von Karsten D. Voigt
Wir sind und bleiben den USA durch gemeinsame Interessen und Werte verbunden. Die USA sind und bleiben unser wichtigster Partner außerhalb der Europäischen Union. Und doch ändert sich etwas in unserem Verhältnis.
Dabei müssen Veränderungen im Verhältnis zwischen den USA und Europa nicht von vornherein etwas Negatives sein. In manchen Bereichen wären schnellere und tiefgreifendere Veränderungen geradezu wünschenswert: So zum Beispiel in der Außen- und Sicherheitspolitik. Dort wünschen sich nicht nur die Deutschen, sondern auch die überwiegende Mehrheit der amerikanischen Politiker ein außen- und sicherheitspolitisch handfähigeres Europa, das die USA bei der Überwindung von Krisen innerhalb und in der Umgebung von Europa unterstützen und zum Teil auch ersetzen kann.
In anderen Bereichen sind Veränderungen aus europäischer Sicht zwar bedauerlich, jedoch unvermeidlich: Auch die stärkste Militärmacht der Welt muss sparen und ihre Prioritäten neu definieren. Europa liegt nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr im Zentrum eines globalen Macht- und Systemwettbewerbs. Es ist vielmehr das Zentrum einer Zone der relativen Stabilität. Aus amerikanischer Sicht sollten die europäischen Verbündeten nicht mehr ängstlich nach amerikanischem Schutz fragen, sondern selbst zum Exporteur von Sicherheit werden. Amerikanische Truppen sind weiter in Deutschland willkommen, der geplante Abzug von mehreren Brigaden gefährdet die Sicherheit Deutschlands aber nicht.
Auch innerhalb unserer Gesellschaft vollziehen sich Veränderungen: Verglichen mit den ersten Jahrzehnten der jungen Bundesrepublik Deutschland sind sich die Deutschen – bei aller legitimen Kritik im Einzelnen – der Stabilität ihrer demokratischen Ordnung zunehmend sicherer geworden. Sie vertreten ihre Interessen selbstbewusster und im Einzelfall leider auch großmäuliger und arroganter. Die Deutschen waren in ihrer Geschichte das Beispiel für Diktatur und Menschenverachtung und wollen heute durch ihre Politik selbst zur Stabilisierung von demokratischen Prozessen außerhalb ihres Landes beitragen.
Für die USA gehörte es von jeder zu dem eigenen Selbstverständnis, Macht und Idee zugleich zu sein. Ihre Macht sollte nicht nur den eigenen Interessen dienen, sondern zugleich „the last resort of freedom“ in der Welt sein. Dieses Selbstverständnis ist geblieben. Der Macht, es in Politik umzusetzen, werden aber durch aufsteigende neue Mächte Grenzen gesetzt. Die USA bleiben als Gesellschaft immer noch attraktiver als die halb-demokratischen oder autoritären Gesellschaften ihrer aufsteigenden Konkurrenten. Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten aber haben sie an Attraktivität eingebüßt.
Das gilt auch für die politische Kultur der USA. Sie war in den Fünfzigern für die Mehrheit der Deutschen das „role model“ für ihre eigene junge Demokratie. Heute fremdeln Deutsche zunehmend, wenn sie Berichte über die politischen Diskussionen in den USA lesen. Galten die politischen Debatten und Parteien in Deutschland früher als ideologisch und die in den USA als pragmatisch und von der Fähigkeit zum Konsens geprägt, so ist es heute geradezu umgekehrt: Die politischen Debatten in den USA werden gegenwärtig ideologischer und polarisierter geführt als in früheren Jahrzehnten.
Manche Analytiker der USA sagen mir, dass dies einer der üblichen Ausschläge eines Pendels sei. Auf die jetzige Polarisierung und Ideologisierung der Debatte würde es zu einem neuen Konsens in der Mitte der Gesellschaft kommen. Ich würde mir eine solche Entwicklung für die USA und für Europa wünschen. Ich sehe auch, dass es zahlreiche Amerikaner gibt, die die negativen Entwicklungen der letzten Jahre in der politischen Kultur der USA verabscheuen. Die pragmatische Mitte der Gesellschaft ist auch zahlenmäßig größer und politisch einflussreicher, als es in den gegenwärtigen Vorwahlen zum Ausdruck kommt. Trotzdem gibt es langfristige Faktoren, die den Trend zur Polarisierung und Ideologisierung der politischen Kultur in den USA begünstigen.
Um einige dieser Faktoren zu benennen:
1. Nach der Aufhebung der Rassentrennung durch Präsident Johnson fielen mit den Jahrzehnten immer mehr Wahlkreise, die früher durch konservative Demokraten („Dixicrats“) gehalten wurden, an die Republikaner. Gleichzeitig verloren die Republikaner im Nordosten der USA Wahlkreise, die früher durch liberale Republikaner gehalten wurden, an die Demokraten. Dies führte dazu, dass die Demokraten „liberaler“ und die Republikaner weniger moderat und elitär, sondern stärker „populistisch-konservativ“ wurden. Der erhebliche Einfluss der „religiösen Rechten“ und der „tea party“ muss auch in diesem Kontext gesehen werden.
2. Die Abgrenzung der Wahlkreise wurde mit den Jahren so verändert, dass für den einzelnen Abgeordneten für die Wahl zum Kongress die Nominierung in den „Primaries“ wichtiger wurde, die Entscheidung in den Wahlen selbst demgegenüber an Bedeutung verlor.
3. Die Finanzierung der zunehmend kostspieligen Wahlkämpfe fällt zwei Gruppen von Kandidaten leichter als anderen: Denen, die genug eigenes Geld besitzen und deshalb nicht so sehr auf Spenden angewiesen sind, und denjenigen, die aufgrund ihrer eindeutigen ideologischen Position ihre politisch motivierten Anhänger leichter mobilisieren können. Es wird mir gesagt, dass die Nominierung von Barack Obama durch die Demokraten ein Beispiel gewesen sei, das diesem Trend widersprach. Dagegen spricht allerdings, dass bei der Enztscheidung über die Alternative zwischen der „etablierten“ Hillary Clinton und dem in den Augen seiner Anhänger „eindeutiger die Werte der Demokratischen Partei“ vertretenden Obama dessen größere Fähigkeit zur „Mobilisierung durch Polarisierung“ eine große Rolle spielte. Der gegenwärtige Wettbewerb zwischen den verschieden Kandidaten der Republikanischen Partei bestätigt meine These.
4. Die Zuspitzung in der Berichterstattung des Fernsehens und in der Nutzung des Internets begünstigt den Trend zur Polarisierung und Ideologisierung. Wenn ich in den USA frage, ob jemand Fox-News oder MNSBC sieht, enthält die Antwort mit großer Wahrscheinlichkeit zugleich eine Antwort darauf, ob Derjenige republikanisch oder demokratisch wählt. CNN hat als weniger polarisierter Sender an Zuschauern verloren. Diejenigen Sender, die sich eindeutig und häufig auch polemisch positionieren, können demgegenüber ihre Zuschauer-Quote steigern. Im Internet kann man sich jede Information beschaffen; die Neigung jedoch, sich aus den Quellen zu informieren, die die eigenen Auffassungen bestärken, ist groß. Untersuchungen zeigen, dass die Zahl der Amerikaner, die in einer Umgebung lebt, die ähnliche politische Auffassungen und Wertorientierungen wie sie selbst vertritt – trotz ansonsten zunehmender Pluralisierungstendenzen im Lande – wächst. Bei allen Schwächen der öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland wirken sie einem vergleichbaren Trend wie in den USA durch ihre Verpflichtung zur Repräsentanz vieler Standpunkte entgegen.
5. Man mag Wahlkämpfe als zivilisierte Formen eines Bürgerkrieges ansehen. Wirklich zivilisiert sind Wahlkämpfe aber erst dann, wenn ich meinen politischen Gegner nicht mehr als Feind, sondern als Konkurrenten ansehen. Das bedeutet, dass ich gegen seinen Wahlsieg bin, zugleich aber nicht die Zukunft der Demokratie als gefährdet ansehe, wenn er bei den Wahlen siegt. Adenauer führte seinen Wahlkampf gegen die SPD mit dem Motto, dass alle Wege des Sozialismus nach Moskau führen. Auf die gleiche Weise führen heute die Republikaner ihren Wahlkampf gegen die Demokraten. Sie wollen die USA vor einer „säkularen Verschwörung“ und vor einem Weg in den Sozialismus schützen, den nach ihrer Auffassung Obama mit der Gesundheitsreform eingeschlagen hat. Die Politik der Demokraten ist in den Augen der Republikaner eine Missachtung religiöser Werte, deren Streben nach einer Gleichberechtigung für Homosexuelle steht für eine christliche Vorstellungen missachtende Absage an die Ehe und Familie und Obamas Versuch einer Verständigung mit der islamischen Welt kommt einer Preisgabe der „Idee Amerika“ gleich.
Wenn diese Beobachtungen zutreffen, dann werden Deutsche und Europäer in dem bevorstehenden US-Wahlkampf mit einer Rhetorik, politischen Thesen und Verhaltensweisen konfrontiert werden, die sie als fremd empfinden. Damit meine ich nicht nur die anti-europäischen Sprüche einzelner Kandidaten. So wie es einen dümmlichen Anti-Amerikanismus in Europa gibt, gibt es auch einen dümmlichen Anti-Europäismus in den USA. Ich meine vielmehr die negativen Elemente in der amerikanischen politischen Kultur, wie sie im jetzigen Vorwahlkampf und im darauf folgenden Wahlkampf für die Wahlen zum Präsidenten und zum Kongress zum Ausdruck kommen werden. Doch selbst wenn nach den Wahlen diese Rhetorik wieder so abklingen sollte, dass die Europäer nicht mehr durch sie verschreckt und abgestoßen werden, fürchte ich, das der Trend zur Polarisierung und Ideologisierung in der amerikanischen politischen Kultur anhalten wird.
Dieser Trend ist nicht unumkehrbar. Doch so wie er über Jahre hinweg zugenommen hat, wird es auch Jahre dauern, bis er überwunden wird. Wird er allerdings nicht überwunden, dann wird die Handlungsfähigkeit des demokratischen Systems der USA beeinträchtigt. Das politische System der USA mit seinen „checks and balances“ zielt auf ein Optimum der Kontrolle politischer Macht und gleichzeitig setzt es ein hohes Maß an Bereitschaft zum Kompromiss voraus. Wenn diese Bereitschaft und Fähigkeit zum Kompromiss abnimmt, leidet zugleich die Funktionsfähigkeit des politischen Systems. Das wirkt sich insbesondere bei innenpolitischen Entscheidungen aus, berührt aber auch die Außenpolitik der USA.
Schlagwörter: Demokraten, Karsten D. Voigt, politische Kultur, Republikaner, Tea Party, USA, Wahlkampf