von Erich Schmidt-Eenboom
Immer wieder sonntags versichern sich die Spitzen der Nachrichtendienste der NATO-Staaten, was für eine fruchtbare Partnerschaft doch die Mitglieder der klandestinen Community verbindet. Und da sind stets dieselben Lieder: Lieder von der gemeinsamen Front, an der man einst gemeinsam gegen die Sowjetunion focht und nun gegen den Internationalen Terrorismus ficht.
Geradezu überschwänglich werden die gegenseitigen Treueschwüre anlässlich von Jubiläen, wie sie der BND und die CIA im September 1986 auf Schloss Hirschberg in Oberbayern (Objekt Wildpark – alle Decknamen im Folgenden in Kapitälchen) zur 40-jährigen Zusammenarbeit feierten. BND-Präsident Hans-Georg Wieck beschwor nach der Begrüßung der Freunde und Partner aus den Vereinigten Staaten die „weitgefächerte Interessenidentität“. Und Robert Gates bedankte sich artig: „Die Geschichte, die wir erinnern ist eine einer engen und effektiven Zusammenarbeit zwischen Alliierten.“ Die kommende Generation habe – so der damals stellvertretende CIA-Direktor – den Auftrag zur Weiterführung und zur Bereicherung einer „very special relationship“.
Deutlich realistischer hatte Christopher Felix in seinem Buch „Methodik des Geheimdienstes“ von 1963 das Verhältnis zwischen Nachrichtendiensten eingeschätzt. „Geheimdienste mögen auf demselben Bett zusammensitzen; sie mögen selbst die Decken ein wenig zurückschlagen, aber niemals gehen sie zusammen ins Bett“, resümierte der Autor nach 16 Jahren in Diensten der CIA. Wie speziell die transatlantische Beziehung zwischen dem deutschen und dem US-amerikanischen Auslandsnachrichtendienst von Anfang an wirklich war und auch wie wenig sie mit der zur Schau getragenen Brüderlichkeit zu tun hatte, zeigt ein Blick in ausgewählte CIA-Akten aus der National Archive and Record Administration (NARA) in Washington.
Einmal Ziehkind, immer Ziehkind? – Das Auge der CIA über Gehlen und seinen Nachfolgern
Solange die CIA die Organisation Gehlen (im Folgenden: Org) bis zum April 1956 finanzierte, übte sie eine intensive Kontrolle über ihr Pullacher Ziehkind aus, ließ sich regelmäßig Listen aller bezahlten Mitarbeiter und Agenten vorlegen und war über die Bezahlung des Stammkapitals für die zumeist als GmbHs getarnten Filialen über nahezu jede Außenstelle informiert.
Die amerikanische Bewirtschaftung der Fernmeldeanlagen in Pullach erlaubte es der CIA, den Telefon- und Telegrammverkehr der Org zu überwachen und die so gewonnen Daten auf Vorrat zu speichern. Dass sie von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machte, zeigt beispielsweise die CIA-Personalakte zum Org-Mitarbeiter und KGB-Spion Hans Clemens. Im Untersuchungsbericht des US-Dienstes zu seinem Verratsfall sind acht Telefonate von Clemens im Zeitraum von November 1950 bis Januar 1951 mit dem Vertreter Gehlens in Madrid, Rudolf Doerr, ebenso aufgeführt wie seine vier Telegramme in die spanische Hauptstadt.
Soweit Gehlen seine Partnerdienstkontakte telefonisch pflegte, wurden auch diese Gespräche von der CIA erfasst. In seiner CIA-Akte findet sich eine Übersicht über die von seinem Dienstapparat geführten Auslandsferngespräche im Zeitraum vom 25. Juli 1951 bis zum 22. März 1952. In diesen etwa acht Monaten registrierte der US-Dienst 28 Gespräche, davon neun nach Rom und 19 in die Schweiz, von denen wiederum neun mit Marcel Mercier vom französischen Nachrichtendienst.
Nachdem eine Fernschreibleitung zwischen der Org und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingerichtet worden war, überwachte der US-Dienst auch diese Kommunikationslinie. Vom 1. bis zum 20. Januar 1953 registrierte die CIA zum Beispiel 18 Fernschreiben, darunter 12 von der Org an das BfV, die sich mit Personalangelegenheiten zu Fritz Arlt oder Auskünften zur „Forschungsstelle für die Sowjetunion“ beschäftigten.
Aber selbst das reichte der Agency noch nicht. Sie ließ serienweise die Telefone von Org-Mitarbeitern überwachen und selbst die Gespräche von Sonderverbindungen wie dem Admiral a.D. Conrad Patzig in Rod an der Weil abhören. Die CIA fing selbst Briefe aus Kanada an die Ehefrau der Gehlen-Verbindung Jürgen Zutt ab, wenn sie den nur zu oft begründeten Verdacht hegte, dass Gehlen sie hinterging.
Im April 1956 mauserte sich die CIA vom Patron zum Partnerdienst Hortensie des BND. Seither, so die offizielle Lesart, verbindet die Dienste eine enge transatlantische Partnerschaft.
Wo das Bundesverwaltungsgericht dem BND zur Auflage macht, einen Antrag auf Freigabe von Akten nach 30-jähriger Sperrfrist nicht pauschal, sondern substantiiert zurückzuweisen, da segelt die Ablehnungsbegründung häufig unter der Flagge der Involvierung von Partnerdiensten. Die Rücksicht auf den großen Bruder CIA wird bis ins Kleinste gepflegt. Wer im Bundesarchiv in Koblenz die freigegebenen BND-Akten zur Ausforschung der großen volkseigenen Betriebe in der DDR studiert, wird selbst für die 1950er Jahre Entnahmenotizen finden. Zwischen den Befragungsprotokollen der Org, die nach West-Berlin geflüchtete VEB-Mitarbeiter vernahm, klaffen dort Lücken, wo die Org weitere Befragungsberichte von den amerikanischen Diensten bekommen hatte.
Auf der anderen Seite des Atlantiks stößt der Gedanke, nachrichtendienstliche Erkenntnisse über befreundete Dienste im Dunkeln und gemeinsame Leichen im Keller zu lassen, nicht auf Gegenliebe. Im amerikanischen Nationalarchiv rangiert die Freiheit der Wissenschaften deutlich vor ehemaligen Staatsgeheimnissen. Aufgrund des 1998 von US-Präsident Bill Clinton erlassenen „Nazi War Criminal Disclosure Act“ hat die Interagency Working Group im NARA in zähem Ringen mit der CIA bis 2007 die Herausgabe von 36 Sachakten erreicht. Weitestgehend ungefiltert und ungeprüft wurden jedoch vor allem 968 Personenakten für die Forschung geöffnet. Der Vortext zum Findbuch der Record Group 263 erläutert, dass sowohl Kriegsverbrecher, als auch Unschuldige, Opfer von Kriegsverbrechen, Zivilisten und Militärs, die NS-Aktivitäten verfolgten sowie gänzlich unbeteiligte Personen in den Akten auftauchen. So erweisen sich diese Dokumente als wahre Fundgruben. Ein Beispiel: Der schon 1948 in die Org eingetretene ehemalige SS-Untersturmführer Reinhardt Baumert (Bachmann), Jahrgang 1914, – im Dezember 1959 noch auf einer Peilbasis in der Türkei – war im Dezember 1961 in der BND-Gruppe 900 (Stay Behind) eingesetzt. In seiner Akte finden sich weitere 23 Personenangaben zu BND-Mitarbeitern, darunter mit den Münchnerinnen Dr. Paula Görke, Babette Heiss und Regina Herrlau drei Frauen. So wurden weit mehr Mitarbeiter deutscher Geheimdienste aus ihrer Anonymität gerissen, als rund 400 sie betreffende „Name Files“ vermuten ließen.
Die freizügige Freigabepraxis der CIA an das US-Nationalarchiv verhalf dem Focus im Oktober 2011 zu einer formidablen Geschichte. Das Münchner Nachrichtenmagazin berichtete ausführlich über die jahrzehntelange Sammelwut der CIA, die Herzinfarkte von BND-Mitarbeitern ebenso akribisch registrierte wie Eheschließungen, Geburten oder private Kontakte. Ein hochrangiger früherer Abwehrmann aus Pullach sah die US-Geheimdienstakten mit einigem Entsetzen. „Dass die CIA uns bis aufs Hemd ausgezogen hat, haben wir immer wieder vermutet. Jetzt haben wir die Belege dafür, die Gewissheit, es ist wirklich sehr bitter“, kommentierte er nach Einsichtnahme in einige der frei zugänglichen CIA-Dokumente. Befragt, ob er von einer Weiterführung der CIA-Spionage gegen den BND nach 1991 ausginge, führte der fachkundige Veteran eine Volksweisheit ins Feld: „Die Katze lässt bekanntlich das Mausen nicht.“
Die 15-seitige Aufstellung von Anfang Oktober 1991, auf der der Focus-Artikel vornehmlich beruhte, findet sich zwischen zwei Vorgängen vom Mai 1949 und Oktober 1952 in der Akte des SS-Obersturmbannführers Fritz Arlt, der vom Dezember 1948 bis Ende 1955 für die Org gearbeitet hatte, bevor er zum Deutschen Industrieinstitut wechselte. Auf den Grund dieser Fehlablage gibt es zwei Hinweise: Auf der ersten Seite des Dokuments scheint zum einen der BND-Mann Dieter Arlt auf, zum anderen ein Alias Arlt. Hinter diesem Decknamen verbarg sich jedoch Oberstleutnant Pieschel aus dem Referat 33 D (Militär- und Rüstungskontrollpolitik, Militärstrategie, Sicherheitslage des Warschauer Pakts).
Das Papier listet die BND-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in alphabetischer Reihenfolge auf, unter ihrem bürgerlichen Klarnamen oder unter dem Decknamen, häufig beides. So blitzen in bunter Folge einige Residenten des BND im Ausland auf: in Washington, D.C., Rudolf Werner (Karlheinz Kempe), in New York Helmut Bialek (Gradl), in Ankara Jelto Burmeister (Janssen) und seinen Stellvertreter Harald Ullrich, in Paris Elmar Remberg (Welf), in London Wolfgang Schneider (Schwabach), in Brüssel Frank Asbeck (Berghof), in Antwerpen Hans-Eberhard Osbild, in Bern Ritz, in Kopenhagen Kinzius, in Wien Klebitz, zurück aus Bagdad Wolf-Dieter Weyrich, Hermann Beyer und Lothar Bleidorn, in Moskau ab Anfang 1992 Trutz-Volkhard Dahn (Duisberg) und in Harare (Simbabwe) Einhard von Kappherr. Unsicher war sich der US-Dienst nur in der Frage, ob Erwin Penkert der amtierende Statthalter in Athen sei.
Erfasst wurde am 1. Oktober 1991 beileibe nicht nur das Führungspersonal wie der Leiter der Sicherheitsabteilung Volker Foertsch (Fleming) samt privater Telefonnummer, Wolbert Smidt (Sandmann), Leiter der Unterabteilung 12, oder der Verbindungsmann zur Bayerischen Staatsregierung Oberst Joachim Oberhoff (Gorski), sondern selbst jede kleine Angestellte. Die Leiterin des BND-Meldekopfs am Münchner Flughafen Anna Aumiller, einfliegenden BND-Mitarbeitern auch als „Sissy“ vertraut, scheint ebenso auf wie die Sekretärin des Sicherheitschefs Albrecht Maximilian Rausch, Frau Susanna Ferau. Selbst den Schwangerschaftsurlaub für Andrea Ingeborg Biermeier (Bidinger) aus dem Referat 14 C (Befragungswesen) von 1990 bis 1993 hatte die Agency registriert.
Das CIA-Papier enthält ingesamt 336 Einträge zu 226 BND-Mitarbeitern, darunter auch Präsident Konrad Porzner und sein Vorgänger Hans-Georg Wieck (Claus Drahter). Teilweise sind es nur Splitter, die der amerikanische Verfasser zu Papier brachte, teilweise ältere Angaben aus den 1980er Jahren wie zu dem Vizepräsidenten des BND Norbert Klusak, der am 27. Februar 1986 verstorben war. In einem Fall vermerkte die CIA sogar nur den Vornamen Jasmin (Telefon 7938871) der Sekretärin von Jürgen Gockel (Breu), dem stellvertretender Leiter des BND-Referats 13 A (USA, GB, Skandinavien). Handschriftliche Bearbeitungsnotizen an jedem Namen zeigen, dass die Daten abgeglichen wurden.
Nun könnte, wer den Rettungsschirm über der deutsch-amerikanischen Geheimdienstpartnerschaft aufspannen möchte, die wohlmeinende Vermutung äußern, es handele sich bei dieser Liste um einen Einzelfall. Angesichts von mehreren Hundert in den USA ungeschwärzt freigegebenen Akten über Mitarbeiter der Organisation Gehlen und des BND stünde er dennoch im Regen. Der BND ist nun in der misslichen Lage, für das gigantische Outing seiner Mitarbeiter nicht mehr kritische Journalisten verantwortlich machen zu können, sondern muss dies in erster Linie dem Partnerdienst in Langley anlasten.
Routinemäßig kartiert – Eine Personalabteilung für den BND in fremden Händen
Wie systematisch die CIA die Mitarbeiter des BND jahrzehntelang ausspähte, geht aus einem 14-seitigen Bericht des Leiters der Münchner CIA-Station vom 27. Juli 1964 hervor: „Obwohl wir die Namen aller neuen BND-Mitarbeiter in die UJVENTURE-Kartei (Übersetzung? 1964 gab es noch keine Dateien. Ist vielleicht „Kartei“ gemeint?) der Munic Liaison Base einarbeiten, die wir durch die Anträge der Organisation auf COSMIC- und SIGINT-clearance bekommen, werden wir die Änderungen und Ergänzungen nicht mehr länger in periodischen Depeschen melden, da sie im ohnehin im Routinebetrieb kartiert werden, wenn sie zum ersten Mal gemeldet werden“, ließ das Münchner Verbindungsbüro die Europaabteilung in Langley wissen.
Die Einträge in das „Notebook“ der CIA erfolgten in sechs Kategorien. Der erste Block referiert 17 Klarnamen (Identifications – True Names), darunter die Nichte des Präsidenten Christina Gehlen aus dem Auslandsverbindungsbüro bei Hans Winter (Wilden) und den Leiter des Breisacher Ionosphäreninstituts des BND Professor Karl Rawer.
Den größten Umfang hat der zweite Abschnitt, der sich nicht nur mit personellen, sondern auch mit organisatorischen Veränderungen in Pullach befasste (Organizational and Personnel Change). Hier wurden etwa 50 BND-Mitarbeiter vom Leiter der taktischen Beschaffung Herbert Krause (Reichlin) über den kommenden BND-Residenten in Den Haag, Hans von Büchler (Brock), bis zu Graf Götz zu Bullion (Golz) als künftigem Verbindungsmann in Brüssel registriert. Selbst, welcher neue Fahrer ab Februar 1964 den BND-Residenten in Washington, D.C., Conrad Kühlein (Kühne), chauffieren würde, war der Erfassung wert.
Im nächsten Abschnitt (Separations) ging es um 18 Abgänge aus dem BND und ihre Gründe – bei Oberstleutnant Helmut Druschkowitsch (Druxa) beispielsweise die Rückkehr in die Bundeswehr zum 1. November 1964, bei dem Verbindungsmann zum Verfassungsschutz Ernst Ludwig Rosemann (Karllson) schlicht um einen Rauswurf im Februar 1964 und bei der Tochter Irene (Lausitz) von BND-General Langkau um die Geburt eines Sohnes.
Im Abschnitt Klarnamen (True Names) werden für fünf bisher nur unter Decknamen bekannten Männer die bürgerlichen Identitäten ausgebreitet, wie für Major Mommsen, der nun als Hans-Georg Matterhaupt, geboren am 2. Juni 1915 in Stettin, erkannt wurde, seit 1962 Offizier im Stay-Behind-Programm und nun in der Militärauswertung.
Den zweitgrößten Block machen 42 Identifikationen (Identification – Alias) aus. Dabei ging es vor allem um Ersterfassungen mittlerer und unterer Ränge, zumeist nur mit Decknamen und mit wenigen persönlichen Details gespickt. Fräulein Adler, das schon im Sommer 1963 als „Ferienkind“ beim BND gearbeitet habe, sei nun als Sekretärin fest in der Übersetzungsabteilung bei Wolfram Wilss (Wille) eingestellt worden, hält die Agency beispielsweise fest, oder dass Schranz Anfang 1964 Sachbearbeiter für die CSR in der Militärauswertung wurde.
Berichtigungen (Corrections) gab es nur vier. Bei der Sekretärin in der Militärauswertung, „Fräulein Ramona (Ramin)“ wurde dabei die schmeichelhafte Altersangabe konkretisiert: Sie sei am 15. April 1921 geboren und nicht, wie zuvor berichtet, etwa 1935.
Worin der nachrichtendienstliche Wert insbesondere bei den kleinen Fischen und den Privatangelegenheiten besteht, ist außerordentlich fraglich. Offensichtlich waren sowohl der Münchner CIA-Verbindungsstab, als auch das CIA-Hauptquartier in Langley ehrgeizig bemüht, ein alternatives BND-Personalbüro zu unterhalten.
Die Bezugsdokumente dieser Liste offenbaren auch die Intensität, mit der Personalveränderungen im BND registriert wurden. Im Vorlauf zu dem Bericht vom 27. Juli gab es allein im ersten Halbjahr 1964 neun weitere solche Meldungen.
Zugänglich ist auch die von der CIA am 21. Januar 1963 erstellte Liste derjenigen BND-Mitarbeiter, die nicht bereits im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen an die CIA-Zentrale nach Langley gemeldet worden waren. Bevor auf Seite 7 der Meldung die Umstrukturierungen im Bereich der technischen und operativen Beschaffung sowie bei der Gegenspionage dargestellt werden, sind 75 BND-Mitarbeiter mit Geburtsort und -datum sowie ihrer Wohnanschrift aufgeführt, davon 15 Frauen.
Vom Winde verweht – Wenn Schlapphüte ihre Tarnkappe verlieren
„Biografische Akten bilden das Herzstück eines jeden Nachrichtendienstes und persönliche Daten über mögliche Zielpersonen werden von allen Nachrichtendiensten eifrig gesammelt“, zitierte der britische Historiker David Stafford 2003 den CIA-Mitarbeiter William Hood. Biografische Akten bieten auch Wissenschaftlern und Journalisten, die sich der Beschäftigung mit Nachrichtendiensten verschrieben haben, wichtiges Material für ihre Veröffentlichungen.
Wer unter ihnen mag, kann sich aus den NARA-Akten der Record Group 263 nahezu die gesamte Nomenklatura des BND unter Gehlen und auch darüber hinaus und seiner Vorläuferorganisation erschließen und Hunderte kleiner Fische dazu.
Auf das Outing ihrer Mitarbeiter reagieren Nachrichtendienste stets mit demselben Feldgeschrei. Die Enttarnten seien an Leib und Leben gefährdet. Eine Nummer kleiner geht es nicht. „Die Veröffentlichung traf Leitung und Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes tief. Man sah die Sicherheit und Arbeitsfähigkeit des Dienstes und seiner Mitarbeiter gefährdet. Dies gilt insbesondere für die Offenlegung nachrichtendienstlicher Verbindungen und der Legenden der Mitarbeiter sowie die Bloßstellung von Partnerdiensten“, resümierte der von der Parlamentarischen Kontrollkommission des Bundestags bestellte Gutachter Gerhard Schäfer im Mai 2006 die Reaktion auf mein 1993 erschienenes Buch „Schnüffler ohne Nase. Der BND“. Wie vorschoben das Argument ist, die enttarnten Geheimdienstler seien an Leib und Leben bedroht, macht schon die Tatsache deutlich, dass in den 13 Jahren zwischen dem Erscheinen des Buchs und dem erneuten Absingen des Klagelieds keinem von ihnen je ein Härchen gekrümmt wurde.
Die heimliche Sorge der Dienste ist eine andere. Die in Washington bereit liegenden Daten eröffnen für Journalisten und Wissenschaftler völlig neue Zugänge. Die NARA-Akten zur Gründergeneration geben meistens sowohl die privaten Wohnanschriften, als auch die Namen und das Geburtsdatum der Kinder preis. Da muss man nicht besonders findig sein, um bei einer Tochter oder einem Sohn vorstellig zu werden, um sie als Zeitzeugen zu befragen. Noch leichter ist es, in vielen Fällen bei den jüngeren Listen zu ermitteln, wie so mancher Pullacher Veteran des Kalten Krieges heute erreichbar ist.
Pensionären droht die Gefahr, auf ihre geheime Vergangenheit angesprochen zu werden. So könnte Barbara von Treskow-Klöck als Kuratoriumsmitglied im Verein Schule Schloss Salem e.V. gefragt werden, was sie 1991 als stellvertretende Leiterin der BND-Residentur bei den Vereinten Nationen in New York so getan habe. Das Internet erlaubt überdies, die Spuren, die BND-Mitarbeiter hinterlassen haben, aufzuspüren, und sei es nur herauszufinden, dass der ehemalige Leiter des Referats 33 D (Militär- und Rüstungskontrollpolitik), Oberst Winfried Aloysius Parschau (Gutedel) als „Sohn des ehemaligen Textilkaufmanns Arno Parschau aus Ortelsberg und seiner Ehefrau Elisabeth“ im März 1959 sein Abitur am Gymnasium in Neumünster gemacht hatte.
„Brücke“ mit Einsturzgefahr
Im Dezember 1965 wurde Reinhard Gehlen von einigen anti-amerikanisch eingestellten Offizieren auf die amerikanische Ausspähung seines Dienstes aufmerksam gemacht. Sie impften ihren Chef mit Informationen über die „Brücke“, einen amerikanischen Club nahe der Münchner McGraw-Kaserne. Dort gingen zahlreiche Mitarbeiter des BND ein und aus und würden so ein Sicherheitsrisiko darstellen. Gehlen sei – so der Abteilungsleiter Kurt Weiß (Winterstein) bei einer gemeinsamen Weihnachtsfeier gegenüber der CIA – diese amerikanische Einflussnahme schon immer suspekt gewesen. Im Ergebnis habe sein Präsident einen starken Gefühlsausbruch gehabt und neue Sicherheitsrichtlinien verlangt. Der CIA-Offizier versuchte aus Weiß herauszukitzeln, wer die anti-amerikanischen Offiziere seien, die Einfluss auf Gehlen genommen hätten. Aber der mochte keine Namen nennen. Der US-Nachrichtendienstler hatte da seine eigenen Vermutungen: Holten und Bohlen, ausgerechnet zwei Offiziere, die von ihrem Auftrag her eigentlich dem Westen zugewandt sein sollten: General Wolfgang Langkau (Holten) als Leiter der strategischen Westaufklärung und Georg Buntrock (Bohlen), seit einigen Jahren Leiter des Auslandsverbindungsdienstes.
Weiß hoffte jedoch, dass sich die Wogen bald glätten und dass man zu normaler Zusammenarbeit zurückfinden würde. Und er hatte noch einen Rat für die CIA: Sie sollte sich darauf einlassen, dass die Sicherheitsabteilung des BND eine begrenzte Anzahl von BND-Mitarbeitern auswähle, die in Zukunft allein Zugang zur „Brücke“ bekämen.
Den intensivsten Gebrauch vom Besuchsrecht in der „Brücke“ machte der Sicherheitsbeauftragte des BND, Volker Foertsch, selbst. Was Fleming mit der CIA zu besprechen hatte, fand seinen Niederschlag in Dutzenden von „contact reports“ in den frei gegebenen CIA-Akten. Es waren hauptsächlich Gespräche über der Doppelagententätigkeit verdächtige BND-Mitarbeiter – viele von ihnen mit SS-Hintergrund.
Es waren aber nicht nur die „Wasserträger der CIA“, wie sie der BND-Referatsleiter Waldemar Markwardt (Marx) 1996 in seinen Memoiren abschätzig nannte, die dem US-Partnerdienst zu Personeninformationen verhalfen, sondern auch schlicht leichtfertige Zeitgenossen. Nach reichlichem Biergenuss hatte etwa der BND-Mitarbeiter Elvin Amberg aus Pöcking so einer Quelle der 513ten Military Intelligence Group 1963 anvertraut, dass er für den Bundesnachrichtendienst arbeite und „Bundesvermögensverwaltung“ nur die Tarnadresse sei. Nachdem die CIA diese Mitteilung erhalten hatte, vergewisserte sie sich zusätzlich bei Walrab Rudolf von Buttlar (Bernhardt), dem Leiter der Gruppe für personelle und materielle Sicherheit der BND-Zentrale, weil Amberg nicht im BND-Telefonbuch 1962/63 verzeichnet war, das die CIA also auch besaß.
„Höllisch nett“, „sorglos“ und „verwirrt“ – Die persönliche Sicht von Major Raymond N. Clark
Bei ihrer systematischen Erfassung aller verfügbaren Informationen über BND-Angehörige stützte sich die CIA nicht nur auf „contact reports“, Anträge auf Sicherheitsüberprüfungen, das Abschöpfen Pullacher Beamter und ähnliches mehr, sondern sie erhielt auch Amtshilfe aus den US-Streitkräften. Der scheidende Verbindungsoffizier von USAREUR, dem Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa, verfasste im November 1965 auf Anforderung eine Hintergrundinformation über den Bundesnachrichtendienst, die er auch mit dem CIA-Verbindungsoffizier zu diskutieren gedachte.
Man darf diesen Bericht von Raymond N. Clark, der zwei Jahre beim BND verbrachte, streckenweise despektierlich nennen. „Wer auch immer das Gerücht aufgebracht hat, die Deutschen seien diszipliniert und ordentlich, der hatte noch nie Kontakt zum BND“, befand der amerikanische Major süffisant und führte wenige Zeilen später zum Beweis den BND-Offizier Koller – „einen höllisch netten Kerl“ vor. „Koller besitzt voluminöse Ordner, Notizen, Diagramme, Zeitpläne etc. – alle mit großen Pfeilen, Kreisen und kryptischen Anmerkungen versehen, die ihn daran erinnern sollen, was los ist. Das Problem ist nur, er kann nie den richtigen Ordner finden, wenn er ihn braucht. Aber, wie ich schon sagte, ein höllisch netter Kerl.“ Clarks ironische Abwertung des BND-Manns ist offensichtlich nicht folgenlos geblieben. Koller, Jahrgang 1921, war 1964 im BND für die operative Zusammenarbeit mit der CIA vorgesehen, zog es jedoch vor, als Regimentskommandeur zur Bundeswehr zurückzukehren.
Auch einer der drei Verbindungsoffiziere zum Militär, ein gewisser Laiber, kam wenig schmeichelhaft weg. Clark beschrieb ihn als sorglos, indifferent und verwirrt. Er habe ihm nur Routineangelegenheiten vorgelegt und ihn nach Möglichkeit gemieden, wenn er Antworten auf wichtige Fragen hätte haben wollen. Außerdem habe Laiber eine Neigung, über klassifizierte Informationen am Telefon zu plappern.
Hemmungen, nicht nur über sachliche Probleme wie die qualitativ zweitklassigen BND-Informationen zu berichten, sondern eine ganze Reihe seiner Partner in Pullach als mehr oder eher minder gut zu charakterisieren, kannte der Major nicht. Bedenken hatte Clark schon deshalb nicht, weil er auf der letzten Seite seines Berichts glaubte, nur Gleiches mit Gleichem zu vergelten: „Der BND sammelt aktiv Informationen über jeden von uns, mit dem er in Kontakt kommt. Ich warne alle Besucher des BND, die nach Pullach kommen. Sie sollten auch jeden bei USAREUR warnen, wenn BND-Angehörige dort Besuche machen. Auch die Analytiker, die BND-Analytiker bei NATO-Konferenzen treffen, sollten darüber unterrichtet werden.“
Schlagwörter: BND, Bundesamt für Verfassungsschutz, CIA, Erich Schmidt-Eenboom, Organisation Gehlen, Volker Foertsch