15. Jahrgang | Nummer 12 | 11. Juni 2012

Antworten

Konstantin Wecker, Aufrichtiger – Am 1. Juni sind Sie 65 geworden. Das ist heutzutage eigentlich kaum noch das, was man unter Alter versteht; Sie selbst sind mit Ihrer rastlosen Energie das beste Beispiel für diesen begrifflichen Deutungswandel. Wir wollen hier aber nicht anfangen, alles Lobens- und Bewundernswerte an Ihnen aufzuzählen; Blättchen-Leser haben eine hinreichende Vorstellung davon. Wovor wir allerdings zuvorderst unseren Hut ziehen, ist Ihre Gradlinigkeit – eine Eigenschaft, die nominell ebenso hoch im Kurs steht wie sie selten ist. „Sich selbst angehören, ist der größte erstrebenswerte Lebensluxus“, hat Theodor Fontane einmal gesagt. Und wenn jemandem nachzurühmen ist, dass ihm das gelungen ist, dann gewiss Ihnen. Wir freuen uns auf viele weitere gute Jahre mit Ihnen und Ihren Liedern.

Petra Pau, Bundestagsvizepräsidentin – Sie bezeichnen die Situation in der Linkspartei als widersinnig:  „Eine konsequente Friedenspartei führt innerparteiliche Kriege.“ Dem haben wir nichts hinzuzufügen, hegen allerdings  wenig Hoffnung, dass das nach Göttingen anders wird.

Christine Lagarde, unglaublich forsche IWF-Chefin – „Die Griechen sollten sich gemeinsam selber helfen, indem sie alle ihre Steuern bezahlen“, haben Sie harsch verkündet. Nun werden aber auch in Griechenland Ottolos Normalverbraucherlopuolos die Lohnsteuer gleich abgezogen wird und zumindest er den Staat kaum um diesen Obolus betrügen kann. Dafür aber lagern dem Vernehmen nach rund 200 Milliarden von griechischen Bessergestellten auf Schwarzgeldkonten allein in der Schweiz. Da wäre man schon auch für einen Tipp Ihrerseits dankbar, wie dieses Geld in den volkswirtschaftlichen Kreislauf zurückgeführt werden könnte, wo es hingehört. Aber wahrscheinlich gehen Sie statusbedingt davon aus, dass höhere Einkommen grundsätzlich steuerfrei gewährt werden – wie in Ihrem Fall (rund 400.000 Euro per anno).

Benedikt XVI., Tieftrauriger – In der Annahme, gerade Sie würden über Verbindungen nach ganz oben und damit über verbindliche Klärungen von Unerklärlichem verfügen, enttäuschen Sie uns derzeit mit ihrer bitteren Klage über die Medien, die auf der Grundlage „ unbegründeter Vermutungen – etwa im Hinblick auf die Vatikan-Bank – derzeit ein derart falsches Bild vom Heiligen Stuhl zeichnen würden, dass Ihrer Heiligkeit Herz nun „mit Traurigkeit erfüllt“ ist. „Ach Gott“, möchte man mitleidig sagen, obgleich diese Floskel aus unserem Munde einen leicht blasphemischen Touch nicht verleugnen kann. Vielleicht sollten Sie einfach zur bewähren Tradition zurückkehren. Immerhin galten Zinsnahme und Wucher in Ihrer Kirche bis ins Mittelalter als Todsünde. Die damalige Zeit war zwar finster, aber offenbar war nicht jeder Fortschritt ein wirklicher solcher …

Günter Wallraff, Rächer der Enterbten – Sie waren also mal wieder undercover und haben sich solcherart beim Paketzusteller GLS verdingt. An sich selbst erlebt haben Sie laut Spiegel Online „Schlechte Bezahlung, hohes Unfallrisiko und Ausbeutung“. Wir gehen davon aus, dass es Sie nicht wirklich überrascht hat, auf „Menschenschinderei mit System“ und „eine Form der modernen Sklaverei“ zu stoßen, da Sie dergleichen seit Jahrzehnten aufdecken. Unseren Respekt aber vor Ihrem ungebrochenen Kampf im System gegen dessen Fundamentalmacken.

François Hollande, Sich-offenbar-zum-„Liefern“-verpflichtet-Fühlender – In Anbetracht einiger forscher Vorstöße Ihrerseits liegt die Vermutung nahe, Sie wollten Wahlversprechen einlösen, also „liefern“ – was nach Wahlen ja schon mal keineswegs normal ist. In Deutschland wird da eher schon mal über die Unfairness der Wähler geklagt, nach dem Urnengang Politiker an ihren zuvor gemachten Versprechen zu messen (Münte). Ihnen ist das aber nicht genug, Sie wollen offenbar auch noch Ihren Vorgänger Sarkozy „überholen, ohne ihn einzuholen“ – oder wie dürfen wir die von Ihnen ins Kalkül gezogene Option eines Militärschlages (von UNO-Staaten) gegen Syrien verstehen? Ihr Wahlkampf hatte uns hoffen lassen, dass wir es bei Ihnen mit einem vernunftgesteuerten Wesen zu tun haben würden. Versprochen hatten Sie dies allerdings nicht. Sollen wir uns also damit trösten, dass die Marseillaise es zur Not hergibt? (Zittert, Tyrannen und Ihr Niederträchtigen / Schande aller Parteien, / Zittert! Eure verruchten Pläne / Werden Euch endlich heimgezahlt! / Jeder ist Soldat, um Euch zu bekämpfen, / Wenn sie fallen, unsere jungen Helden, / Zeugt die Erde neue, / Die bereit sind, gegen Euch zu kämpfen”.)

Johann Wolfgang von Goethe, Hellsichtiger – Im „West-östlichen Divan“ haben Sie bereits vor rund 200 Jahren eine Erkenntnis niedergelegt, um die heute Unmengen „kluger Köpfe“ semantisch-akademisch, also deutsch, streiten: „Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“

Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit„Mir macht die Frage, wie heute öffentliche Diskurse organisiert werden, Sorgen“, haben Sie uns in einem Interview kürzlich wissen lassen. „Ich beobachte in den deutschen Medien seit einiger Zeit einen besorgniserregenden Hang zum Gleichklang. Das Merkwürdige dabei ist, dass der Konformitätsdruck nicht von bösen Regierungen oder finsteren Wirtschaftsmächten ausgeübt wird. Vielmehr kommt er aus unserer eigenen Mitte, er geht von den Journalisten, Lesern und Zuschauern aus. Gleichzeitig entsteht etwas, das vor allem die etablierten Parteien bedrohlich finden, während es mich erst einmal neugierig und teilweise auch erwartungsfroh macht: die Piraten.“ Wenn wir an dieser Stelle mal die Piraten außer Acht lassen, dann darf das als eine bemerkenswerte Feststellung gelten. Mit der Unabhängigkeit der Medien ist es halt so eine Sache, seit und solange es sich bei diesen um eine Ware handelt.

Harald Strutz, Präsident des FSV Mainz 05 – Den Hinweis darauf, dass die Polizeieinsätze bei Fußballspielen über´s Jahr rund 100 Millionen Euro verschlingen (Schadensbeseitigung ist in dieser Summe nicht mal inbegriffen), haben Sie televisionär mit der Gegenrechnung beantwortet, dass der Staat pro Fußballsaison rund zwei Milliarden Steuereinnahmen habe, der Schutz der Stadien dessen Angelegenheit und eine von den Innenministern derzeit erwogene Kostenbeteiligung der Klubs also eine Zumutung sei. Sehen wir mal von dem Zynismus ab, der dieser Aufrechnung innewohnt, dann wäre bei solcherart „Logik“ jedes Unternehmen berechtigt, etwa Umweltschäden, die es verursacht, mit dem Hinweis auf die von ihm gezahlten Steuern zu „erledigen“. Wir zweifeln nicht daran, dass die Deutsche Wirtschaft Ihre intellektuelle Leistung in Kürze mit einem Preis ehren wird.

Klaas Carel Faber, Verblichener – Man sagt Toten eigentlich nichts Schlechtes nach. Aber wie das mit der Etikette nun mal ist: Sie lässt sich in bestimmten Fällen einfach nicht einfordern. Wie in dem Ihren, denn mit 90 Jahren ist mit Ihnen soeben einer der letzten – als solcher zumindest erfasster – Nazi-Täter verstorben. In den Niederlanden, wo Sie als SS-Freiwilliger für den Mord an mindestens 22 Juden und Widerstandkämpfern verantwortlich waren, wurden sie 1947 zum Tode verurteilt, konnten aber nach Deutschland entkommen, von wo Sie nicht ausgeliefert wurden. Hier haben Sie im schönen Ingolstadt bis zu Ihrem jetzigen Ableben einen sehr geruhsamen Lebensabend verbracht. (West-)Deutschland wusste eben, wem es etwas schuldig war. Doch sollte es eine höhere Gerechtigkeit geben, dann wird die verdiente Strafe Sie ja inzwischen ereilt haben.