von Erhard Crome
Den medialen Betrachtern ist nicht wirklich klar, was Strategie oder doch eher Taktik war bei der Landtagsauflösung in Nordrhein-Westfalen. Nachdem die Parteienforscher auf ein langweiliges Wahljahr gesetzt hatten (turnusgemäß „nur“ Schleswig-Holstein am 6. Mai), wurde es nun doch lebendiger: außerplanmäßig kamen die Landtagswahlen im Saarland am 25. März und nun in NRW hinzu, hier wohl Anfang Mai. In beiden Fällen wird – sofern der Herrgott nicht Wunder geschehen lässt – die FDP herausfallen.
Ging es absichtlich gegen die FDP? Im Saarland hatte die CDU jahrelang mit absoluter Mehrheit regiert, diese bei der Landtagswahl 2009 aber verloren. Für Rot-Rot reichte es knapp nicht. Die Grünen erschienen als Zünglein an der Waage, entschieden sich dann aber statt für Rot-Rot-Grün für eine „Jamaika-Koalition“ mit CDU und FDP, wie man sagte, nicht ohne Zutun eines damals einflussreichen FDP-Paten. CDU-Ministerpräsident Peter Müller hatte damit die erste Jamaika-Koalition in Deutschland eingefädelt, hinterließ sie dann im August 2011 aber seiner Nachfolgerin, Annegret Kramp-Karrenbauer. Die warf jedoch nach nur fünf Monaten das Koalitions-Handtuch und die FDP hinaus, wegen deren innerer Querelen und Unzuverlässigkeit. Das tat sie just am 6. Januar, dem Tag des traditionellen Dreikönigstreffens der FDP. Damit war diese wieder in den Negativ-Schlagzeilen, obwohl sie gerade an diesem Tage frohe Botschaften produzieren wollte. Das nahm sie der CDU besonders übel. Gemunkelt wurde auch, das habe die Frau Ministerpräsidentin wohl kaum ohne Abstimmung mit der Kanzlerin gemacht. Die Umfragen sehen die Saar-FDP jetzt bei ein bis zwei Prozent, bei der Wahl 2009 waren es über neun Prozent. Und die saarländischen Grünen haben keinen „Fukushima“-Effekt und werden wohl ebenfalls nicht wieder in den Landtag einziehen.
Das ist in NRW anders. Dort haben die Grünen zusammen mit der SPD seit der Landtagswahl 2010 regiert, allerdings in einer Minderheitsregierung; die Koalition hatte 90 Sitze von 181 und damit die erforderliche Mehrheit um einen Sitz verfehlt. Da allerdings kaum damit zu rechnen war, dass CDU, FDP und Linke gemeinsam agieren, schien die Minderheitsregierung zunächst zu funktionieren, obwohl die offizielle Politikwissenschaft wie auch die Medien traditionell meinen, so etwas ginge in Deutschland nicht. Die Linken hatten mit ihrer Enthaltung die Wahl von Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin ermöglicht. Die hatte allerdings von einer „einladenden“ Politik geredet, sich nicht auf Dauer von den Linken abhängig machen wollen und ihre Mehrheiten jeweils mit anderen Parteien gefunden – bis zu den Haushaltsberatungen am 14. März, als plötzlich alle 91 Oppositions-Abgeordneten gegen die Regierungsvorlage stimmten. Der Landtag beschloss danach seine Selbstauflösung.
Wieder stand die Frage, welche Rolle die FDP gespielt hatte. Einerseits wurde gemeint, Frau Kraft habe darauf gesetzt, dass die FDP ohnehin zustimmen müsse, weil sie sich Neuwahlen nicht leisten könne – nach allen Umfrageergebnissen fliegt sie „achtkantig“ raus. Andererseits hieß es, die FDP habe sich verspekuliert, weil sie diesen Teilhaushalt ablehnen wollte, um am Ende dem Gesamthaushalt doch zuzustimmen, unter der Voraussetzung, dass die Regierung noch etwas „anbiete“. Dass die Ablehnung eines Teilhaushaltes der des Gesamthaushaltes gleichkomme, sei den Akteuren nicht bewusst gewesen und habe sich erst kurzfristig aus einem Rechtsgutachten ergeben, das der Landtagspräsident – von der CDU – ins Spiel gebracht hatte. Die wollte aber nicht dahinterstecken und verwies auf einen nachgeordneten Beamten in der Landtagsverwaltung, der aus der SPD stamme.
Man kann es nun drehen und wenden, wie man will, beide große Parteien haben Gründe in Sachen FDP. Das Endergebnis stellt sich für die SPD recht positiv dar: Sie kann im Saarland (nach den derzeitigen Umfragen) durchaus stärkste Partei werden und den Ministerpräsidenten stellen und in NRW zusammen mit den Grünen eine eindeutige Mehrheit bekommen, so dass an die Stelle der SPD-grünen Minderheitsregierung eine tritt, die über eine parlamentarische Mehrheit verfügt. Auch das Wahlergebnis in Schleswig-Holstein kann eine SPD-grüne Landesregierung zur Folge haben. Dann kann die Bundes-SPD frohgemut zu den Bundestagswahlen schreiten und auf die Kanzlerschaft zielenden Optimismus verbreiten.
Für die CDU sieht das ganz anders aus. Auf der einen Seite ist die Kanzlerin die Koalition mit diesem „Wunschpartner“ offenbar leid, und nachdem die FDP in einer Anwandlung von Übermut der CDU den Gauck als kommenden Bundespräsidenten aufgenötigt hatte und auch noch stolz herumkrähte, genau dies gemacht zu haben, gab es eine offene Rechnung. Der Preis dafür aber wäre, dass der CDU der Koalitionspartner verloren geht. Die SPD wird in keine Koalition mit der CDU gehen, wenn sich ihr auf anderem Wege die Möglichkeit bietet, den Kanzler zu stellen. Wahrscheinlich aber gehen die Strategen der CDU davon aus, dass die Freidemokraten ohnehin untergehen, und die CDU nicht selbst dabei Schaden nehmen soll. Die Grünen werden aber nicht für ein Bündnis mit den Christdemokraten auf Bundesebene zur Verfügung stehen, wenn das mit der SPD in NRW und Schleswig-Holstein funktionieren sollte. Und das Scheitern von Schwarz-Grün in Hamburg, das noch nicht lange zurückliegt, und der „Jamaika“-Koalition im Saarland, die ja auch eine Verbindung von Grünen mit der CDU war, spricht nicht dafür, dass die Grünen sich auf ein schwarzes Abenteuer einlassen sollten, wenn sie die Möglichkeit der Verbindung mit der SPD haben. Zugleich hat die CDU plötzlich und unerwartet ein Personalproblem: Norbert Röttgen, dem politisches Talent innerhalb der Christdemokraten nachgesagt wird, kann nicht gleichzeitig Spitzenwahlkämpfer in NRW sein und als Bundesminister die angeblich ach so wichtige „Energiewende“ ins Werk setzen.
Alle diese Phänomene scheinen für sich genommen nicht besonders schlimm, in der Summe aber ergeben sie das Bild einer Krise, die nun auch in Deutschland die Sphäre der Politik zu ergreifen beginnt. Die Unsicherheit, die zunächst in der Finanzkrise, dann in der Wirtschaftskrise und schließlich in der Euro-Krise ihren Ausdruck fand, erfasst jetzt die Politik. Noch nicht die Institutionen, wohl aber die politischen Prozesse. Das politische Personal taktiert und bringt Wendungen hervor, mit denen es selbst nicht gerechnet hat.
Und die Linke? Sie ist nach wie vor nicht so aufgestellt, dass sie ein starker Akteur in diesem Treiben sein könnte. Ob sie es schafft, in NRW und Schleswig-Holstein wieder in den Landtag einzuziehen, ist noch nicht sicher (dass sie in den Umfrageergebnissen regelmäßig runtergeschrieben wird, in der Hoffnung, dass es mit ihr dann auch abwärts geht, ist ja allgemein bekannt), selbst im Saarland liegen – trotz „Oskar-Faktor“ – die derzeitigen Umfrageergebnisse unter dem Ergebnis von 2009. Dabei wäre in Krisenzeiten gerade die Linke dringend vonnöten, als Vertreterin der sozialen Gerechtigkeit, die es ernst damit meint.
Schlagwörter: Erhard Crome, FDP, Landtagswahlen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein