15. Jahrgang | Nummer 1 | 9. Januar 2012

Bombige Geschäfte

von Wolfgang Schwarz

Zuerst die gute Nachricht: Der offizielle Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für das Jahr 2010 ist noch vor dem Jahreswechsel 2011 / 2012 erschienen und damit um einiges schneller als manche Vorgängerversion. Und noch eine gute Nachricht – zumindest für die Rüstungsindustrie: Der Export von Kriegswaffen erhöhte sich 2010 gegenüber 2009 von 1,3 auf 2,4 Milliarden Euro und damit immerhin um rund 85 Prozent. Das ist eine Steigerungsrate, von der andere bundesdeutsche Exportbranchen trotz ebenfalls glänzender Geschäfte nur träumen können. Fast die Hälfte der deutschen Rüstungsexporte entfiel 2010 wiederum auf Kriegsschiffe; geliefert wurden aber auch Kampfflugzeuge, Granatwerfer, Tausende von Handfeuerwaffen und anderes mehr.
Aus Sicht der Kritiker der deutschen Rüstungsexportpolitik ist mindestens die zweite „gute“ Nachricht allerdings bereits die erste schlechte, denn deutsches Kriegsgerät ging nicht nur an EU-, NATO- und so genannte NATO-gleichgestellte Staaten – zu letzteren zählen Australien, Neuseeland, Japan und die Schweiz –, sondern auch in Entwicklungsländer und Krisenregionen sowie in Staaten, in denen bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen oder die in regionale Konflikte involviert sind wie Irak (Exportwert 2010: 27,6 Millionen Euro) oder Pakistan (65 Millionen Euro; 30 Millionen davon überdies abgesichert durch Ausfallbürgschaften der Bundesregierung, so genannte Hermes-Kredite). Insgesamt haben sich gerade diese Lieferungen 2010 gegenüber dem Vorjahr auf 108 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Und weiteres Steigerungspotenzial für die Zukunft ist vorhanden, wurden doch 2010 zugleich neue Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, die laut OECD zu den Empfängern offizieller Entwicklungshilfe zählen, für zusammen über 747 Millionen Euro erteilt, wie die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) in ihrem „Rüstungsexportbericht 2011“ aufgelistet hat. Die GKKE verwies zugleich darauf, dass 2010 „die Ausfuhr von 41.537 kleinen und leichten Waffen genehmigt“ worden sei und sich der Wert der „Ausfuhren von kleinen Waffen und Munition […] seit 1996 vervierfacht“ habe. Die GKKE weiter: „Relevante Abnehmer deutscher kleiner und leichter Waffen sowie von Munition […] finden sich vor allem im Nahen und Mittleren Osten sowie in Südasien.“ Und „kleine“ Waffen – das sind nicht zuletzt solche, die in der Vergangenheit gern immer wieder in Gebieten auftauchten, für die gar keine Exportgenehmigungen erteilt worden waren, wie jüngst Handfeuerwaffen der Firma Heckler & Koch in Lybien, deren ursprüngliches Exportziel Ägypten gewesen sein soll.
Ein Wort noch zu den offiziellen Zahlen aus den jährlichen Rüstungsexportberichten der Bundesregierung. Bei denen mutmaßen Experten regelmäßig, dass sie mit kreativen Buchungstricks nach unten geschönt werden. Daher zum Vergleich: Die jährlich für den US Kongress erstellte Studie Conventional Arms Transfer to Developing Nations, die Deutschland als Waffenexporteur für 2010 weltweit auf Rang drei nach den USA und Russland setzte, summiert in ihrer Ausgabe 2003 – 2010 die deutschen Lieferungen an Staaten, die nicht der EU oder der NATO angehören oder letzterer gleichgestellt sind, für 2010 auf immerhin 500 Millionen Euro.
Ein möglicher künftiger Deal schlug in den Medien und in der politischen Community Deutschlands 2011 besonders hohe Wellen: der Verkauf von 200, nach anderen Quellen 270 Panzern des Typs Leopard 2A7+ an Saudi-Arabien, das 2010 mit über 152 Millionen Euro genehmigtem Exportvolumen Rang 10 unter den Hauptzielländern deutscher Rüstungsexporte einnahm. Für das geplante Panzer-Geschäft im Umfang von geschätzten zwei bis drei Milliarden Euro hat der Bundessicherheitsrat am 27. Juni 2011 mit dem positiven Bescheid bezüglich einer entsprechenden Voranfrage eine erste Weichenstellung vollzogen. Zuvor war ein in Spanien in Lizenz gefertigter Leopard 2A6 in Saudi-Arabien getestet worden, ohne das spanischerseits eine entsprechende Reexportgenehmigung in Berlin eingeholt worden wäre. Weil der deutsche Hersteller Krauss-Maffei Wegmann daraufhin befürchtete, dass Spanien das Rennen um dieses Geschäft machen könnte, soll es zu der Voranfrage an den Bundessicherheitsrat gekommen sein.
Das Gremium arbeitet geheim, weswegen die Bundesregierung zu diesem Vorgang seither jede offizielle Stellungnahme verweigert. Doch „in verschiedenen Medien preisen Merkel und ihre Minister“, wie die Süddeutsche Zeitung am 7. Juli 2011 vermerkte, Saudi-Arabien als Sicherheitspartner. Verteidigungsminister Thomas de Maizière argumentierte für den geplanten Deal gar mit der Behauptung, dass das Land „einer der wichtigsten Stabilitätsanker“ im Nahen und Mittleren Osten sei. Einer Behauptung, der Helmut Kohls langjähriger sicherheitspolitischer Berater Horst Teltschik im heute-journal des ZDF vehement widersprach: „Ich halte die heutige Lage in Saudi-Arabien für nicht stabil. Die ganze Region ist in Aufruhr“, weshalb es falsch sei, Panzer zu liefern.
De Maizières Diktum ist demgegenüber von Wunschdenken geprägt und mündet gerade deshalb in der Befürwortung des möglichen Deals: Kampfpanzer wären zwar allein aus geographischen Gründen zur Verteidigung gegen einen Gegner wie Iran nutzlos – und einen Einsatz gegen Israel halten die Entscheider im Bundessicherheitsrat offenbar für ausgeschlossen, da anderenfalls ein OK wohl nicht infrage käme –, dafür sind Panzer jedoch bestens geeignet für Drohkulissen gegen Demonstranten und zur Aufstandsbekämpfung. Das weiß man ja nicht erst seit den Bildern von 1953 (Berlin), 1956 (Budapest), 1968 (Prag) und 1989 (Peking). Im Falle des Falles kann damit die Stabilität gegen die innere Opposition aufrechterhalten oder in Nachbarstaaten wie Bahrein gegebenenfalls wiederhergestellt werden.
Kritiker verweisen darüber hinaus auf die problematische aktuelle Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien wie auch generell auf den Charakter des Nahen und Mittleren Ostens als Spannungsgebiet. Beide Aspekte spielen eine zentrale Rolle in den nach wie vor geltenden Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom Januar 2000 – und zwar expressis verbis als Gründe für die Verweigerung von Rüstungsexportgenehmigungen. Ein Verkauf der Leos an Saudi-Arabien wäre demzufolge, so Kritiker, ein fundamentaler Bruch mit der bisherigen Politik.
Das mag man so sehen. Selbst wenn man der SPD angehört und in der Regierungszeit unter Gerhard Schröder eher geschwiegen hat, als zwar die erwähnten Politischen Grundsätze „erfunden“ wurden, aber gleichzeitig die deutschen Rüstungsexporte eine erhebliche Ausweitung erfuhren und so genannten sicherheitspolitischen Erwägungen und / oder simplen Exportinteressen im Zweifelsfalle in der Regel der Vorrang gegenüber der Wahrung der Menschenrechte eingeräumt worden ist. Entscheidender dürfte allerdings sein, dass die Weichenstellung des Bundessicherheitsrates für einen Panzer-Deal mit Saudi-Arabien Indiz für einen angestrebten grundlegenden Paradigmenwechsel ist – hin zu einer Politik, für die dergleichen Waffenlieferungen an derartige Regimes nicht mehr die verdruckste Ausnahme sondern handlungsüblicher Normalfall wären und hinter dem nicht zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst steht. Oder wie anders soll man deren Einlassung beim Bergedorfer Gesprächskreis im vergangenen September interpretieren? Merkel wörtlich: „Wir müssen die Staaten, die bereit sind, sich zu engagieren, auch dazu befähigen. Ich sage ausdrücklich: Das schließt […] den Export von Waffen mit ein […] Wenn wir uns im Atlantischen Bündnis einig sind, dass die NATO nicht alle Konflikte lösen kann und dass den aufstrebenden Schwellenländern und Regionalorganisationen mehr Verantwortung zukommt, dann sollten wir im Bündnis bei den Rüstungsexporten auch schrittweise zu einer gemeinsamen Politik kommen.“ Ottfried Nassauer, Chef des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) und ein ausgewiesener Kenners der Materie, zog daraus die Schlussfolgerung: „Deutsche Rüstungsexporte sollen nicht mehr ‚restriktiv’ […] gehandhabt werden.“
Parallel dazu hat die Bundesregierung Kurs darauf genommen, die deutschen Rüstungsexporte deutlich aktiver als in der Vergangenheit zu unterstützen und auch gegen restriktivere internationale Regularien für derartige Exporte im Rahmen der EU zu wirken. Als Hintergründe dafür wird in den Medien auf die Verkleinerung der Bundeswehr und damit rückläufige inländische Großwaffenbestellungen sowie ebenfalls rückläufige Verkäufe an NATO-Partner infolge der Finanz- und Schuldenkrise verwiesen. So will allein die Bundeswehr gegenüber früheren Planungen zum Beispiel 37 Eurofighter, 60 Schützenpanzer Puma und 40 Kampfhubschrauber vom Typ Tiger weniger abnehmen. Im Gegenzug hat Verteidigungsminister de Maizière der Rüstungsindustrie kompensatorische staatliche Unterstützung in Sachen Rüstungsexporte zugesagt. Und Kanzlerin Merkel macht sich bereits seit Monaten zur Marketenderin für den Verkauf von bis zu 126, mit maßgeblichem deutschen Anteil hergestellten Eurofightern an Indien. Mit einem Volumen von rund zehn Milliarden Dollar wäre das einer der größten Rüstungsdeals aller Zeiten. O-Ton Merkel: „Ich glaube, dass wir ein gutes Angebot auf den Tisch gelegt haben […].“ Kurz vor Weihnachten setzte sie gemeinsam mit den Regierungschefs von Großbritannien, Spanien und Italien – den anderen Beteiligten am Eurofighter-Konsortium – gar ein Marketing-Schreiben an den indischen Premierminister Manmohan Singh auf, in dem es im besten Werbe-Sprech hieß: Der Eurofighter sei ein „exzellentes Flugzeug, das für sich selbst steht“; Indien wurde angeboten, das fünfte Land im Bunde der Konsortialparter zu werden.
Darüber hinaus hat Berlin – ganz auf dieser Linie – einer geplanten Verschärfung der Exportkriterien durch die EU massiven Widerstand entgegengesetzt. Bei Ausfuhrkontrollen solle das „Bestreben, Proliferationsbemühungen und destabilisierende Waffenanhäufungen zu verhindern, den legalen Handel, insbesondere die Wirtschaftsbeziehungen mit neuen Gestaltungsmächten, nicht unangemessen erschweren“, hieß es in einer Stellungnahme des Bundes an die EU-Kommission vom 27. Oktober 2011. In dem 21-seitigen Papier kam das Wort Menschenrechte zwar nicht vor, dafür sind aber die meisten Vorschläge der EU-Kommission abgelehnt worden.

P.S.: Hin und wieder ist im Zusammenhang mit der Förderung deutscher Rüstungsexporte auch immer noch die Schutzbehauptung zu hören, dies diene dem Erhalt von Arbeitsplätzen. Das war ethisch schon immer fragwürdig und ist heute – gelinde gesagt – Dummenfang. Nach eigenen Angaben umfasst die Rüstungsindustrie derzeit nur noch 80.000 Arbeitsplätze, und seit dem Ende des Kalten Krieges ist überdies wahrlich Zeit genug gewesen, sich des Themas Konversion beziehungsweise Produktion ziviler Güter anzunehmen.