von Judith Dellheim
Dass seit dem offenen Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise die Europäische Union deutscher, zynischer und brutaler geworden ist, ist auch ein Ausdruck anhaltender Schwäche der Linken, nicht zuletzt der Linken in Deutschland. Dabei ist offensichtlich, was zu tun ist: Mit den Abwehrkämpfen gegen die Angriffe der Herrschenden zugleich für armutsfeste soziale Mindeststandards eintreten, für wirksame Schritte zur Senkung klimaschädlicher Emissionen und zum Erhalt der Biodiversität, zum Stopp des Ressourcentransfers aus dem globalen Süden in den globalen Norden und für seine Umkehr; für ein Ende der Gewalt gegen Menschen und des Kurses auf die Steigerung militärischer Angriffsfähigkeit. Es ist aber auch offensichtlich, dass sich die Linken die Idee einer solidarischen Gesellschaft neu oder erstmals aneignen und leben müssen. Auch das gilt für die Linken in Deutschland, wo die Herrschenden den Begriff „Solidarität“ weiter umdeuten: „Die Wirtschaft“ vertrage nur soviel Solidarität, wie ihr selbst zugute komme. Medial verbreiteter Optimismus, es gehe aufwärts und man habe alles im Griff, oder Warnungen vor Rezession und Inflation werden von den Regierenden immer wieder genutzt, um mit Verweisen auf überstandene Krisen, gezogene Lehren oder „Herausforderungen für die Wirtschaft“ neue Attacken gegen soziale und demokratische Standards zu legitimieren.
So hat zum Beispiel Dirk Meyer, Professor für Volkswirtschaft an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr, per Interview mit EurActiv am 13. Mai der Kanzlerin vier Tage vor ihrer nationalistisch-populistischen Rede von Meschede „wissenschaftliche“ Argumente geliefert: „Die EU kann keine Vollkaskoversicherung zum Nulltarif bieten. Wenn jetzt griechische Banken, Versicherungskassen und Pensionskassen erheblich von einem Staatsbankrott in Mitleidenschaft gezogen werden, so liegt das in der Natur der Sache. Eine Hilfe durch die EZB für systemrelevante Banken könnte notwendig werden, dann aber nur aus Eigeninteresse der finanzierenden Staaten. … Wenn wir jetzt die griechischen Pensionsfonds retten würden, würden Rentner profitieren, deren Bezüge von Anfang an gar nicht seriös zu finanzieren waren. Zugleich würde man hier die Zukunftschancen junger Menschen beschränken … Um es klar zu sagen: Es geht … um die Kinder der Hartz-IV-Familien, deren Chancen der deutsche Staat dann nicht mehr verbessern kann…“
Die Einführung der Arbeitsmarktreformgesetze bewirkte einen gravierenden Sozial- und Demokratieabbau. „Hartz IV“ zeichnet sich insbesondere durch Kinderfeindlichkeit aus. Mit Griechenland kann man das nicht begründen. Deutsche Konzerne in Industrie und Finanzwirtschaft haben von ihren Geschäften mit griechischen Geschäftspartnern nur profitiert. Die Financial Times Deutschland schreibt, dass die Bundesrepublik „locker 10 Mrd. Euro Griechenbonus“ (Thomas Fricke) eingefahren habe. Die Kinder in„Hartz-IV-Familien“ haben davon nichts. Sie sollen aber nun gegen griechische Rentnerinnen und Rentner ausgespielt werden, die vielfach „sowieso“ arm sind, auf ein schweres Leben – Stichwort: Diktaturen, nicht zuletzt „dank“ Deutscher – und nicht rentenwirksam gewordene Arbeitsjahre verweisen können. Die Kanzlerin legte dann noch nach: „Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland… Wir können nicht eine Währung haben und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig.“ Finanzminister Wolfgang Schäuble erklärte am 18. Mai beim Brüsseler Wirtschaftsforum: „Ja, wir haben zu große Ungleichgewichte zwischen den Staaten. Aber das darf nicht bedeuten, dass die Wettbewerbsfähigkeit der erfolgreichen Länder empfindlich beeinflusst wird. Ja, die Ereignisse haben gezeigt, dass die gemeinsame Währung nicht ohne Solidarität zwischen den Mitgliedsländern überleben kann. Aber diese Solidarität kann nur verhindern, dass die Krise eines Landes zur Krise der Eurozone wird. Ein Mitgliedsland muss bereit sein, mit den Ursachen seiner Probleme selbst fertig zu werden.” Wer im Konkurrenzkampf erfolgreich ist, ist das immer auf Kosten Schwächerer und die sollen nach Schäuble begreifen, dass ihnen nur geholfen werden darf, wenn dadurch der Konkurrenzfähigere seine Konkurrenzfähigkeit und so seine Opfer mehrt. Schäuble weiß, dass Deutschland wesentlich die Spielregeln der Eurozone prägte, die zu keinem Zeitpunkt europäische Integration befördern sollten, um die EU nach innen und nach außen solidarischer zu machen. Die Spielregeln und insbesondere der Stabilitäts- und Wachstumspakt haben in erster Linie die Funktion, die Euro-Länder daran zu hindern, von neoliberaler Politik abzugehen. Diese Regeln wurden im vergangenen Jahr verschärft und sollen mit Beschlüssen des Europäischen Rates im Juni erneut verschärft werden. „Sanktion“ war Schäubles Lieblingswort in seiner Brüsseler Rede.
Die Akteure neoliberaler Politik haben die Ursachen für die Finanzkrise geschaffen und gemehrt: Finanzmarktliberalisierung und Spekulation, Einkommenspolarisierung, Privatisierung des Öffentlichen und vor allem der sozialen Sicherungssysteme, Disparitäten in den Zahlungsbilanzen. Griechenlands primäre Misere geht nicht wirklich auf Schlampigkeit, Statistikmanipulation und Korruption, die es auch in Deutschland gibt, zurück. Sie begann, als das Land – wie auch andere – im Zuge der Finanzkrise seine Banken retten musste und auf Grund seiner Wirtschafts- und Handelsstruktur von der Krise besonders stark erfasst wurde. Das ist Schäuble und Merkel gut bekannt. Sie betreiben Wirtschaftspolitik, die nach dem Ausbruch der Finanzkrise dafür gesorgt hat, dass die Krisenursachen nicht ernsthaft bekämpft werden. Im Gegenteil: Deutschland ist immer Spitzenreiter, wenn es darum geht, die Spekulation auf den Finanzmärkten anzuheizen und so Kredite zu verteuern, weitere Privatisierungen zu fordern, Sozialleistungen mit Verweis auf erforderliche Haushaltskonsolidierung zu drücken. So waren es insbesondere Äußerungen der Kanzlerin beziehungsweise „ihrer Männer“, die Kredite für Griechenland und andere Schuldner zusätzlich verteuert haben, die aber dafür „schön national“ klingen. Das ist ökonomisch wenig sinnreich.Und dann wird erklärt, dass man im Interesse eines ausgeglichenen Haushaltes als Bedingung für Wirtschaftswachstum Sozialausgaben sparen müsse. Wie war das mit den „Hartz-IV-Kindern“?
In der Frage „Umschuldung – pro oder contra“ gibt es Streit. Hier differieren die Interessen heftig. Dahinter verbirgt sich die Entscheidung, was man den eigenen Banken zumuten kann, um wiedergewählt zu werden: Ende 2010 sollen die deutschen Banken Forderungen gegenüber Griechenland in Höhe von 69 und gegenüber Portugal von 49 Milliarden Euro gehabt haben. Die Gläubiger-Banken insgesamt sollen von Juni bis Dezember 2010 in Griechenland, Irland, Spanien und Portugal 2,5 Billionen Euro investiert haben. Kommt es zur Umschuldung beziehungsweise zur Risikoteilung zwischen Staaten und Privaten – wie es Schäuble in Brüssel forderte – verlieren die Banken. Selbst die EZB wäre betroffen. Sie soll Anleihen der mediterranen Staaten wie Griechenland und Portugal in Höhe von etwa 76 Milliarden Euro haben. Im Falle eines Schuldenschnitts könnte sie sogar Grundkapital verlieren. Schreibt sie Verluste, verlieren jene, die an ihren Gewinnen partizipieren – Deutschland gemäß Beteiligungsschlüssel zu 27 Prozent. Aber wir haben ja den „Griechenbonus“ …
Die europäischen Linken verfügen über eine breite Palette von Instrumenten, die sie endlich offensiv und koordiniert einsetzen sollten. Umschuldung – aus linker Sicht ja, aber bei konsequentem Kampf gegen Armut, soziale und ökologische Zerstörung in der EU und durch die EU.
Schlagwörter: EU, Euro-Krise, Griechenland, Judith Dellheim, Linke, Solidarität