Inflationsraten blieben von nun an gleich. Gesunken sind die Zinsen seit Beginn der Währungsunion überall, weil die wichtigsten Zentralbanken der ganzen Welt ihre Ausleihezinsen senkten und das auf die Märkte für langfristiges Kapital durchschlug. Folglich kommt im heutigen Auseinanderlaufen der Zinsen etwas ganz anderes zum Ausdruck als eine Disziplinierung durch die Märkte. Viele Marktteilnehmer glauben nicht mehr, dass alle Euro-Staaten ihre Anleihen in Euro zurückzahlen werden. Das Wichtigste in einer Währungsunion, die Angleichung der Inflationsraten, hat nämlich überhaupt nicht geklappt.
Deswegen haben auch die ganzen Gipfel und deren Beschlüsse zur Haushaltsdisziplinierung an den Zinsdifferenzen kaum etwas geändert. Niemand glaubt nämlich, dass die beschlossenen Maßnahmen wirken können und dass sie wirklich zielführend sind, weil das Problem auseinanderlaufender Inflationsraten noch nicht wirklich angegangen ist, auf jeden Fall nicht in einer Weise, die politisch durchhaltbar erscheint.
Daraus ergibt sich, dass die Verhinderung von Zinssozialismus im Brüderleschen Sinne nichts anderes bedeutet als das Ende der Währungsunion. Wer nicht für möglich hält, dass die Euro-Länder wieder vollständig gleiche Zinsen haben, sagt implizit, dass er das Ende der Währungsunion nahen sieht. Er bestätigt die Märkte, die Gleiches glauben.
Währungsunion ist Zinssozialismus! Wer Zinssozialismus nicht mit relativ unabhängigen Staaten und unabhängiger Wirtschaftspolitik hinbekommt, weil der Ausgleich der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Regionen nicht gelingt, muss den Zinssozialismus über dauerhafte Transferzahlungen erzwingen, wie es in der deutsch-deutschen Währungsunion noch immer der Fall ist.
Das alles und die traurigen Argumente aus dem Bundesfinanzministerium bestätigen, was schon lange zu vermuten war. So eine Währungsunion scheitert nicht primär an derUnfähigkeit der Menschen in den beteiligten Ländern, sich an ihre und an die Verhältnisse der Union anzupassen. Sie scheitert an der Unfähigkeit allzu vieler Politiker, über ideologische Schatten zu springen und eine ernsthafte Diskussion über die Logik eines solch komplexen Gebildes zu initiieren und daraus zu lernen.
Aus Wirtschaft und Markt Juli-August/2012.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages.
Schlagwörter: Euro, Heiner Flassbeck, Inflation, Reiner Brüderle, Währungsunion, Zinssozialismus