14. Jahrgang | Nummer 24 | 28. November 2011

Alternativen in der Systemkrise

Georg Schramm alias Lothar Dombrowski erinnert sich*

Ich erlaube mir in bester polemischer Absicht zu behaupten, dass es eine dreiste Lüge ist, Tag für Tag das Regierungshandeln als alternativlos zu verkaufen, weil keine historischen Vorbilder für die gegenwärtige Finanzkrise existieren. Vor 80 Jahren erschütterte eine sehr gut dokumentierte und analysierte globale Krise die Industriestaaten. Die damaligen Lösungsversuche konnten unterschiedlicher kaum sein. Durch Deutschland ging zum Beispiel im März 1933 ein außergewöhnlicher Ruck: Hitler hatte die demokratischen Grundrechte abgeschafft – ein Gesetz, das wir alle Ermächtigungsgesetz nennen, aber in Wirklichkeit hieß es Gesetz zur Beseitigung von Not und Elend im Deutschen Volk; es war die Antwort der Nationalsozialisten auf die Wirtschafts- und Finanzkrise. Dafür gab es sogar eine Mehrheit im Reichstag! Hitler versprach dem bürgerlichen Lager, dass Amt und Funktion des Reichspräsidenten Hindenburg erhalten bleibt, wenn sie zustimmten, dass die demokratischen Grundrechte abgeschafft würden. Für diesen Judaslohn verkaufte das bürgerliche Lager seine Stimme! Alternativlos sozusagen – in einer systemischen Krise!
Und während sich bei uns Hochfinanz und Schwerindustrie einen rechtsradikalen Schlägertrupp leisteten, um der Wirtschaftkrise entgegenzutreten, ging in den USA ein ganz anderer Ruck durchs Land. Fünf Tage bevor Hitler hier die demokratischen Grundrechte außer Kraft setzte, tat der amerikanische Präsident Roosevelt das Gegenteil. Er setzte in den USA, im kapitalistischsten Land der Erde, ein 650 Seiten dickes Gesetzeswerk in Kraft, den so genannten New Deal Act, Das geschah in einem Land, das sich damals ebenfalls in einer schweren Krise befand: Vier Jahre Rezession, Massenarbeitslosigkeit, Zusammenbruch des Bildungssystems, Verarmung der Mittelschicht, das Land ausgeplündert von Supereichen – in etwa so wie heute. Eine Generation später war Amerika ein blühendes Land, es hatte eine prosperierende Mittelschicht, keine Arbeitslosenquote, die den Namen verdiente, aber einen Mindestlohn, der den Namen verdiente, es gab Universitäten, Straßen, Schulen, die damals ihresgleichen suchten. Wie hat Roosevelt  das gemacht? Durch eine systematische Verringerung des Abstandes zwischen Arm und Reich. Er hat die Einkommessteuersätze auf 78 Prozent, die Erbschaftssteuer auf 48 Prozent hoch getrieben. Als das Geld noch nicht reichte, mussten die Reichen zwangsweise ihr Gold dem Staat verkaufen und dann fand dieses Land seinen inneren Frieden – über eine ganze Generation!

*Georg Schramm ist Mitglied im Kuratorium der stiftung medico international. Wir veröffentlichen Auszüge aus seiner Rede auf dem Aktionstag „Banken in die Schranken“, am 12.11 2011 in Frankfurt am Main.