14. Jahrgang | Nummer 20 | 3. Oktober 2011

Polen vor den Wahlen

von Holger Politt, Warschau

Polens Bürger sind aufgerufen, am 9. Oktober ein neues Parlament zu wählen. Landesweit bewerben sich sieben Listen um die Wählergunst, eine übersichtliche Zahl, die verdeutlicht, wie schwierig es geworden ist, die für eine landesweite Registrierung benötigte Unterschriftenzahl zusammenzubekommen. Aussichten auf erfolgreichen Parlamentseinzug haben allerdings nur fünf dieser Listen.
Auch wenn die meisten Beobachter damit rechnen, am Wahlabend mit Donald Tusk jenen Mann vorne zu sehen, der bereits vor vier Jahren seine Bürgerplattform (PO) zu einem glänzenden Wahlsieg geführt hatte, spitzte sich der Wahlkampf in den Septemberwochen noch einmal zu. Noch im Sommer schien die PO unangefochten durchs Ziel laufen zu können, denn die einzig offene Frage, die sich aus den Umfragen damals ergab, war die nach der absoluten Mehrheit. Von der sind die PO-Leute nun allerdings wieder weiter entfernt. Zwar hat Tusk seine Partei moderater werden lassen, ihr eine Abkehr vom strikten neoliberalen Kurs in der Wirtschafts- und Sozialpolitik verordnet, doch sind auf diesen Feldern die Weichen ohnehin bereits gestellt. Als einziges EU-Land konnte man übrigens 2009, als viele anderen zweistellig abstürzten, beim Bruttoinlandsprodukt stolz auf eine Wachstumszahl von über einem Prozent verweisen. Und so werden die Regierung, Tusk und die PO vor allem als Garant für eine weitere wirtschaftliche Prosperität gesehen, was wahlentscheidend sein sollte. Seit Jahren haben Tusk und die PO beste, einvernehmliche Beziehungen zur CDU und zur Bundeskanzlerin.
Da nun doch wieder ein Koalitionspartner benötigt wird, käme der PO der Wiedereinzug der Bauernpartei (PSL), des bisherigen Regierungspartners, sehr gelegen. Zwar hat die PSL bei den Selbstverwaltungswahlen vor Jahresfrist überraschend als drittstärkste politische Kraft und im landesweiten Schnitt mit über 16 Prozent abgeschnitten, doch die Umfragewerte für das Parlament dümpeln seit Monaten um die Fünf-Prozent-Hürde herum. Die PSL ist für die PO auch in anderer Hinsicht wichtig, nimmt sie doch der nationalkonservativen Konkurrenz im ländlichen Raum womöglich entscheidende Stimmen weg. Im Brüsseler EU-Parlament sitzen die Vertreter der PSL und der PO ohnehin einträglich zusammen bei den moderaten und proeuropäischen Konservativen.
Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) versucht, sich dem Wähler als einzige aussichtsreiche Alternative zum Regierungslager anzubieten. In den letzten Wochen bekam sie tatsächlich Aufwind, konnte den bis dahin deutlichen Abstand zur PO spürbar verringern. Ob es aber Jaroslaw Kaczynski, dem nach wie vor innerhalb der Partei unumstrittenen Chef, im Endspurt noch einmal gelingen könnte, an das Regierungsruder zu kommen, wird von den meisten Beobachtern bezweifelt. Denn im Grunde haben die Nationalkonservativen kaum neue Wählerschichten erschließen können, auch wenn die Partei sich im zurückliegenden Jahr sehr um junge Menschen bemühte und sich vor allem in den Großstädten um neuen Zuspruch kümmerte. Aber nach wie vor ist sie vor allem im Osten und ganz besonders im Südosten stark und dürfte auch dieses Mal auf dem Lande noch vor der PSL als die stärkste Partei abschließen. In ihren traditionellen Hochburgen dürfte sie bei diesem Wettlauf am Ende glänzen. In Deutschlands Parteienlandschaft hat PiS übrigens keinen politischen Partner, auch wenn es seit Jahren an Versuchen nicht mangelt, sie doch ein wenig stärker an die deutschen Christdemokraten / Christsozialen heranzubringen.
Die Linksdemokraten (SLD), die einst vor allem den deutschen Sozialdemokraten nacheiferten, schwächeln seit Wochen, so dass es fraglich scheint, ob sie an die guten Umfragewerte von 15 Prozent und mehr, die noch Anfang des Jahres regelmäßig notiert wurden, herankommen werden. Im Wahlkampf jedenfalls wirken sie farblos und können im sich erneut zuspitzenden Zweikampf zwischen PO und PiS wenig eigene Akzente setzen. Die Zukunft von Partei- und Fraktionschef Grzegorz Napieralski dürfte auch vom Wahlausgang abhängen. Der 37-Jährige trat sein Parteiamt einst mit der verpflichtenden Feststellung an, er sei der polnische Zapatero, womit er vor allem den politisch mutigen Umgang mit solch sensiblen Bereichen wie Abtreibungsrecht und Homosexualität meinte.
Auf diesen Feldern gräbt den Linksdemokraten mittlerweile Palikots Bürgerbewegung erfolgreich das Wasser ab. Janusz Palikot, ein studierter Philosoph und einst ein erfolgreicher Schnapsunternehmer, scherte vor Jahresfrist mit dem Vorwurf aus der PO aus, die Regierungspartei verletze ungeniert die laut Verfassung gebotene Rechtslage auf dem Gebiet von weltanschaulicher Neutralität und überhaupt bezüglich der Gleichstellung. Er hat für den Wahlkampf eine kunterbunte Truppe zusammengestellt, versteht zu provozieren und hat laut aktuellen Umfragen Erfolg damit. Sollte er ins Parlament einziehen, wäre das wohl die Überraschung des Wahltags.
Die beiden hier in der Aufzählung noch fehlenden Gruppierungen haben kaum Chancen auf einen erfolgreichen Einzug ins Parlament. Die PiS-Abspaltung „Polen ist das Wichtigste“ (PJN) wird nach den Wahlen schnell in der Versenkung verschwinden. Ein Teil der Abgeordneten ist bereits zu Tusk übergelaufen, ein anderer Teil liebäugelt mit einer Rückkehr ins Kaczynski-Lager. Der Rest wird das kurze Kapitel PJN wohl bald schließen müssen. Und der Siebente im Bunde ist Boguslaw Zietek, der sich mitunter sehr radikal gebender Boss einer kleinen Gewerkschaft, die Ende 2008 durch die Besetzung von Abgeordnetenbüros der regierenden PO in die Schlagzeilen geriet. Früher suchte Zietek mit seiner Polnischen Partei der Arbeit (PPP) die Unterstützung bei Le Pen und der Front National. Zwischenzeitlich liebäugelte er dann mit der linken Fraktion GUE/NGL im EU-Parlament, in Ansätzen auch mit den Linken in Deutschland. In diesem Jahr nun gilt ihm Brasiliens Ex-Präsident Lula als leuchtendes Vorbild. Einen nennenswerten Zuspruch wird ihm das allerdings nicht bringen. Auch dieses Mal dürfte die PPP unter ferner liefen einlaufen.