14. Jahrgang | Nummer 22 | 31. Oktober 2011

Antworten

Angela Merkel, punktuell Furchtlose – Sie haben in der Mongolei anlässlich ihres jüngsten Staatsbesuches nicht nur Seltene Erden für Deutschland geordert, sondern auch ebenso unerschrocken wie unbestechlich die Aufhebung einer Todesstrafe gefordert, die es dort zwar in der Tat gibt, die aber schon ewig nicht mehr angewendet wird. Nun warten wir gespannt auf Ihre nächste Begegnung mit Barack Obama, bei dem Sie zwar keine seltenen Erden ordern, sondern schon mit immer seltener werdenden Übereinstimmungen zufrieden wären, aber ganz sicher doch in Sachen Todesstrafe die gleiche Unerschrockenheit an den Tag legen werden. Und sicher sind wir ebenso, dass Sie die Lieferung der neuen Panzerflotte an Saudi Arabien ganz sicher von der Abschaffung des staatlich sanktionierten Tötens abhängig gemacht haben, versteht sich.

Maikel Nabil, regimekritischer und nun inhaftierter ägyptischer Blogger – Die „befreite“ Justiz Ihres Landes hat Sie nach der Aufhebung einer ursprünglichen Haftstrafe nun in eine Psychiatrie eingewiesen. Nun wissen wir leider wirklich zu wenig von Ihnen, um diesen Vorgang final beurteilen zu können. Eins scheint aber wiederum klar: Die Einweisung von unliebsamen Dissidenten in Psychiatrien belegt leider nur, was bereits der Bibel, Prediger 1.9, zu entnehmen ist: Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was man getan hat, wird man wieder tun: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Und die ist dieselbe, die auch über dem revolutionären Nahen Osten scheint.

Joachim Gauck, Fast-Landesvater – Mit Bezug auf die weltweiten, vor allem aber auf die nationalen Proteste gegen die Macht der Märkte haben Sie uns wissen lassen, dass die Antikapitalismus-Debatte „unsäglich albern“ und die deutsche Neigung zu Hysterie und Angst „abscheulich“ seien. Wir sind nicht ganz sicher ob, Sie damit auch jene Hysterie meinen, die nicht zuletzt Sie als langjähriger Stasi-Exorzist mit entfacht haben. Wiewohl wir unsererseits das Stasi-Thema keineswegs für „albern“ halten, haben wir in Sachen Hysterie so unsere Zweifel.

Fauja Singh, indischer Guinnes-Buch-Rekordler – Als ältester Mensch, der jemals einen Marathon durchgestanden hat, sind Sie als Einhundertjähriger kürzlich ins Ziel der 42,195-Kilometer-Strecke von Toronto gekommen; Respekt! BDA und BDI sowie die ihnen angeschlossene Bundesregierung dürften dieses Ereignis mit einer speziellen Aufmerksamkeit registriert haben. Denn nimmt man Sie als Beispiel für die körperliche Leistungsfähigkeit von Zeitgenossen, dann dürfte in diesen Kreisen Nachdenklichkeit Einkehr halten, ob man die geplante Erhöhung des Renteneintrittsalters nicht doch deutlich höher ansetzen könnte.

Frank-Walter Steinmeier, knallhart Oppositioneller – Die Erkenntnisse des (zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Antwort) aktuellen Euro-Rettungs-Plan der Kanzlerin „hätte man früher haben können“, haben Sie unnachgiebig in die entsicherten Mikrophone erklärt. Leider haben Sie vergessen zu sagen, dass diverse besagte Maßnahmen als Forderungen von links auch bereits den von Ihnen verantworteten (Rot-Grün) und dann mit verantworteten (Schwarz-Rot) Regierungen vorgelegen haben und wissentlich ignoriert worden sind. Zum Beispiel und nicht zuletzt die Tobin-Steuer (Finanztransaktionssteuer), die als Vorschlag bereits 1972 das Licht der Welt erblickte, und zu der Schröders Beauftragter Tacke als his masters voice noch 2001 erklärte: „Niemand in den Industriestaaten will die Tobin-Steuer, auch nicht die Bundesregierung.“

Michael Kelpanides, griechischer Soziologe – eine grundlegende soziale Umwälzung in Griechenland schließen Sie wegen der Abwesenheit einer „organisierte(n), revolutionäre(n) Massenbewegung“ in Ihrem Land aus. Was Sie eher befürchten, „dass der organisierte Terrorismus mit ziemlicher Sicherheit wiederaufleben wird“ und erinnern in diesem Zusammenhang an die Organisation des „17. November“, die zwischen 1975 und 2002 „im Stile der Rote Armee Fraktion“ agierte und auf deren Konto Dutzende Morde gegangen seien. Es ist zu wünschen, dass Sie als Kassandra weniger erfolgreich sind denn als Wissenschaftler.

Manfred Gerlach, verstorbener letzter Staatsratsvorsitzender der DDR (1928 – 2011) – Dahingeschiedenen ruft man nichts Schlechtes nach. Und so kaprizieren wir uns nicht auf Ihren kecken Irrtum als Redner des 4. November ´89 auf dem Alexanderplatz, dass es Ihre seinerzeitigen DDR-Liberalen gewesen wären, die das Tor zur Wende aufgestoßen hätten. Nein, wir behalten Sie lieber als jemand in Erinnerung, der im Unterschied, zum Teil Gegensatz, zu den Kreisen ehemaliger Lufthoheitler in leider rarer Ehrlichkeit für sich öffentlich festgestellt und bekannt hat: „Mitverantwortlich“. So jedenfalls hatten Sie – allemal programmatisch – Ihre 1991 erschienenen Nachwende-Memoiren getitelt. Mitverantwortlich an etwas, das ursprünglich gut gedacht gemeint war, sich in entscheidenden Parametern des sozialistischen Selbstverständnisses dann aber doch ins Gegenteil verkehrt hatte. Die Frage nach Ihrem politischen Grundirrtum hatten Sie seinerzeit so beantwortet: „Er liegt darin, daß ich aus der Nazizeit kommend, neue, bessere, sogenannte ‚wissenschaftliche Wahrheiten’ unkritisch und wiederum gläubig übernommen habe, ohne sich selbst und anhand eigener Erfahrungen zu überprüfen und dann eigener Erfahrung gemäß zu handeln. Das hätte mich zu der Erkenntnis geführt, daß es keine ‚Lehre’, keine Sache gibt, die über dem Menschen, seiner Freiheit und Würde steht. Insofern war ich Täter und Opfer.“