von Ulrike Krenzlin
Als Studentin bin ich immer wieder nach Polen gereist. Es ging um Geheimnisse deutsch-polnischer Geschichte. Damals zogen mich jene Stätten an, in denen die 1.000-jährige Nachbarschaft deutsch-polnischer Beziehungen Kunstwerke von europäischem Rang hervorgebracht hat. Alle stehen sie bis heute in der Kunstgeschichte an erster Stelle. Dazu gehört die Gnesener Bronzetür in Gnieszno. Małbork mit der hochgotischen Marienburg, dem Hauptsitz des Deutschen Ordens. Heute UNESC0 Weltkulturerbe. Geschichte und Denkmal von Mikołai Kopernik (Nikolaus Kopernikus) in Torun. Das Ermland mit den Städten Thorn, Frauenburg und Heilsburg – zur Dürerzeit eine polnische Enklave im Deutschordensland. Meine Reisen mussten auch nach Kraków führen wegen der Marienkirche, in der sich der bedeutendste spätgotische Wandelaltar befindet, der Marienaltar von Vit Stwosz.
Und nicht zuletzt gehören zu diesem Kanon von Kunstwerken Jan Mateijkos Historienbilder „Schlacht bei Tannenberg“ (1878, Warschau) und die „Preußische Huldigung“ (1882, Krakau). Letztere ist – als Zeugnis polnischen Nationalstolzes – im Lichthof des Berliner Gropius-Baues installiert worden, im Rahmen der Ausstellung „Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte“.
Meine damaligen Reiseergebnisse waren mager. Oft habe ich nicht einmal die deutschen Namen für polnische Städte herausfinden können. Es gab keine alten Karten, niemand, den man nach der Geschichte hätte fragen können. Die polnisch-deutsche Geschichte ruhte lange und tief im Dornröschenschlaf. Mit der jetzigen Ausstellung ist sie wieder erwacht. Die Verdunklungen der Rezeptionsgeschichte deutsch-polnischer Beziehungen, vertieft vor allem durch den Nationalsozialismus, sind vorübergezogen. Die historischen Landkarten tragen deutsche Namen: Gnieszno heißt wieder Gnesen, Torun ist Thorn. Der bedeutende deutsche Künstler Veit Stoß aus Nürnberg hat sein Hauptwerk, den Hochaltar für die Marienkirche, in Krakau geschaffen. Dazu hatte er von der deutschen Kaufmannschaft einen Großauftrag erhalten Mit der Darstellung des„ Marientodes“ trieb er die gotische Plastik zur letzten Blüte des Spätmittelalters. Veit Stoß galt in Deutschland und Polen als polnischer Künstler mit dem Namen Vit Stwosz. Jetzt heißt er wieder Veit Stoß. Der Name Nicolaus Copernicus erscheint nicht, auch nicht im Klammern, polnisiert. Auch ist der alte Streit aus dem 19. Jahrhundert wegen der Kopernikus Büste für die Walhalla endlich behoben. Es ging um die Frage, was das Gedenken an einen polnischen Wissenschaftler in der Walhalla, die deutschen Geistesgrößen vorbehalten sei, zu suchen habe.
In zweiundzwanzig Themen-Sälen mit Präsentationen von Ereignissen aus allen zehn Jahrhunderten wird ein gemeinsames Haus errichtet, dessen Grundmauern im 10. Jahrhundert gelegt worden sind. Das Haus trägt den Namen Europa.
Diese Ausstellung ist mehrere Jahre vorbereitet worden. Beide Seiten haben zum Aufwand mit je einer Million Euro beigetragen. Kuratorin des Projektes ist Anda Rottenberg. Die Polin wurde bekannt für ihre hochbrisanten Ausstellungen zur Gegenwartskunst, wofür sie Proben in den Räumen 19 bis 22 liefert. Die Geschichte erarbeitete sie gemeinsam mit einem Beirat aus zwölf namhaften polnischen und deutschen Wissenschaftlern. Beiratsvorsitzender, Staatssekretär Prof. Dr. Władysław Bartoszewski, trug das Konzept bei einer Pressekonferenz in bewegenden Worten vor. Das Überleben des Konzentrationslagers hat der bekennende Katholik verstanden als ein Zeichen. Fortan wollte er auf seinem Lebensweg Zeichen erkennen und darin nach der Wahrheit suchen. In den Zeiten des Kalten Krieges sah er als einer der ersten in der Aussöhnung von Deutschen und Polen ein solches Zeichen. Diese Aussöhnung führte schließlich am 17. Juni 1991 zum Vertrag über gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland.
Veranstalter des Projektes sind das Königsschloß Warschau und die Kunst- und Ausstellungshalle im Martin-Gropius-Bau. Die Ausstellung beginnt mit der Christianisierung durch den Heiligen Adalbert, der von Heiden getötet wurde. Dem Missionar wurden der Kopf abgeschlagen und das Geschlechtsteil abgeschnitten. Kaiser Otto III. löste den Leichnam gegen Gold von den Heiden aus. Mit der Rückführung der Gebeine des Heiligen begründete Otto der Große in Gnesen die Adalbert-Verehrung. Sie spielte in Polen über Jahrhunderte eine große Rolle. Mirołslaw Bałka, einer der großen polnischen Gegenwartskünstler, zeichnet in Neonschrift das Martyrium des Bischofs nach (1987).
Im Lichthof des Gropius-Baus wird eine zentrale Installation zum Thema Deutscher Orden präsentiert. Unter anderem findet sich hier Jan Matejkos monumentales Nationalepos „Preußische Huldigung“, ein acht Meter langes Bild. Schon zur Entstehungszeit wurde es in allen Hauptstädten der Welt gezeigt. In diesem Historienbild – von höchster theatraler und künstlerischer Qualität, die einem Carl Theodor von Piloty oder Wilhelm von Kaulbach nicht nachsteht – unterwirft sich der letzte Hochmeister des Deutschen Ordens, Albrecht von Brandenburg-Ansbach, am 10. April 1525 auf dem Marktplatz in Krakau der Lehnshoheit des polnischen Königs Sigismund I.; mit dem Lehnseid wird der Brandenburger zugleich weltlicher Herzog von Preußen. Damit ist der Weg zum preußischen Königtum bereitet.
Der Katalog, ein Handbuch von 1.000 Seiten, führt mit 59 Einführungs- und 600 Objekttexten in die Epochen ein. Ausstellung und Katalog sind die erstmalige Anstrengung, die gegenseitige Geschichte von 1.000 Jahren gemeinsam darzustellen. Überall neue Akzente. Plattitüden aus der marxistischen Geschichtsschreibung gibt es hier nicht. Die Geschichte ist das Ergebnis handelnder Menschen mit ihre Vorzügen und Schwächen. Die Christianisierung Polens wird als Kulturleistung erfahrbar. In ihr liegen die Wurzeln für das frühe Bekenntnis Polens zu Europa.
Martin-Gropius-Bau, Niederkirchner Straße 7, 10963. Berlin; bis 09. Januar 2012, Mittwoch – Montag 10 – 20 Uhr, dienstags geschlossen (nicht am 27.12., dafür am 24. und 31.12.2011); Eintritt: 12,- Euro (inkl. Audioguide); Kataog: 39,95 Euro.
Schlagwörter: Deutschland, Gropius-Bau, Polen, Ulrike Krenzlin