von Michaela Klingberg
Seit dem Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 2002 das Berliner Schloss wieder zu errichten ist ein Konzept, welches das historisch rückwärtsgewandte Gebäude mit einem zukunftsträchtigen Image vereinen könnte, noch immer nicht gefunden. Die Debatten entzünden sich mehr an der geplanten historischen Fassade, denn an Inhalten. Als der seinerzeitige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, seine Vision des Humboldtforums, inhaltlich noch recht vage, vortrug, derzufolge Museumsinsel und Schlossplatz, „zu einer gedanklichen Einheit von Kulturerbe, Kulturwissen, Kulturbegegnung und Kulturerlebnis“ werden sollten, waren die Entscheidungsträger des Bundestages begeistert. Im Schloss der Hohenzollern sollen sich zukünftig die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit den Museen der außereuropäischen Kulturen, die Humboldt-Universität mit ihren Sammlungen sowie Bereiche der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) der Welt präsentieren. Die drei Hauptnutzer sollen sich eine „innovative, spektakuläre, multimediale und in dieser Verbindung vollkommen neue gemeinsame Veranstaltungszone von Museen, Bibliothek und Universität“, Agora genannt, teilen. Wie diese Integration funktionell und organisatorisch stattfinden soll, weiß bis heute niemand.
Die Schlossattrappe firmiert seither unter dem Label der Gebrüder Humboldt, quasi einer ideologischen Dachmarke. Wilhelm von Humboldt steht im Konzept für die klassische Ideen- und Geistesgeschichte Europas und das Verständnis der außereuropäischen Kulturen. Seinem Bruder Alexander wird Neugier auf die Welt, die Erforschung Amerikas und Asiens sowie der Gedanke einer untrennbaren Einheit von Natur und Kultur zugeschrieben. Beide eint eine kosmopolitische Weltsicht, die auf der Gleichberechtigung der Weltkulturen gründet. Einmal eröffnet, werde das Humboldt-Forum „nicht aus einem Museum im Schloss bestehen. Vielmehr geht es um die Schaffung eines gänzlich neuartigen Kunst- und Kulturerfahrungszentrums, das Wissen über Weltkulturen und Kompetenz in Weltverständnis vermittelt“. Das Ganze soll dann zu einer Botschaft an die Welt zusammengefasst werden. Das Schloss der Hohenzollern, „deren Geschichte durch militärische und politische Macht geprägt ist, wird dabei auf den genius loci geistiger Zusammenkünfte festgelegt“. Das erinnert an Friedrich Wilhelm IV. Dieser traf im Teesalon des Schlosses Intellektuelle wie Alexander von Humboldt, Leopold von Ranke und Karl Friedrich Schinkel zu Gesprächen.
Wurde vor einiger Zeit noch suggeriert, die barocken Schlossfassaden hätten inhaltlich und gesellschaftspolitisch keinerlei Bedeutung, wird nun zunehmend klar, dass die Divergenz zwischen Form und Inhalt nicht einfach übergangen werden kann. Die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses ist ein Symbol der Restauration. Das Negieren von historischen Bezügen und Verklärung mittels dialektischer Aufhebung – siehe Einheitsdenkmal – dient einzig und allein dem Zweck der Erzählung von der „Normalen-Nations-Identität“, die unter der Kanzlerschaft von Helmut Kohl begann. Auf der „Geschichtsmeile der Republik“ Unter den Linden dominieren Mahnmale, die den Wunsch nach nationaler kollektiver Identität mit einer gemeinsamen Nationalgeschichte ausdrücken sollen. Vollständig ausgeblendet werden die Geschichte der Weimarer Republik, der Weg in den II. Weltkrieg und die Geschichte der DDR.
Die auf eine Privatinitiative zurückgehende Schlossfassadenrekonstruktion fand durch die massive mediale Begleitung und mangels anderer Ideen die Unterstützung des Bundestages. Sie stützt den zu beobachtenden Trend, dass zunehmend Privatinitiatoren als Ideengeber für Gedenkprojekte fungieren, die dann in einer späteren Phase demokratisch legitimiert werden – alles unter dem Deckmantel eines vermeintlich hohen öffentlichen Interesses. Hinzu kommt, dass die eigentlichen Kosten von Beginn an verschleiert wurden, um die erforderlichen Mehrheiten zu sichern. Ging die Expertenkommission in ihrem Abschlussbericht noch von 230 Millionen Euro und einer hohen Gegenfinanzierung durch Einsparungen und Verkaufserlöse aus, so beläuft sich der offizielle Investitionsbedarf der öffentlichen Hand inzwischen auf 502 Millionen Euro. Da zudem nicht davon auszugehen ist, dass die privat aufzubringenden Kosten für die Barockfassade in Höhe von 80 Millionen Euro jemals zusammenkommen beziehungsweise ohnehin teurer werden, eine Kostenschätzung des Bundes von 2007 ging von 110 Millionen Euro aus, ist mit einer erheblichen Teuerung in den nächsten Jahren zu rechnen.
Zum geplanten Inhalt des Humboldt-Forums. Auf einer Fläche von rund 24.000 Quadratmetern sollen das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst einziehen. Für die jetzigen Dahlemer Museen würden sich mit dem Umzug gleich zwei Probleme lösen. Zum einen sind die Museen dringend sanierungsbedürftig, zum anderen liegen die Sammlungen fernab der üblichen Touristenpfade und sind durch die Randlage im Südwesten der Stadt benachteiligt. Wenn aber trotz des vordergründigen ästhetischen Streits über die historisierende Bauhülle des Schlosses Inhalte thematisiert werden, reißt auch hier die Kritik nicht ab. Karl-Heinz Kohl, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde, kritisierte die Präsentation ethnologischer Sammlungen. Aus seiner Sicht „stellt sich die bald neunjährige Geschichte des Humboldt-Forums als einzige Abfolge von Desastern dar“. Er forderte einen reflexiven Umgang mit dem oft zitierten Vorwurf des Euro- oder Ethnozentrismus und erwog eine Darstellung der Wege und Irrwege der Ethnologie. Denn an dem Ort „an dem man sich kritisch mit dem Preußentum auseinanderzusetzen habe, könnte auch eine nicht minder kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Fachs Völkerkunde Platz finden.“
Da die Ausgestaltung noch immer unklar ist, macht mitunter auch das Feuilleton der Presse Vorschläge. Im April plädierte Christina Tilman im Tagesspiegel für die Aufnahme des Museums für Islamische Kunst ins Humboldt-Forum, da es im kulturhistorischen Rahmen des Pergamonmuseums nicht angemessen zur Geltung käme. Angetan von dieser Idee ist auch der Direktor des Islamischen Museums, Stefan Weber, der die Sammlung anschaulicher gestalten will „nicht mehr nach den für westliche Besucher schwer verständlichen Herrscherdynastien, sondern eingebunden in gesellschaftliche und politische Zusammenhänge“. Der Vorschlag hätte vielleicht Sinn, weil um die Präsentation der Fassade des omaijadischen Wüstenschlosses, Hauptattraktion der Sammlung, im Rahmen der Umgestaltung des Pergamonmuseums ein Streit zwischen dem Landesdenkmalrat und dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, entbrannt ist. Im gleichen Atemzug wird von anderer Seite der Verzicht auf das im Humboldt-Forum vorgesehene, 4.000 Quadratmeter große Schaufenster der Zentral- und Landesbibliothek diskutiert. Ein Neubau der Zentral- und Landesbibliothek gilt bei SPD und Linker als Schwerpunktaufgabe, der auch in den Wahlprogrammen zur kommenden Abgeordnetenhauswahl auftaucht. Die größte öffentliche Bibliothek Deutschlands wünscht sich einen 63.000 Quadratmeter großen Neubau, der die Amerika-Gedenkbibliothek und die Berliner Stadtbibliothek vereint. Vorgesehen ist ein Kostenvolumen von 270 Millionen Euro (zum Vergleich: der Neubau der Humboldt-Universität beanspruchte etwas mehr als ein Viertel der für die ZLB veranschlagten Summe). Die Zusammenfassung der bisherigen Standorte gilt neben dem Anforderungsprofil an eine moderne Bibliothek als Hauptargument für den Bibliotheksneubau. Wozu dann die erneute Trennung in zwei verschiedene Standorte? Das Beharren auf der Schlossplatzfiliale scheint einzig Repräsentationszwecken zu dienen. Und bis auf die häufig dargestellte Beziehung der Humboldt-Universität zum Berliner Schloss, die im Wesentlichen in der Übernahme der Sammlung der ehemaligen Kunstkammer in Universitätsbesitz bestand, und die vorgesehene wissenschaftliche Begleitung des Dialogs der außereuropäischen Kulturen, ist die Rolle der Universität auch noch sehr unzureichend definiert.
Als die Grünen-Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig auf einem Werkstattforum am 25. Mai 2011 dezenter als dezent nach Inhalten fragte, wurde sie von den Schlossbefürwortern niedergepfiffen. Der Vorsitzende der Stiftung Berliner Schloss – Humboldt-Forum, Manfred Rettig, betonte man wolle ja nicht über Inhalte reden, sondern über Architektur. Als ein junger Mann die freudige Veranstaltung störte und den „feudalen Scheiß“ kritisierte, wurde er aus dem Saal geleitet. Die Rollen sind klar verteilt. Ändern könnte sich das nur, wenn es gelänge, ganz im Sinne des ehemaligen Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Boutros Boutros-Ghali, ein überzeugendes inhaltliches Konzept zu präsentieren: „Das Humboldt-Forum soll kulturelle Vielfalt fördern zur Stabilisierung der globalen Welt. Das aber geht nicht allein über gesammelte Exponate. Der globale Dialog der Kulturen muss als politischer Dialog geführt werden. Nur in dieser Dimension macht ein Humboldt-Forum Sinn.“
Schlagwörter: Berlin, Bibliothek, Ethnologisches Museum, Humboldt-Forum, Michaela Klingberg, Schloss