von Wolfgang Brauer
In den letzten Wochen verteilten Angehörige der wohl konservativsten Strömung des Islam, der Salafisten, in einigen deutschen Großstädten kostenlos Exemplare des Koran. Salafisten zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Koran und die Sunna (die Summe der beispielgebenden Taten des Propheten in allen Lebensbereichen) als einzige Richtschnur menschlichen Handelns akzeptieren und keinerlei „moderne“ oder gar wissenschaftlichen Maßstäben genügende Auslegung beider zulassen. Salafisten sind durchweg religiöse Fundamentalisten. Solch Fundamentalismus gibt es in allen Religionen. Auch im modernen Deutschland findet man Gegenden, in denen eine „Mischehe“ gleichsam als Sünde gilt. Gemeint sind hier nicht Verbindungen zwischen einer Bayerin und einem Vietnamesen – gemeint sind solche zwischen Protestanten und Katholiken „deutscher Herkunftssprache“. Die katholische Kirche verweigert Wiederverheirateten Geschiedenen immer noch die Kommunion und seitens der evangelischen Theologie wird nach wie vor der schützende Madonnenmantel über dem Sakrament der Neugeborenentaufe ausgebreitet. Wenn das man kein Fundamentalismus ist …
Kaum erschienen nun die bärtigen Gottesstreiter auf den deutschen Marktplätzen, ging ein großes Feldgeschrei los. Die üblichen Bannerträger der abendländischen Werte witterten die brutalstmögliche Islamisierungskampagne und die wachsame Medienlandschaft brodelte auf. Die Salafisten – in Deutschland gibt es höchsten zwischen 3.000 und 5.000 – wird es gefreut haben. Schien dies doch der wahrhaft handgreifliche Beleg dafür zu sein, dass schon die bloße Berührung des heiligen Buches der Muslime zur Konversion führe. Gewalttätige Auseinandersetzungen waren nur noch ein Frage der Zeit und sie kamen dann auch nicht zufällig im Vorfeld der NRW-Wahlen. „Die Politik“ reagierte wie gewohnt mit grobem Kaliber. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) schwadronierte von einer ideologischen Nähe der Koran-Freunde zu al-Quaida – über deren geistige Nähe und mögliche Finanzierungsströme zum und vom wahabitischen Saudi-Arabien wird gleichsam ein dicker Teppich öligen Schweigens gelegt; al-Quaida rief übrigens kürzlich zum Sturz des saudischen Regimes nach dem Beispiel des „arabischen Frühlings“ auf. In der Rheinischen Post erklärte Friedrich martialisch: „Wir werden uns in Deutschland keine Religionskriege aufzwingen lassen, weder von radikalen Salafisten noch von extremen Parteien.“ Sein Parteifreund MdB Hans-Peter Uhl (er gilt in der CSU als Innenpolitikfachmann) sekundierte in der FAZ: „Ich bin mir sicher, dass der Bundesinnenminister alle rechtlichen Maßnahmen ergreifen wird, um salafistische Vereinigungen bei nachgewiesener Verfassungswidrigkeit zu verbieten.“ Von der oberfänkisch-schwäbischen Fundamentalistenfraktion ist man derlei gewöhnt. Aber in dasselbe Horn tuten inzwischen auch Leute, die sich als links oder liberal verstehen: SPD-Bundestagsfraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann forderte nach den von „Pro-NRW“-Kämpen provozierten Auseinandersetzungen Anfang Mai in Köln gegenüber der dpa „Salafisten müssen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden“. Die Überschrift auf stern.de lautete allerdings „Oppermann: Salafisten mit allen Mitteln bekämpfen“. Dumpfbacken differenzieren nicht, sondern verstehen sowas als Aufforderung zum Handeln. Das ist geistige Brandstifterei und Oppermann hat nicht dementiert. DIE ZEIT titelte im selben Zusammenhang „Liberal, nicht blöd“. Und ausgerechnet in jenem Blatt wurde am 24. Mai der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide mit der Aussage zitiert, dass sich die Diskussion „um den Islam in Deutschland“ versachlicht habe. Der Mann lebt und lehrt übrigens in Nordrhein-Westfalen. Aber im beschaulichen Münster. Im nicht minder beschaulichen Aachen lebt die Islamwissenschaftlerin Rita Breuer. Sie legte vor einigen Monaten im Verlag Hans Schiler ein Buch unter dem Titel „Wird Deutschland islamisch?“ vor, das scheinbar zu einer Versachlichung einer unsachlichen Debatte beitragen will. Der Band ist gut und flüssig geschrieben. Aufgebaut ist er wie eines der vielen Ratgeberbüchlein in und für alle Lebenslagen. Rita Breuer erklärt den Islam, gibt eine Einführung für Unkundige in den Koran und verwendet sehr viel Platz, die diversen Missionierungsansätze und -gefahren, denen die Nicht-Muslime durch Muslime ausgesetzt sind, zu beschreiben. Dabei gerät selbst das aufklärerische Toleranzmodell des „alten Europa“ in einen Generalverdacht: „… ein islamfreundliches Klima ist allemal besser für die Gewinnung neuer Muslime als ein kritisches oder gar feindseliges.“ Rita Breuer hat kein – um bei diesem Begriff zu bleiben – Aufklärungsbuch geschrieben. Dieses kommt allerdings bei weitem nicht mit der pseudowissenschaftlichen Primitivität eines geschassten Bundesbankers daher. Aber die Autorin begegnet praktizierenden Muslimen in Deutschland mit einem tiefen Misstrauen. Natürlich setzt sie den Islam nicht mit Islamismus gleich. Kluge Sätze gelingen ihr dabei: „Extremismus ist das Nicht-Ertragen von Andersdenkenden.“ Das stimmt. Bedenklich ist eben nur, dass die Autorin den Ausschließlichkeitsanspruch, der nach dem Sturz der Götter des Olymp allen Weltreligionen zu Eigen ist – „ich dulde keine anderen Götter neben mir…“ –, allein dem Islam zuordnet. Jugendveranstaltungen muslimischer Träger, diverse RAP-Songs dienen nach ihrer Sicht der Herstellung „religiös-islamischer Parallelwelten“ und diese „unterbinden … die Entwicklung eines toleranten Miteinander.“ Religiöse Erziehung in der islamischen Familie, meint sie, „ist hier eben nicht ein Aspekt von Erziehung insgesamt, sondern hat oberste Priorität und durchzieht als zentrales Prinzip alle Lebens- und Erziehungsbereiche“. Das gilt zweifelsfrei auch für viele christliche und auch jüdische Familien, ganz zu schweigen von hierzulande immer noch mit dem Bonus zutiefst friedfertiger „edler Wilder“ (in dieses arrogante Bild gehört auch das wieder einmal en vogue seiende Muster der „uralten Kulturen“) beschworener asiatischer Religionen. Die bekennende und ihren Glauben aus tiefstem Herzen heraus praktizierende Katholikin Rita Breuer weiß das auch – und scheut dennoch jeglichen Vergleich wie der Teufel das Weihwasser. Das ist bedauerlich und mindert den Wert ihre mitunter erschreckenden Befunde, so hinsichtlich der schwierigen Situation vieler muslimischer Frauen, erheblich. Spätestens in den insgesamt drei Abschnitten zur Scharia wird ihre Schrift zur Streitschrift und als solche ist sie von minderer Qualität. Man riecht die Absicht, und man ist verstimmt …
Gleiches gilt übrigens auch für die im Titel gestellte Frage: „Wird Deutschland islamisch?“ Rita Breuer zieht sich auf das Grundgesetz zurück: Freiheit des Bekenntnisses und der Religionsausübung müsse für alle „dort enden, wo andere Grund- und Freiheitsrechte anfangen, von der Gleichberechtigung der Geschlechter (böse Falle: sie kritisiert am Islam, dass muslimische Frauen ‚gleichwertig, aber nicht gleichberechtigt’ seien – von Gleichstellung in der deutschen Gesellschaft ist aber auch bei ihr keine Rede! – W. Brauer) über die Meinungs- und Pressefreiheit und den Tierschutz (das geht gegen das rituelle Schlachten – W. Brauer) bis zur allgemeinen Schulpflicht.“ Wenn dies nun von allen ernst genommen werden würde, dann „wird und bleibt Deutschland nicht islamisch, aber ein guter Ort auch für die vielen demokratiefähigen und toleranten Muslime.“ Mit diesem Schlusssatz, den wohl alle Fundamentalisten von „Pro-NRW“ bis hin zu den Deutschen Burschenschaften unterschreiben könnten, erweist sich ihre Eingangsfrage als bloße rhetorische Figur. Ihre Schrift ist geistige Waffe in eben jenem Religionskrieg, vor dem ausgerechnet Innenminister Friedrich die Republik meint bewahren zu müssen.
Rita Breuer: Wird Deutschland islamisch? Mission, Konversion, Religionsfreiheit, Verlag Hans Schiler, Berlin und Tübingen 2011, 200 S., 24,00 Euro
Schlagwörter: Deutschland, Islam, Rita Breuer, Salafisten, Wolfgang Brauer