14. Jahrgang | Sonderausgabe | 21. Mai 2012

Brüder im Geiste?

von Hajo Jasper

Von beklemmender Eindrücklichkeit ist ein weiteres Buch zum Thema totalitärer Gewaltherrschaft aus den Hause C. H. Beck. Nur dass es darin nicht allein das Massenmorden Stalins, sondern korrespondierend auch um das weitgehend zeitgleiche des Hitlerfaschismus geht – „Bloodlands“ von Timothy Snyder. Der amerikanische Historiker wählt dabei einen Ansatz, der konzentrative Vorzüge bietet, zugleich den Erklärungsversuchen des Ungeheuerlichen aber auch ein Korsett anlegt, das weitergehende dialektische Verknüpfungen auch dann unbefriedigend verhindert, wenn Snyders Buch nicht den Anspruch erhebt, die komplette Geschichte beider Gewaltherrschaften und gar des 2. Weltkrieges beschreiben zu wollen. Worum es Snyder geht, ist, neben dem Leid der vor allem in den Nazi-KZʼs in Polen ermordeten Juden auch das der Bevölkerung Osteuropas selbst zu thematisieren. Seinen fundierten Erhebungen zufolge sind in Polen, Weißrussland, der Ukraine und den baltischen Staaten – eben jenen Bloodlands – zwischen 1933 und 1945 durch den NS-Terror und jenen unter dem Banner des Roten Sterns rund 14 Millionen Menschen umgebracht worden: In den Gaskammern der Faschisten und bei Massenerschießungen durch SS, Wehrmacht und Polizei, in Gefängnissen und Lagern der Kommunisten, als Folge einer bewusst in Kauf genommenen und so beförderten Hungersnot wie in der Ukraine … Snyder bezieht die durch Kampfhandlungen ums Leben gekommenen Kriegstoten dabei nicht einmal ein – er summieret den Tod ausschließlich von Zivilisten: Frauen, Kindern und Alten.
Auch wenn man den zum Teil hymnischen Besprechungen des Buches im angloamerikanischen Raum nicht unbedingt zu folgen bereit ist – Snyders Edition ist wichtig in der Synopse des seinerzeitigen und bislang singulären Geschehens perversen politischen Massenmordens. Das betrifft vor allem die ungeheure Faktologie des Buches. Was die Analyse des ideologischen Hintergrundes der Täter und damit des Zusammenhangs des behandelten Gegenstands angeht, bleibt der Autor merkwürdig blass, vermutlich eine Folge jener reinen Geografiebezogenheit, die er sich auferlegt hat. Einige Thesen gar muten mehr als fragwürdig an, so nämlich, wenn Snyder den Partisanenkrieg als einen wesentlichen Auslöser des Naziterrors in Osteuropa deklariert.

Timothy Snyder: Bloodlands, Europa zwischen Hitler und Stalin, C. H. Beck, München 2011, 522 Seiten, 29,95 Euro