von Christoph Marischka
Dass es sich beim „Rücktritt“ Mubaraks oder dessen „Sturz“ de facto um einen Militärputsch gehandelt hat, kann kaum bestritten werden. Die International Crisis Group etwa ist der Auffassung, dass „in dem Moment, als die Panzer am Abend des 28. Januar in die großen Städte einrollten, das Militär im Grunde die Macht übernahm“. Vor dem Hintergrund der Spannungen zwischen Regierung, Innenministerium und der Armee erscheint der den Soldaten entgegengebrachte Jubel und der völlige Legitimitätsverlust der Polizeikräfte umso bedeutungsvoller. Erinnert sei zudem daran, dass der Oberste Militärrat am Tag vor Mubaraks „Rücktritt“ sein „Communique Nr.1“ veröffentlichte, in dem er bekannt gab, dass er „zusammengetreten sei, um die Ereignisse zu erörtern und entschieden hat, in ständiger Beratung über die Maßnahmen und Prozeduren zu bleiben, die getroffen werden können, um die Nation zu schützen“. Damit war Mubarak endgültig entmachtet, die Erklärung seines Rücktritts durch Omar Suleiman nur noch ein symbolischer Akt.
Auch das spätere politische Gebaren der Streitkräfte und ihres Obersten Militärrates zeigt typische Charakteristika einer Putschregierung: Erst nach Mubaraks Rücktritt eröffnete das Militär erstmals das Feuer auf Demonstranten, folterte es Aktivisten im Keller des Ägyptischen Museums und ließ sie vor Militärtribunalen zu völlig unverhältnismäßigen Gefängnisstrafen verurteilen. Zugeständnisse wurden ebenso wie neue „Gesetze“ – etwa gegen Streiks – per Dekret erlassen und auf Facebook veröffentlicht.
Einiges deutet darauf hin, dass zumindest die USA diesen Putsch zuvor abgesegnet hatten – angesichts ihrer engen Kontakte ins ägyptische Militär ist jedenfalls kaum denkbar, dass State Departement und Pentagon nicht im Voraus informiert waren. In der Folge des israelisch-ägyptischen Friedensvertrages von 1979 haben die USA umfangreiche Finanzhilfen in Höhe von insgesamt über 60 Mrd. US$ an Ägypten geleistet, abgewickelt werden diese Hilfen über das „Office of Military Cooperation“ in Kairo, das gemeinsam mit dem US Central Command auch die regelmäßigen gemeinsamen Manöver Bright Star und Eagle Salute sowie in den vergangenen Jahren Ausbildungshilfe für mehrere tausend ägyptische Soldaten und Ägypten-Aufenthalte hunderter amerikanischer GIs organisierte. Zudem sind seit 1981 zwei US-amerikanische Bataillone auf der Sinai-Halbinsel stationiert.
Am 28. Januar, als die Situation eskalierte und die Panzer einrollten, befand sich der Oberbefehlshaber des ägyptischen Heeres gerade zu „jährlich stattfindenden Gesprächen“ mit Vertretern des Pentagon in Washington. Bereits am 30. Januar hatte die US-Außenministerin Clinton sich für einen „geordneten Übergang“ in Ägypten ausgesprochen. Im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz vom 4. bis 6. Februar ließ das Pentagon die Presse berichten, es stünde in direktem und täglichem Kontakt mit dem ägyptischen Generalstab, während Präsident Obama und sein Stellvertreter Biden den Kontakt zum Mubarak-Regime längst auf das Nötigste reduziert hatten. Damit war die zwischenstaatliche Diplomatie bereits auf die militärische Ebene verlegt worden, was bereits als deutliches Anzeichen für einen bevorstehenden Putsch gewertet werden konnte. Am 31. Januar hatte der US-Generalstabschef, Mike Mullen, im Anschluss an ein Telefonat mit seinem ägyptischen Gegenpart gegenüber dem Pentagon-eigenen Pressedienst mitgeteilt, das Militär habe bislang „außerordentlich gut“ reagiert, sich als „stabilisierende Kraft“ erwiesen und er freue sich „auf die weitere Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Militär“. Zugleich erklärte er einige der Forderungen der Demonstranten als legitim und dass auf diese eingegangen werden müsse.
Die Sprachregelung des „geordneten Übergangs“ setzte sich dann auf der Münchner Sicherheitskonferenz durch und wurde auch von der deutschen Bundeskanzlerin Merkel – deren Außenminister Westerwelle noch bis 4. Februar täglich mit ägyptischen Regierungsvertretern telefonierte und von diesen forderte „den demokratischen Übergang hin zu einer Regierung auf breiter Grundlage ein[zu]leiten“ – aufgegriffen. Damit endeten die Pressemitteilungen des Auswärtigen Amtes über Telefonate mit der ägyptischen Führung. Hatten die westlichen Regierungen damit grünes Licht gegeben für einen von den USA moderierten Militärputsch?
Vieles hieran ist freilich spekulativ. Klar ist jedenfalls, dass ein massiver Transfer von Rüstungsgütern, Sicherheitstechnologie, Know-How und Finanzmitteln vom globalen Norden in die „Sicherheitssektoren“ des globalen Südens stattfindet; dass dabei Abhängigkeiten und Klientelstrukturen entstehen und geschaffen werden sollen; und dass dabei durch die an Aufbau und Reform des jeweiligen Sicherheitssektors beteiligten Akteure durchaus unterschiedliche und teilweise auch miteinander konkurrierende Strategien verfolgt werden können. Eine genauere Analyse dieser internationalen Sicherheitsbeziehungen hätte womöglich den Verlauf der Aufstände prognostizierbarer gemacht: Dort, wo der Westen über enge Sicherheitsbeziehungen und handlungsfähige Klientelstrukturen verfügt, wäre demnach von einem durch den Westen moderierten Machtwechsel (Ägypten) oder Machterhalt (Saudi Arabien, Bahrain) auszugehen gewesen, während in Staaten, die von solcher Sicherheitskooperation ausgeschlossen waren oder Abstand nahmen, die Gefahr einer militärischen Intervention (Libyen) oder aber weitgehenden Handlungsunfähigkeit des Westens (Syrien) besonders hoch einzuschätzen gewesen wäre. Auch im Jemen ist trotz einer bewundernswerten Beharrlichkeit und Besonnenheit der zivilen Protestbewegung davon auszugehen, dass der Verlauf des Umbruchs wesentlich durch die Akteure bestimmt wird, welche die verschiedenen bewaffneten Parteien aufgebaut, ausgebildet und ausgerüstet haben, nämlich die USA in enger Zusammenarbeit mit Saudi Arabien.
Damit sind zugleich auch die Grenzen der „Demokratisierung“ bestimmt. Ihren antikolonialen Impetus haben die Protestbewegungen längst verloren, eine mehrere Staaten umfassende Allianz, welche nach tatsächlichen Revolutionen die Interessen ihrer eigenen Bevölkerung über die durch den globalen Norden implementierten Regeln des Welthandels oder der Migrationskontrolle stellen, scheint in weite Ferne gerückt. Stattdessen haben sich wie von Geisterhand die ethnisch-religiösen Spaltungen zwischen Schiiten und Sunniten sowie zwischen Israel und Palästinensern und Arabern über das Konfliktensemble gelegt, die bei genauerer Betrachtung letztlich auch eine materielle Basis in internationalen Sicherheitskooperationen haben.
Freilich klammert ein solches „Denken vom Sicherheitssektor her“ wichtige Faktoren aus und zwar vor allem die in den „Arabischen Revolten“ und insbesondere während der Besetzung des Tahrir-Platzes beispielhaft hervorgetretene „kollektive Intelligenz der Armut“ (Helmut Dietrich), die Beharrlichkeit und Besonnenheit einer in Aufruhr geratenen Gesellschaft.
Von den Regierungen des globalen Nordens werden eben diese Formen der Selbstorganisation ganz zu Recht als Bedrohung wahrgenommen, da sie unkontrollierbar, ja meist sogar: unansprechbar (man erinnere sich an die Bemühungen, innerhalb der ägyptischen Protestbewegung irgendwelche „Führungsfiguren“ zu identifizieren und einzubinden) sind. Dagegen vermitteln von der eigenen Armee und Polizei ausgebildete, mit den eigenen Waffen ausgestattete und finanziell abhängige Streitkräfte, Polizeieinheiten, Geheimdienste und Milizen zumindest eine Illusion von Kontrollierbarkeit. Wie sehr es sich hierbei um eine Illusion handelt, davon legen Staaten wie Afghanistan und Somalia ein Zeugnis ab, in denen die internationalen Beiträge zur „Reform des Sicherheitssektors“ den gesamten Staatshaushalt um ein Vielfaches übersteigen. Bei allen Widersprüchlichkeiten und Rückschlägen dieser Strategie bringt sie doch stets ein Ergebnis hervor: Die zivile Opposition gegen die herrschende Weltordnung wird zwischen den kämpfenden Fronten hoffnungslos zerrieben.
Nachdem so genannte „gescheiterte“ und „scheiternde“ Staaten ins Zentrum der westlichen Sicherheitsstrategien gerückt sind und deren Wiederaufbau sich entsprechend dem Credo „Sicherheit entwickeln“ im Wesentlichen auf die Reform des Sicherheitssektors beschränkt, also nur (potentielle) Gewaltakteure überhaupt zur Kenntnis nimmt, muss sich unsere Analyse diesem „Denken vom Sicherheitssektor her“ und seinen Folgen widmen – unsere praktische Solidarität hingegen der „kollektiven Intelligenz der Armut“.
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Schlagwörter: Ägypten, Christoph Marischka, Hosni Mubarak, Militärputsch, Sicherheitskooperation, USA