von Waldemar Landsberger
Zu den Eigenheiten der Linken gehört, dass sich ihre Programmatik und Politik stärker über theoretische Debatten und gesellschaftspolitische Analysen herstellt, als bei anderen Parteien. Wenn man die Linke von außen in ihrer Entfaltung behindern will, muss man diese geistigen Findungs- und Selbstfindungsprozesse stören, indem man die einen gegen die anderen ausspielt, den einen als hervorragenden Vordenker zu loben und die andere als Ewiggestrige zu tadeln versteht. In diesem Sinne ist eine Pressekampagne gegen die FDP ein Vorgang, den das bürgerliche Lager unter sich ausmacht. Selbst wenn die FDP verschwinden würde, gäbe es mindestens noch die Christdemokraten und die Grünen als bürgerliche Parteien in diesem Lande und dahinter die handfesten Interessen jener, denen das Land gehört. Eine Kampagne gegen die Linke dagegen, die erreichen würde, dass sie wieder verschwindet, würde eine Situation schaffen, in der diejenigen, denen außer ihren Händen, ihrem Kopf und vielleicht einer kleinen Lebensversicherung nichts gehört, wieder darauf verwiesen wären, was die anderen mit ihnen machen.
Das ist die Rolle, in die die Linke hineinwachsen könnte, wozu sie entstanden ist. Die ehemaligen ostdeutschen Genossen, die aus der SED kommen, die ehemaligen westdeutschen aus der SPD oder von den Grünen, der DKP und so weiter und alle anderen, auch die ganz neu Hinzugekommenen, brauchen aber Zeit und Kraft für die Verständigung, was denn in dieser Lage zu tun ist. Diese Zeit aber will das bürgerliche Lager ihnen nicht geben. Zuerst wurde die Partei mit angeblich falsch abgerechneten Reisespesen des Vorsitzenden Klaus Ernst beschäftigt, dann mit seinem Sommerhaus in Tirol und seinem alten Porsche, anschließend mit einer an ein paar Sätze der Vorsitzenden Gesine Lötzsch angebundenen Kommunismus-Debatte, dann mit der Frage, ob denn beide die Vorsitzenden-Rolle auch ausfüllen können. Viele hatten das dumpfe Gefühl, dass es sich hier um eine Kampagne handelt, der als ganzer begegnet werden muss. Statt dies zu tun, wurde aber über dieses und jenes Stöckchen gesprungen und gehofft, das Ganze möge bald wieder vorbei gehen. Dass Solidarität und Verteidigung des Gesamtprojekts Die Linke nötig waren, ging nicht in alle Köpfe hinein. Im Gegenteil, mancher witterte Morgenluft, zusätzliche Möglichkeiten zur weiteren Austragung innerparteilicher Strömungskämpfe zu erhalten. Es könnte für die eigene Sonderposition ja vielleicht gut sein, den anderen – in der eigenen Partei – mit Hilfe der bürgerlichen Presse eins auszuwischen. Was das für die Gesamtpartei bedeutet, blieb dabei unbeachtet.
Dann warfen die Kampagnenmacher den größten Stein, den es in diesem Lande gibt, den des Antisemitismus. Zwei Leute, die selbst zuweilen links zugeordnet wurden, verfertigten eine Studie, die die Linke als rechtsverseucht und antisemitisch denunzieren sollte. Das Schriftstück war dürftig und hielt einer ernsthaften Prüfung nicht stand, erfüllte aber seinen Zweck, die einschlägigen Medien hatten die nächste Drehung an der Kampagnenschraube. Führte das nun aber zu einem neuen solidarischen Zusammenrücken? Die anderen Bundestagsparteien setzten eine öffentliche Anprangerung an. Luc Jochimsen hielt eine hervorragende Rede im Deutschen Bundestag und wies vor allem auf diesen Kampagnencharakter hin. Und die anderen? Manche der Abgeordneten der eigenen Partei konnten sich das Grinsen nicht verkneifen, andere klatschten zu den frechen Unterstellungen der Vertreter anderer Parteien. Solidarität sieht anders aus. Nun kann man sich ja vorstellen, dass es auch psychisch schwer ist, die Anwürfe eines als Mob agierenden Abgeordneten-Haufens gegnerischer Gruppierungen auszuhalten, deren einzelne Mitglieder in der Kantine nett sind, aber vor der Fernsehkamera Schaum vor dem Maul haben, doch löst man das Problem nicht, indem man sich abduckt und hofft, der Kelch würde an einem vorübergehen. Ohne Solidarität kann man sehr rasch der nächste sein.
Dann wurde ein weiterer Fraktionsbeschluss gefasst, der richtig feststellte, dass Rechtsextremismus und Antisemitismus in der Partei Die Linke nichts zu suchen haben. Daraus abgeleitet aber wurde betont: „Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer ‚Gaza-Flottille‘ beteiligen.“ Nun waren Forderungen nach „Ein-Staaten-Lösung“ bisher nicht aufgefallen, jedenfalls nicht als Forderungen der Linken, dafür aber Kritiken an der Siedlungspolitik und überhaupt der Nahostpolitik der israelischen Regierung, die einen lebensfähigen Palästinenserstaat – und damit eine Zwei-Staaten-Friedenslösung als realistische Perspektive zur Lösung des Nahostkonflikts – immer mehr unmöglich macht. Die Forderung nach Warenboykott kommt aus der weltweiten Sozialforumsbewegung und bezieht sich vor allem auf Waren aus den völkerrechtswidrig besetzten palästinensischen Gebieten, die als israelische Waren illegal in die EU eingeführt werden, um die entsprechenden Zollvorteile der EU in Anspruch zu nehmen. Und die Gaza-Flotille 2010 hatte eine weit reichende aufrüttelnde internationale Wirkung. Nur hatten israelische Truppen die Schiffe völkerrechtswidrig auf hoher See gekapert und dabei neun türkische Aktivisten, die unbewaffnet waren, erschossen.
So beschließt die Bundestagsfraktion jetzt etwas, das in der Partei eigentlich kein Problem ist, wohl aber darauf zielen kann, bei der bürgerlichen Presse „Gut Wetter“ zu machen. Der Chefredakteur der Zeitung Neues Deutschland, Jürgen Reents, schrieb in einem Kommentar, nach den dem Beschluss zugrunde gelegten Kriterien wären auch Hannah Arendt, Martin Buber und Albert Einstein „Antisemiten“ gewesen. Es wird unterschlagen, dass die Lobby der Unterstützung der israelischen Regierungspolitik seit Jahren bemüht ist, eine „neue“ Definition des Antisemitismus durchzusetzen. Das bisherige Verständnis nannte Antisemitismus jene Feindschaft, die sich gegen Juden als Juden richtet, weil sie Juden sind. Die neue Definition, die auch in den USA verbreitet wurde, benennt Feindschaft gegen Juden als religiöse oder „rassische Minderheit“ (racial minority) sowie Opposition zum Zionismus und „Sympathie für Gegner Israels“ als Kriterien. Dann wäre jegliche Unterstützung legitimer Forderungen der Palästinenser „Antisemitismus“. Der Fraktionsbeschluss ist problematisch, weil er diese Differenz nicht wahrnimmt beziehungsweise sich auf den Boden dieser „neuen“ Antisemitismusdefinition stellt. Ein Beitrag zum Frieden im Nahen Osten ist so etwas jedenfalls nicht. Geredet wurde dann auch von „strukturellem Antisemitismus“ und dass dies oder das „antisemitisch aussehen könnte“. Wenn es künftig Kriterium linker Politik wäre, irgendetwas sähe so aus, wie die bürgerlichen Medien meinen, dass es aussieht, könnte sich Die Linke sofort wieder aus dem politischen Leben verabschieden.
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