von Sarcasticus
Kaufen Sie auch hin und wieder – oder gar regelmäßig – billig beim Trendsetter H&M?
Apropos H&M: Die regelmäßig im Stadtbild auftauchenden Großplakate des schwedischen Unternehmens mögen für männliche Autofahrer ja nicht ganz ungefährlich sein, unter rein ästhetischen Gesichtspunkten aber sind sie in aller Regel eine Augenweide – oder?
Und apropos Augenweide: Wissen Sie, welche Rolle Helena Helmerson, blond, langhaarig, Jahrgang 1973, bei H&M spielt?
Ganz andere Frage: Wenn eine Näherin in Bangladesch für ein T-Shirt, das den Käufer in Deutschland schließlich fünf Euro kosten wird, 0,13 Cent (Angabe nach Berliner Zeitung) – richtig: Cent, nicht Euro (!) – erhält und demzufolge fast 770 T-Shirts zusammennähen muss, um einen Euro zu verdienen, ist das dann eine angemessene Relation – oder Ausbeutung?
Allerdings ist der Begriff Ausbeutung ja schon lange nicht mehr en vogue. Mir ist nicht einmal ein substitutiver Euphemismus im Rahmen des Vernebelungs-Neusprechs namens Political Correctness bekannt. Ihnen vielleicht?
Wer grundsätzlich nicht bei H&M (und ähnlichen Ketten) kauft oder zumindest die bis hierher gestellten Sachfragen zutreffend zu beantworten vermag, der kann an dieser Stelle getrost zur Lektüre des nächsten Blättchen-Beitrages übergehen. Für uns andere nachfolgend einige basics sowie facts & figures zur vertiefenden Klärung.
Das Label H&M steht für das 1947 gegründete schwedische Unternehmen Hennes & Mauritz – heute eine Modegigant und der drittgrößter Bekleidungshändler weltweit (94.000 Beschäftige; Jahresumsatz 2011: 12,5 Milliarden Euro, Gewinn: 1,8 Milliarden Euro). In Deutschland ist H&M mit über 300 Filialen in städtischen Bereichen – von Aachen bis Zwickau – praktisch flächendeckend vertreten und operiert im Übrigen in weiteren 44 Ländern der Erde. Deutschland ist der größte Markt für das Unternehmen, und selbst wer hier nicht bei H&M kauft, der kennt das Label meist trotzdem – von öffentlichen Werbeflächen, die immer wieder mit attraktiven Models und dem markanten roten Logo auffällig dekoriert werden oder von früheren Werbestrecken mit Madonna beziehungsweise TV-Spots mit Kylie Minogue.
Für sein Motto „gute Qualität zu günstigen Preisen“ hat das Unternehmen ein weitreichendes Netz von Zulieferern geschaffen, heute vornehmlich in Asien. Dort erfolgen 80 Prozent der Fertigung von H&M. Und weil es in den letzten Jahren immer weiter verbreitete Unsitte geworden ist, dass selbst ernannte Moralapostel – mögen sie Human Rights Watch oder wie auch immer heißen –, dem Wesen, das europäische Konzerne in der dritten Welt so treiben, hinterherschnüffeln, ist H&M schon vor Jahren dazu übergegangen, mit verbindlichen Verhaltensmaßregeln für Lieferanten dafür Sorge tragen zu wollen, dass seine Produkte unter guten Arbeitsverhältnissen hergestellt werden.
Im August 2011 allerdings vermeldeten deutsche Medien, dass fast 300 Beschäftigte eines H&M–Zulieferers in Kambodscha in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten. Die Menschen seien ohnmächtig geworden und hätten medikamentöser Versorgung bedurft; zuvor hätten viele der insgesamt 4.600 in der betreffenden Produktionsstätte Beschäftigten über einen „komischen Geruch“ geklagt.
Drei Jahre zuvor, 2008, hatte ein Bericht von Report Mainz die Arbeitsbedingungen bei asiatischen Zulieferern von H&M folgendermaßen zusammengefasst: „Knochenarbeit für Billigmode“ und dabei insbesondere auf Bangladesch verwiesen. Der Konzern trug seinerzeit in einem PR-Video den Begriff Responsibilty (für Menschen und Umwelt) wie eine Monstranz vor sich her und suggerierte, so Report Mainz: Wer bei H&M kaufe, dürfe trotz Billiglohn ein gutes Gewissen haben. Der Bericht fragte nach der Wahrheit hinter diesem „blütenreinen Image“ und berichtete aus einer Fabrik mit 1.700 Beschäftigten in Dakar, der Hauptstadt Bangladeschs. Die Beschäftigten wohnten in den ärmsten Slums der Stadt. Ihr Monatslohn: umgerechnet 40 Euro – selbst in einem Niedriglohnland wie Bangladesch ein Hungerlohn, und dazu waren Überstunden, Nachtarbeit und bisweilen tagelanges Durcharbeiten die Regel.
Das damalige H&M–Video verwies nicht zuletzt auf die strengen Verhaltensmaßregeln des Konzerns für Lieferanten, deren Einhaltung regelmäßig kontrolliert werde. Davon allerdings hatten die Beschäftigten vor Ort laut Report Mainz noch nichts gespürt; bei steigendem Arbeitsdruck stiegen vielmehr auch die Schikanen – bis hin zu körperlichen Züchtigungen, wie Betroffene vor der Kamera aussagten. In einer schriftlichen Stellungnahme verwies der Konzern seinerzeit darauf, dass auf seine Intervention hin in dem betreffenden Werk das Management ausgetauscht und ein funktionierendes Beschwerdesystem eingerichtet worden sei. Zur Frage der Entlohnung äußerte sich H&M damals nicht.
Die betreffende Zulieferstätte ín Dakar führte übrigens den Namen „Haus des Sonnenscheins“. Erinnert das nicht entfernt an den Zynismus von „Arbeit macht frei“?
Zeitsprung nach 2012. Und hier kommt Helena Helmerson ins Spiel. Optisch hätte sie zweifelsfrei das Zeug zum H&M–Model für Großplakate, aber sie hat es nachhaltiger – Modelkarrieren enden üblicherweise in noch jungen Jahren – getroffen, denn sie ist die Nachhaltigkeitsverantwortliche von H&M. Ihr „jetziger Job ist der interessanteste, den ich je hatte“, bekannte sie kürzlich in einem Interview. Und: „Mir ist daran gelegen, das Bild von H&M in der Öffentlichkeit zu verändern.“ Holla – gleich ran an die Retusche? Nicht erst fragen, warum das Bild vielleicht inzwischen die eine oder andere Scharte hat und dann an den Ursachen ansetzen?
Da mag mancher jetzt vielleicht meinen, dass sei von der Jungmanagerin doch etwas zu viel an Komplexität verlangt. Na, sehen wir weiter.
In Sachen Nachhaltigkeit, so Helmerson, könne H&M noch besser werden, betonte jedoch zugleich: „[…] ein niedriger Preis bedeutet nicht automatisch, dass etwas weniger nachhaltig ist. Als Großunternehmen haben wir zum Beispiel die Möglichkeit, die Preise […] niedrig zu halten.“
Das war nun allerdings eine Steilvorlage, die eingangs erwähnten 0,13 Cent je T-Shirt ins Gespräch zu bringen. Helmerson dazu: „Diese Berechnungen möchte ich nicht kommentieren (Hervorhebung – Sarcast.).“ Was im Umkehrschluss ja wohl bedeutet, dass die Berechnungen zumindest zutreffend sein dürften, denn anderenfalls müssten sie nicht bloß kommentiert, sondern schärfstens zurückgewiesen werden – angesichts ihrer zwangsläufigen Implikationen für das Saubermann-Image von H&M. Doch Helmerson setzte – wohl in bester Absicht – noch eins drauf: „[…] ich versichere Ihnen, dass das Thema Löhne bei Zulieferern seit Jahren […] eines der komplexesten in der gesamten Lieferkette ist.“ Und dann – offenbar mit einem gewissen Stolz: In Bangladesch sei, nachdem „wir und andere Einkäufer Gespräche mit der Regierung geführt hatten, […] der Mindestlohn verdoppelt“ worden. Ja – auf umgerechnet 30 Euro, so musste die Interviewerin ergänzen. Und fasste nach: Warum der Konzern denn nicht die 50 Euro unterstütze, die Gewerkschaften vor Ort als Überlebensminimum fordern? Darauf die Managerin, nun schon fast wie eine altersweise Diplomatin: „Es gibt eine große Debatte über die Höhe der Löhne. […] Wo soll man da ansetzen?“
Die Interviewerin regte des Weiteren an, dass H&M doch zusammen mit anderen großen Händlern Produzenten aufkaufen und daraus Musterfirmen machen könnte. Helmerson: „Momentan ist das für uns keine Option.“ Ob H&M wenigstens darüber nachdenke, künftig mehr in Europa zu produzieren? „Es bleibt dabei, dass wir 80 Prozent in Asiens […] fertigen lassen“
Als Helmerson erwähnte – Stichwort: strenge Verhaltensmaßregeln für Lieferanten –, dass im vergangenen Jahr 2.000 Kontrollen durchgeführt worden seien, bemerkte die Interviewerin: In „insgesamt 1.600 Fabriken […]. Klingt nach nicht besonders viel.“ Auch dazu war die Managerin nicht um eine weitere Selbstentlarvung verlegen: „Vergessen Sie nicht die zusätzlichen Schulungen und Workshops.“
Und damit auch wir H&M–Kunden unseren eigenen Nachhaltigkeitsbeitrag nicht vergessen und unsere Einkäufe so behandeln, dass wir sie länger tragen können, empfahl die blonde Fachfrau: „Zum Beispiel hilft es, bei niedrigeren Temperaturen zu waschen und keinen Trockner zu benutzen.“ So gesehen wäre es vielleicht am nachhaltigsten, H&M-Produkte gar nicht erst zu tragen …
Doch im Ernst – man sollte H&M dankbar dafür sein, dass auch solche Nachwuchskräfte schon Interviews geben dürfen und diese vom PR-Bereich des Konzerns dann tatsächlich frei gegeben werden. Das hilft, Fragen wie die eingangs gestellten zu beantworten.
Bis auf zwei. Die eine – ob Sie weiter bei H&M kaufen – müssen Sie selbst entscheiden. Die andere ist die nach einem den Standards der Political Correctness entsprechenden Surrogat für den Begriff Ausbeutung. Mein Angebot wäre: Wertschöpfung nach H&M.
Schlagwörter: Ausbeutung, Bangladesch, Dritte Welt, H & M, Political Correctness, Sarcasticus