von Korff
Korff, der eigenen Schulpflicht schon länger entronnen, ist ein Befürworter derselben, wie auch von „Angelesenem“, „Angenommenem“, „Angelerntem“ und so weiter, später zusätzlich „Anempfundenem“ – aus der Erfahrung, dass es ohne all so’n Kram offenbar zwar auch geht. Aber besser geht es mit, was allerdings bei der „FDGO“ (für in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nicht hinreichend Unterrichtete: „Freiheitlich-demokratische Grundordnung“) Ansichtssache der jeweiligen Länder-Kultus-Verwaltung ist.
Was Korff bei dieser Prädisposition bewegt, ist sowohl der gegenwärtige Stand an Kenntnis als auch die Art der Wissensvermittlung. Immer um Anschaulichkeit bemüht, entfaltet er dies hier am Beispiel der Selbsterfahrung, was eine allgemein verbreitete Methode ist und daher keiner zusätzlichen Begründung bedürftig, im vorliegenden Fall aber vielleicht besser doch.
Unter www.goruma (Länder der Erde, Russland) vom 12.September 2010 stellte „Kakau“ die bittende Anfrage: „Wir haben einen Arbeitsbogen von unserer Lehrerin bekommen, und da war die Frage, was sind die Bevölkerungsteile Russlands?“
Offenbar ist dies und Vergleichbares ein Thema bei der Wissensvermittlung an unseren Schulen. Denn, so fragt „Schüler“ am 15. September 2011 (für Statistiker: fast auf den Tag genau ein Jahr später): „Wir sollen in der Schule hier in Thüringen eine Vortrag halten zu der Bevölkerung Russlands. Sollte man nach Etnien oder Regionen oder nach der Anzahl der Bewoner in den Städten gliedern? Hat der irgendwer eine gute Idee?“
Korff (als irgendwer), auch um eigene Klarheit darüber bemüht, erfährt beim Nachschlagen (eine veraltete Methode der Information, aber bei Seinesgleichen noch virulent): Nach Volkszählung von 2010, wobei vermutlich nach oben zu revidieren wäre, da etwa 20 Prozent die Befragung verweigerten, gab es 142.905.000 russische Staatsbürger, davon – bei rund 100 Ethnien – 81 Prozent Russen; 11.514.000 von allen wurden als Moskauer ausgewiesen. Gemessen an Vatikanstadt mit 932 Einwohnern ziemlich viele, gemessen an China mit 1,3 Milliarden eher wenige Leute.
Am 10. Dezember 2011 meldete n-tv um 19.30: „Ganz Russland geht gegen Putin auf die Straße“.
Für Meldungen dieser Art bietet sich das Gesetz der großen Zahl bei den Nachrichtengebern an. Doch bei 100.000 Straßengängern schloss das Höchstgebot.
Augenzeugen wollen aber auch 50.000 „Sicherheitskräfte“ beobachtet haben. Korff verunsichert: Sind die bei den 100.000 schon drin, oder kommen sie noch dazu? Weitere Augenzeugen berichten, auch Putin-Anhänger hätten sich auf die Straße gewagt. Korffs Verunsicherung wächst, weil die Zahl von 100.000 sich irgendwie verflüchtigt, zumal die Polizei von einer ruhig verlaufenden Demonstration mit 25.000 Teilnehmern berichtet.
Korff stellt die Einwohnerzahlen mit denen der (wer, wofür?) Demonstration nebeneinander und kommt zu dem Schluss, dass „ganz Russland“ ein eigentümliches Konglomerat sein muss; mal sind das142 Millionen, mal 100.000. Oder allein schon die 11,5 Millionen Moskauer, zudem ohne Millionen Besucher gezählt, darunter vielleicht auch Neugierige, berufsmäßige und freiberufliche Beobachter ungeachtet. Einige von „ganz Russland-Russen“ müssen dann doch wohl bei Harrods in London oder am Ku’damm in Berlin einkaufen gewesen, oder einfach zu Hause geblieben sein. Wobei, dem Bericht zufolge, nicht nur „ganz Russland“, sondern auch noch alle diese Russen zwecks „gegen Putin“ unterwegs gewesen sind.
Korff besorgt um künftige Nöte der Journalisten-Kollegen: Wie müssten, könnten denn die Schlagzeilen lauten, wenn wirklich „alle Russen“ mal auf der Straße sind, etwa so wie früher am 1. Mai oder am Jahrestag des Sieges gegen die Okkupanten? Lässt sich dann das jetzt aufgebrauchte Wort „ganz“ bei weiterhin redlichen Absichten sprachlich noch irgendwie steigern? Probleme über Probleme!
Korff, seiner Grunderkenntnis verpflichtet, wonach nicht sein kann, was nicht sein darf, hegt betrübt immer heftiger Zweifel an der Möglichkeit, angesichts dieser Datenlage „Kakau“ bei der Schulaufgabe über die „Bevölkerungsteile Russlands“ Nächstenhilfe zu leisten.
Aber wo die intellektuelle Not am größten, da … Auf Neues Deutschland ist Verlass. Dort findet Korff Erleuchtung in der Schlagzeile vom 06. Dezember 2011 auf Seite 2:
„Ein Dämpfer für Putins Einheitsrussen“. (Frau Merkel könnte den Gag erahnen – wer noch?)
Das war ein langer Weg der Erkenntnis zu neuen Statistik- und ethnischen Kenntnissen für Korff; aber nun kann zumindest „Kakau“ geholfen werden, vielleicht auch seinen Lehrern: Der größte „Bevölkerungsteil Russlands“ ist / sind demnach „Putins Einheitsrussen“. Denn was im neuen Neuen Deutschland über Russland steht ist – bei einer Hauptquelle – authentisch und substanziell daher „reine Wahrheit“. Als solche pflegte unser aller Landesvater Konrad Adenauer die dritte Stufe von „Wahrheit“ zu benennen, wenn ihm bei seiner Wahrheitsfindung der ersten und zweiten Stufe ein Mangel angezeigt wurde – manchmal auch vom alten Neuen Deutschland.
P.S.: Neues Deutschland ist heute eine Tageszeitung im Zustand immerwährender Selbstfindung; gekennzeichnet auch dadurch, dass hier die Welt von hinten (das heißt vom Feuilleton aus) erklärt wird, und zwar sowohl als auch, was immer wieder, wenngleich falsch, für Dialektik ausgegeben wird. Lästermäuler meinten zunächst, Werke aus diesem Ressort würden wie Bewerbungen an Die Zeit klingen. Ein intellektuell grundlegender Irrtum: Die, die Die Zeit gern so erscheinen lassen, waren stets knallharte Parteigänger eines Standpunktes. Sowohl als auch kam da für niemanden ernstlich als Frage auf. Und darin sind sie sich treu geblieben, was übrigens auch in Fällen gilt, in denen sie richtig liegen.
Was „ganz Russland“-Berichte und ähnlich gelagerte Fälle anbetrifft, so findet sich unter den Top 10-Zitaten von Altkanzler und Zeit-Herausgeber Helmut Schmidt das folgende bedenkenswerte: „Wenn wir uns überall einmischen wollen, wo himmelschreiendes Unrecht geschieht, dann riskieren wir den Dritten Weltkrieg.“ Schmidt sagt – genau überlegt: wir.
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