von Christoph Marischka
Praktisch zeitgleich mit der Gründung des Europäischen Auswärtigen Dienstes, der im Sinne „vernetzter Sicherheit“ die zivilen und militärischen Kapazitäten der EU und ihrer Mitgliedsstaaten bündeln soll, erarbeitete das Superministerium in Gründung eine „EU-Strategie für den Sahel“. Eine vergleichbar umfassende regionale Strategie der EU gibt es bislang nur für das Horn von Afrika, wo die EU gegenwärtig mit einer Marine- und einer Ausbildungsmission präsent ist, eine weitere „zivile“ Mission zur maritimen Aufrüstung plant und (heute) ein eigenes Operationszentrum zur Koordinierung aller EU-Aktivitäten eingerichtet hat. Während das vermeintlich übergeordnete Ziel am Horn von Afrika die Bekämpfung der Piraterie ist, geht die vermeintliche Bedrohung im Sahel von einem merkwürdigen Amalgam aus Schmuggel, Drogen- und Menschenhandel sowie Terrorismus aus. Es war entsprechend der EU-Koordinator für die Terrorbekämpfung, Gilles de Kerchove, der den Sahel erstmals als „Hinterhof Europas“ definierte, wenig später zog der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel nach und bezeichnete gleich ganz Afrika als „Vorgarten“ Europas. Das steht in Einklang mit der Unterstützung und Werbung seines Ministeriums und des Auswärtigen Amtes für das Wüstenstromprojekt „Desertec“, mit dem zukünftig bis zu 15 Prozent der in Europa verbrauchten Energie in Nordafrika gewonnen werden soll.
KritikerInnen des Projekts wiesen früh auf die instabile Lage in der Region hin und darauf, dass die geopolitische Aufwertung der Region als Energielieferant und Investitionsstandort mit einer massiven Militarisierung einhergehen werde. Diese Befürchtungen basierten unter anderem auf den Planungen der EU-Sahel-Strategie, die ebenso wie ihr Pendant in Ostafrika im Kern darauf abzielt, die Staaten beim Aufbau ihrer Polizei- und Militärkräfte zu unterstützen. Bereits im zweiten Halbjahr 2009 hatte die EU drei Fact-Finding-Missions nach Mali, Mauretanien und Niger entsandt, um Möglichkeiten zu prüfen, wie diese Staaten bei der „Reform des Sicherheitssektors“ unterstützt werden könnten. Deren Ergebnisse gingen in die Sahel-Strategie ein, die anschließend unter dem Eindruck sich häufender Entführungen von Europäern in der Sahel-Region formuliert wurde. Bereits zu diesem Zeitpunkt, Mitte und Ende 2010, wurden Beschwerden von Vertretern der Wüstenbewohner über eine „Militarisierung der Sahara“ laut. Tatsächlich hatte vor allem Algerien früh auf die Pläne und Erkundungsmissionen der EU reagiert und bereits vor der Verabschiedung der Sahel-Strategie Maßnahmen zur verbesserten Terror-Bekämpfung und regionalen „Sicherheitszusammenarbeit“ mit Mali, Mauretanien und Niger eingeleitet. Dies geschah mit der erklärten Absicht, dadurch Interventionen aus dem Ausland zu verhindern (und stattdessen selbst den Anspruch als Regionalmacht zu untermauern). Das wurde in der Anfang 2011 verabschiedeten Sahel-Strategie explizit begrüßt. Darüber hinaus stellte die EU insgesamt rund eine Milliarde Euro in Aussicht, um die Aufrüstung der Region, die regionale Sicherheitszusammenarbeit und auch durch Hilfslieferungen die „Präsenz und Sichtbarkeit des Staates in der Fläche“ zu verbessern.
Mittlerweile herrscht in Mali ein Bürgerkrieg, der Zehntausende zur Flucht gezwungen und einen Putsch in der Hauptstadt verursacht hat. Überwiegend den Tuareg angehörende Kämpfer aus dem Bürgerkrieg in Libyen sind im Januar 2012 von dort gut bewaffnet und organisiert zurückgekehrt, hatten die Nationale Befreiungsbewegung Azawad (MNLA) gegründet und schnell große, aus Wüste bestehende Teile Malis unter ihre Kontrolle gebracht. Die Regierung in Bamako schickte daraufhin das Militär in die von den Rebellen eroberten Regionen, das jedoch früh über eine unzureichende Ausrüstung für die Bekämpfung der Rebellen (sowie des Terrorismus und der organisierten Kriminalität) klagte. Dies nahmen Teile des Militärs zum Anlass, am frühen Morgen des 22. März 2012 gewaltsam die Macht in der Hauptstadt zu übernehmen. Ihre Forderungen (jedenfalls soweit sie in hiesigen Medien kommuniziert werden) scheinen durch die EU-Sahel-Strategie inspiriert zu sein und erschöpfen sich im Wesentlichen in einer besseren Ausrüstung zur Bekämpfung des Aufstandes, des Terrorismus und der Organisierten Kriminalität (an der wesentliche Teile des Militärs selbst beteiligt sind). Auffällig ist auch, dass die Putschisten von Anfang an der internationalen Gemeinschaft die Zusammenarbeit bei der Bewältigung dieser Probleme anboten. Anstatt über soziale Themen zunächst Legitimität bei der eigenen Bevölkerung zu generieren, scheint es ihnen wichtiger (oder aussichtsreicher) zu sein, als Anbieter von Sicherheit Legitimität auf internationaler Ebene herzustellen. Dennoch haben sowohl der Bundesaussenminister als auch die EU den Putsch umgehend verurteilt. Auffallend an den jeweiligen Pressemitteilungen ist jedoch, dass sie lediglich die „Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung“ und im Falle der EU auch die möglichst baldige Abhaltung demokratischer Wahlen – nicht aber die Wiedereinsetzung des Präsidenten und die Abhaltung von Wahlen zum vorgesehenen Termin Ende April fordern. Man könnte das durchaus als verdeckte Tolerierung eines vorübergehenden „Notstandsregimes“ interpretieren (wie dies in jüngerer Zeit auch mehrfach gegenüber Mauretanien der Fall war), insbesondere, wenn man die Reaktionen aus EU und Deutschland mit dem Vorgehen nach der umstrittenen Wahl im Nachbarland Côte d’Ivoire Ende 2010 vergleicht. Damals war jedes – auch militärische – Mittel recht, um den angeblich gewählten Präsidenten Ouattara an die Macht zu bringen.
Zweifellos ist die aktuelle Krise in Mali primär eine Folge des libyschen Bürgerkrieges. Eine weitere Ursache benennen Denis M. Tull und Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik in ihrer Studie „Die Folgen des Libyen-Konflikts für Afrika“: „Im Jahr 2011 begann die malische Regierung überdies, ein maßgeblich von der EU unterstütztes Programm zu verwirklichen, das die staatliche Präsenz im Norden ausweiten sollte. Das brachte die Anführer der Rebellionen der 1990er Jahre und von 2006 vollends gegen die malische Führung auf. Nach Ansicht der ehemaligen Rebellen widersprach die Stationierung zusätzlicher Sicherheitskräfte den Friedensabkommen der 1990er Jahre, denn diese sahen vor, die militärische Präsenz im Norden zu verringern.“
Es war also die Sahel-Strategie und die in deren Rahmen unterstützte Aufrüstung des Nordens Malis, welche den Aufstand mit ausgelöst hat. Der zufällig gerade zum Zeitpunkt des Putsches tagende Rat für Auswärtige Angelegenheiten der EU nahm diesen trotzdem zum Anlass, die Implementierung der Sahel-Strategie zu begrüßen, deren weitere Beschleunigung zu fordern und eine neue Mission anzukündigen, um „die Gendarmerie, die Nationalpolizei und die Nationalgarde“ in Mali, Mauretanien und Niger durch Beratung und Training zu unterstützen.
Genau so funktioniert Militarisierung – Sicherheit bringt sie nicht.
Aus: IMI-List 0369. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., www.imi-online.de
Schlagwörter: Christoph Marischka, EU, Mali, Militarisierung, Sahel