14. Jahrgang | Nummer 8 | 18. April 2011

Alles privat? – Die Ausbildung libyscher Sondereinheiten durch deutsche Spezialisten

von Erich Schmidt-Eenboom

Vorbemerkung der Redaktion: Am 13. April 2011 hat Deutschland fünf libysche Diplomaten ausgewiesen, vor allem Geheimdienstler, die Oppositionelle in der Bundesrepublik ausgespäht und drangsaliert hatten. Nur Heuchler im Kanzleramt würden behaupten, dieser Tatbestand sei neu. Neu ist nur, dass deutsche Sicherheitsbehörden nicht länger den Gönner Gaddafis geben. Wie groß war die Unterstützung seines Polizei- und Geheimdienstapparats? Eine Spurensuche. (Der Autor ist Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik e.V. in Weilheim/Obb.)

Libyen hatte sich ab 1999 schrittweise aus seiner internationalen Isolation befreit. Es erklärte einseitig den Verzicht auf Massenvernichtungswaffen, trat dem Chemiewaffenabkommen und dem Atomteststoppvertrag bei und unterzeichnete das Zusatzprotokoll zum Nichtverbreitungsvertrag. Zugleich hatte der Revolutionsführer Muammar al Gaddafi dem Export von Terror abgeschworen und diesbezügliche Altlasten bereinigt. Er übernahm die Verantwortung für das Bombenattentat auf die Boing 747 der PanAm im Dezember 1988, dem 270 Menschen bei der schottischen Ortschaft Lockerbie zum Opfer gefallen waren, und ließ den früheren Geheimdienstler Megrahi und einen Mittäter an Großbritannien ausliefern, das anschließend die diplomatischen Beziehungen zu Tripolis wieder aufnahm. Megrabi wurde von einem schottischen Gericht in den Niederlanden zu lebenslanger Haft verurteilt. Eine schottische Justizkommission entschied im Juni 2007, dass der Prozess gegen ihn wieder aufgenommen werden musste, weil der Libyer mit falschen Indizien angeklagt worden war (1).
Obwohl auch die Führung des libyschen Nachrichtendienstes stets eine Involvierung dementiert hatte, leistete Gaddafi enorme Entschädigungszahlungen an die Hinterbliebenen. Zehn Jahre nach dem Anschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ im Jahre 1988 lieferte Libanon den mutmaßlichen Drahtzieher, den seinerzeit beim libyschen Volksbüro beschäftigten Palästinenser Yassir Schraidi, an die Bundesrepublik aus. Und am 3. September 2004 unterzeichneten die Gaddafi-Stiftung für Wohltätigkeitsorganisationen und die Anwälte von 168 Opfern in Tripolis eine Entschädigungsvereinbarung über 35 Millionen US-Dollar für die mehr als 220 Deutschen, die bei dem Attentat verletzt worden waren. Endgültig war Libyen jedoch erst im Mai 2006 von der Liste jener Nationen gestrichen worden, die den Terror unterstützen. Zuvor hatten die Vereinten Nationen bereits 2003 das bestehende Sanktionsregime aufgehoben hatten und die Europäische Union 2004 ihr Waffenembargo.

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Die Bundesrepublik war dem Wüstenstaat, aus dem sie ein Drittel ihres Ölbedarfs deckt, zu besonderem Dank verpflichtet. Am 6. Juli 1999 hatte der Bundesnachrichtendienst eine Terrorwarnmeldung an das Kanzleramt geschickt, die die Befürchtung aussprach, dass die Abu-Sayyaf-Gruppe auf den Philippinen Touristen entführen könnte, um Lösegeld zu erpressen. Ende April 2000 traf diese Vorhersage ein, als das deutsche Ehepaar Werner und Renate Wallert und ihr Sohn Mare zusammen mit Touristen aus aller Herren Länder auf der Insel Jolo gekidnappt wurden. Der BND richtete daraufhin den Sonderstab Jolo ein, um die Geiseln zu befreien, und schloss sich mit den finnischen und französischen Nachrichtendiensten kurz, da auch Staatsangehörige ihrer Länder von dem Verbrechen betroffen waren. Bis zu 50 Agenten hatten BND, die SKYPO (Skyddspolisen) in Helsinki und die Pariser DGSE (Direction General de Securite Exterieur) dabei weltweit im Einsatz.
Am 4. Mai wies die Deutsche Botschaft in Tripolis die Bundesregierung daraufhin, dass Libyen in dieser Angelegenheit hilfreich sein könnte, weil der frühere libysche Botschafter in Manila, Rajah Azzarouq, bereits mehrfach zwischen der Regierung und den Muslim-Rebellen vermittelt habe. Daraufhin flog BND-Präsident August Hanning am 14. Juni zum ersten Mal zu seinem libyschen Counterpart Moussa Koussa, den er aus seiner Amtszeit als Abteilungsleiter im Kanzleramt kannte. Er besuchte Tripolis wieder am 24. Juli, setzte die Verhandlungen mit Gaddafis Sohn Seif al Islam sieben Tage später in Wien fort und reiste am 28. August erneut nach Libyen. Im Juli war Renate Wallert bereits als erste Geisel überhaupt freigelassen worden, anschließend ihr Mann und am 9. September Sohn Mare. Die Bundesregierung betonte stets, kein Lösegeld an die philippinischen Terroristen gezahlt zu haben, das hatte die Wohltätigkeitsstiftung von Gaddafis Sohn erledigt.
Eigentlich hätte Renate Wallert von den Abu-Sayyaf-Rebellen bereits am 13. Mai freigelassen werden sollen, aber die Aktion scheiterte, weil sich zu viele Akteure in die Verhandlungen einzumischen versuchten, der vermögende Chinese Li Peng Wee beispielsweise zugunsten einer Geisel aus Malaysia. Das größte Störfeuer kam jedoch aus Deutschland vom Geheimdienstkoordinator der Vorgängerregierung, Bernd Schmidbauer. Sein Vertrauter, der Privatdetektiv Werner Mauss, versuchte sich – flankiert von telefonischen Interventionen seines alten Bekannten Schmidbauer – den deutschen Sicherheitsbehörden in Manila als Vermittler aufzudrängen, nachdem der Versuch, von Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau offiziell beauftragt zu werden, bereits gescheitert war. Am 15. Mai hatten sich die Finnen über „separate Verhandlungsbemühungen“ beschwert, und sie blieben nicht die einzigen. „Besonders unangenehm waren Verdächtigungen der Franzosen, uns wurde Mitte Mai versteckt, aber auch offen vorgeworfen, wir würden Sonderwege gegen, obwohl gerade wir auf engste Koordination gedrungen hatten“ (2), sagte der BND-Chef dem Hamburger Magazin stern. Erst, nachdem der Staatssekretär im Außenamt, Wolfgang Ischinger, den Abgeordneten Schmidbauer am 19. Juni 2000 telefonisch nachdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass weder er noch Mauss den Eindruck erzeugen sollten, sie hätten in dieser Sache einen Auftrag der Bundesregierung, hatten die libyschen Bemühungen endgültig Erfolg (3).

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„Der Besuch von Bundeskanzler Schröder in Libyen am 14./15.10.2004 markierte den Beginn des Ausbaus der bilateralen Beziehungen“, erklärt die Website des Auswärtigen Amts in Berlin, „Bundesaußenminister Steinmeier besuchte Libyen nach 2006 erneut im ersten Halbjahr 2007, während der deutschen EU-Präsidentschaft“. Wie hoch im Kurs Libyen zu dieser Zeit auch beim BND stand, zeigt die Tatsache, dass der Sohn Gaddafis, Seif al Islam al Gaddafi, beim BND-Symposium im November 2005 im Berliner Hotel Estrel zum Thema Proliferation vom BND als prominentester Gastredner begrüßt wurde (4).
Im Jahr 2004 hatte Gaddafi erstmals wieder nach 15 Jahren einer Delegation von amnesty international die Einreise gestattet. Die Menschenrechtsorganisation beklagt weiterhin die systematische Missachtung der Menschenrechte in Libyen. Dass Folter und Repression im Innern trotz aller Änderungen in der Außenpolitik das Bild des Staates in Deutschland prägen, wurde im April 2008 deutlich: Der Vorsitzende der deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, betonte, in einem Schurkenstaat wie Libyen hätten deutsche Polizisten nichts zu suchen, und der grüne Innenexperte Volker Beck vertrat die Auffassung, „Schergen eines solchen Systems dürften nicht durch deutsche Staatsdiener ausgebildet werden“ (5).
Auslöser dieser harschen Kritik war ein Bericht der Berliner Zeitung, demzufolge libysche Sicherheitskräfte 2006 durch deutsche Polizisten geschult worden waren. Der Bundesnachrichtendienst habe diese private Ausbildungskooperation begleitet, berichtete das Hauptstadtblatt unter Berufung auf Sicherheitskreise und führte zudem aus, diese Zusammenarbeit mit Tripolis sei nach dem Besuch des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder beim libyschen Staatschef im Oktober 2004 vereinbart worden (6).
Der BND bestritt umgehend eine Verwicklung in den Skandal: „Der Bundesnachrichtendienst hat weder Ausbildungshilfe geleistet, noch war er beratend oder begleitend eingebunden“, erklärte ein Pressesprecher am 5. April 2008 (7). Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder dementierte ebenfalls. Ein Sprecher Schröders sagte, solche Darstellungen seien „offenkundig an den Haaren herbeigezogener Unsinn“. Der Alt-Kanzler habe einen Rechtsanwalt eingeschaltet, um die „falschen Behauptungen“ richtigstellen zu lassen. Rückendeckung erhielt er durch den AA-Staatssekretär Wilhelm auf der Bundespressekonferenz am 7. April 2008: „Es gab am Wochenende einen Kontakt zu dem damaligen Leiter der Abteilung zwei des Bundeskanzleramtes, also der außen- und sicherheitspolitischen Abteilung, der aufgrund seiner eigenen Teilnahme an der Reise deutlich gemacht hat, dass das, was in dem Artikel dargelegt worden ist, in dem Gespräch keine Rolle gespielt hat, dass es also eine solche Koppelung an eine – in Anführungszeichen – Leistung Libyens im Zusammenhang mit der Befreiung der Familie Wallert in dem Gespräch nicht gegeben hat“.
Im Zuge der weiteren Berichterstattung in den zitierten Medien kristallisierte sich dann ein nahezu umfassendes Bild der Affäre heraus. Mitte Juni 2005 war eine fünfköpfige Gruppe deutscher Sicherheitsexperten, darunter ein ehemaliger Soldat und zwei aktive Polizeibeamte aus Nordrhein-Westfalen, zu einer vierwöchigen Sondierungsreise nach Libyen geflogen. In diesem Team befand sich auch Ralf Kummer, Jahrgang 1968, ehemaliger Kommissar in der GSG-9 (Grenzschutzgruppe 9) und diplomierter Verwaltungswirt aus Bielefeld. Kummer hatte bereits Militärkräfte in Afrika geschult.
Die im ostfriesischen Wiesmoor ansässige Firma BDB Protection GmbH nahm die Ausbildung selbst im Dezember 2005 auf. Vier ständige Trainer und eine wechselnde Anzahl zusätzlich eingeflogener Spezialisten – insgesamt etwa 40 – trainierten bis Anfang Juni 2006 insgesamt 120 libysche Polizisten sowie 30 Geheimdienstler. Der Tross wohnte zunächst in einer Polizeikaserne in Tripolis, bis er in ein angemietetes Wohnhaus umzog. Das Ausbildungsprogramm begann mit dem vierwöchigen Kurs „Taktisches Vorgehen bei Zugriffen in Gebäuden“ gefolgt von einem einwöchigen Fahrtraining. Anschließend wurden das Entern von Schiffen und das Absetzen aus Hubschraubern geübt. Nach Aussage eines Ausbilders war die Vorqualifikation der einheimischen Polizisten desaströs, das Training musste bei Null anfangen. Der finanzielle Umfang dieses Geschäfts betrug 1,6 Millionen Euro, von denen jedoch allein 200.000 für Dolmetscherkosten und etwa eine halbe Million an Provisionen zu Buche schlugen (8). Ehemalige deutsche Polizisten verdienten dabei 4.000 Euro pro Monat, die noch aktiven bis zu 15.000.

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Nachdem sich ein Insider des Landeskriminalamts von Nordrhein-Westfalen im Sommer offenbart hatte, nahm die Staatsanwaltschaft in Düsseldorf Ermittlungen auf. Die Sonderkommission „EK Juli“ durchsuchte dabei auch die Büros im Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste in Neuss. Die Ermittlungen richteten sich zunächst gegen acht Beamte aus Bielefeld, Köln und Essen – darunter wegen Geheimnisverrats gegen einen 48-jährigen Hauptkommissar, der verdächtigt wurde, den Libyern geheime Schulungsunterlagen überlassen zu haben. Der Innenminister Nordrhein-Westfalens ließ sogar die Urlaubsanträge aller 700 Beamten der Spezialeinsatzkommandos des Landes auf verdächtige Aufenthalte in Nordafrika prüfen. Anschließend gerieten auch drei Beamte aus Baden-Württemberg ins Visier der Fahnder.
Als besonders pikant erwies sich die Involvierung eines Hauptfeldwebels der Bundeswehr, weil dieser zugleich dem Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, als Personenschützer gedient hatte. Nachdem er im April 2006 vom Dienst suspendiert worden war, gab er gegenüber dem Wehrdisziplinaranwalt an, seine militärischen Vorgesetzten und der Bundesnachrichtendienst hätten von seiner Tätigkeit in Libyen Kenntnis gehabt und auch die Polizei eines Bundeslands sei an der Ausbildung beteiligt gewesen. Auf Anfrage des Wehrdisziplinaranwalts vom Frühsommer 2006 erklärte der BND jedoch im Herbst, kein BND-Mitarbeiter kenne den Unteroffizier, der in einer Berliner Sicherheitsfirma tätig ist, die auch den Schutz der libyschen Botschaft in Berlin leistet (9).
Die BDB war zwar aufgelöst worden, aber ihr Geschäftsführer war anschließend für das Sicherheitsunternehmen IPM unter derselben Wiesmoorer Adresse tätig (10) und der an der BDB-Ausbildung beteiligte Hauptfeldwebel der Bundeswehr versuchte vergeblich, über die Firma „Sicherheitsgruppe Berlin GmbH“ zusammen mit Bundeswehrkameraden ein Nachfolgeprogramm auf die Beine zu stellen. Der Geschäftsführer der BDB Protection GmbH, Volker Bergmann, ein ehemaliger Angehöriger der GSG-9, bestritt jede politische Rückendeckung für sein Geschäft mit dem libyschen Innenministerium: „Die Bundesregierung war daran in keiner Form beteiligt, der Bundesnachrichtendienst hat uns nicht unterstützt – und die Rolle aktiver Polizisten in Libyen wird übertrieben“, erklärte er gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit. Vermittelt habe den Deal die britische Briefkastenfirma IboS Ltd. (11)
Seine Version der Anbahnung des Geschäfts hat der Inhaber der IboS Ltd., Jörg S., der zehn Jahre Beamter der Bundespolizei und anschließend bis 1994 Agent des Bundesamts für Verfassungsschutz war, bevor er sein Unternehmen in London gründete, in der Bild-Zeitung zu Protokoll gegeben: „Im April 2005 kam es zum ersten Treffen. Ein libyscher Geschäftsmann aus Bad Godesberg bei Bonn fragte mich, ob ich in Libyen Polizisten ausbilden könne. Ich war interessiert, saß eine Woche später bereits im Flugzeug nach Tripolis. Am 3. Mai 2005 sprach ich mit dem Chef der libyschen Polizeiakademie, General Dr. Mohammed Ibrahim Elassibie, und anderen hohen Polizeioffizieren. Das libysche Innenministerium suchte deutsches Know-how, wollte eine Elitepolizeieinheit nach dem Vorbild der GSG 9. Sie suchten eine umfassende Ausbildung einer Spezialeinheit zur Terrorismusbekämpfung. Außerdem sollte ich ein Sicherheitskonzept für Hafen und Flughafen der Hauptstadt Tripolis erstellen. Vorgesehene Gesamtdauer: 10 bis 12 Monate … Zurück in Deutschland nahm ich Kontakt zum Koordinator der Polizei-Spezialeinheiten beim Landeskriminalamt in Düsseldorf, auf … Er sollte mir ehemalige Elitepolizisten empfehlen, die in der Lage wären, eine solche Spezial-Ausbildung in Libyen durchzuführen. Der Hauptkommissar stellte einen Kontakt zu seinem früheren Stellvertreter beim Sondereinsatzkommando, Volker Bergmann, her“. Daraufhin schloss IboS am 16. Juni 2005 einen Kooperationsvertrag, demzufolge die BDB als Subunternehmer in Libyen fungieren sollte. Zum weiteren Ablauf erklärte der IboS-Inhaber: „Zwei Tage später flog ich mit vier ehemaligen Elite-Polizisten zu einer einmonatigen Recherche-Mission nach Tripolis. Wir wurden von Offizieren des Innenministeriums abgeholt, wohnten im Polizeioffizierheim. Wir wurden wie Diplomaten behandelt. Sie zeigten uns alles. Ihre Spezialeinheiten, den Hafen, den Flughafen. Wir hatten Zutritt zu allen sicherheitsrelevanten Bereichen. Das Innenministerium stellte auch Fahrzeuge und Fahrer zur Verfügung. Wir waren First-Class­Gäste. Wir erstellten Analysen, wie heikle Orte zu schützen wären, schrieben auf, wo offensichtliche Schwachstellen gegeben waren, um ein konkretes Angebot abgeben zu können … Parallel dazu erstellte ich ein Angebot für den Aufbau einer Spezialeinheit nach dem Vorbild der GSG 9. Am 2. August 2005 wurde das Angebot an das libysche Innenministerium übergeben. Die veranschlagten Kosten: 1,802450 Millionen Euro. Das Konzept wurde von der libyschen Regierung angenommen. Lediglich über den Preis sollte noch nachverhandelt werden. Jeder ehemalige deutsche Elite-Polizist sollte rund 15.000 Euro monatlich verdienen. Sie sollten 120 Anti-Terror-Polizisten auswählen und ausbilden: Schieß-Training, Verhalten bei Geiselnahmen, Personenschutz.“ Doch wenige Tage später bootete die BDB IboS aus: Sie übernahm deren Konzept und bot es preiswerter an. Jörg S. verklagte seinen ehemaligen Partner daraufhin vor dem Oberlandesgericht Köln und bekam eine Vertragsstrafe von 100.000 Euro zugesprochen, die er jedoch wegen der Insolvenz der BDB nie erhielt (12).
Offen bleibt in der Darstellung von Jörg S., wer den Kontakt zwischen ihm und dem libyschen Geschäftsmann aus Bad Godesberg hergestellt hat. Hier behauptet ein ehemaliger Mitarbeiter der Abteilung 5 des BND, seine Behörde habe den Deal eingefädelt. Doch dagegen steht das offizielle Dementi des Bundeskanzleramts und des BND, und auch die Staatsanwaltschaft in Düsseldorf gewann keine Erkenntnisse über eine Einbindung des Bundesnachrichtendienstes (13). Zunächst betonte das Auswärtige Amt (AA) gar nichts gewusst zu haben, später räumte es ein, es sei bei einem von einem deutschen Fußballschiedsrichter gepfiffenen Spiel zweier libyscher Mannschaften in der VIP-Longue des Stadions im November 2005 zu einer Begegnung zwischen den deutschen Polizisten und Vertretern der Botschaft – darunter dem BND­ Residenten – gekommen. Nachdem die BND-Station in Tripolis lange verwaist gewesen war, zog zugleich mit dem frisch ernannten Botschafter Bernd Westphal im August 2005 ein neuer BND-Resident in die deutsche Vertretung an der Sharia Rassan es Mashai ein. Maßgeblich für die Wiederbesetzung der Residentur war das stetige Anwachsen der terroristischen Bedrohung aus Nordafrika in den Nachbarstaaten Libyens. Allein eine Untergruppe der in Algerien operierenden GSPC (Salafistische Gruppe für Gebet und Kampf) hatte 2003 32 Touristen, darunter 16 Deutsche, entführt, und 2006 stammte – laut Interpol – die Hälfte aller in der Europäischen Union festgenommenen Terrorverdächtigen aus Algerien, Tunesien und Marokko. Überdies hatte sich die GSPC mit anderen Organisationen zur Al Qaeda im islamischen Magreh zusammengeschlossen und unterhält im Norden von Mali mobile Ausbildungslager (14).

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Der ehemalige Geschäftsführer der BDB erklärte, es habe 2006 mindestens drei bis vier Essen mit deutschen Botschaftsangehörigen in Tripolis gegeben. Er könne allerdings nicht sagen, ob der BND-Resident darunter gewesen sei, weil der sich nicht zu erkennen gegeben habe. Laut Berliner Zeitung traf sich der Statthalter des deutschen Geheimdienstes in der libyschen Hauptstadt 2005/06 mehrfach mit dem Chef des deutschen Sicherheitsunternehmens, bis ihm dieser Kontakt im Sommer 2006 von der Zentrale untersagt wurde (15). Bei den Gesprächen war es auch um den oft kläglichen Leistungsstand der libyschen Spezialkräfte gegangen. Der BND-Resident berichtete vier Mal an seine Zentrale und gab dabei die Anzahl der beteiligten deutschen Polizisten fälschlicherweise mit nur etwa zwölf Mann an.
Bei der dreistündigen Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) am 9. April 2008 standen BND-Präsident Ernst Uhrlau und Innenstaatssekretär August Hanning den Abgeordneten Rede und Antwort. Danach hatte das PKG mehrheitlich beschlossen, dass dem BND nichts vorzuwerfen sei, erklärte der stellvertretende Vorsitzende Max Stadler (FDP). Grüne und Linkspartei trugen den Mehrheitsbeschluss jedoch nicht mit. Der Vorsitzende des Gremiums, Thomas Oppermann (SPD), räumte ein, dass der BND-Vertreter in Tripolis die Aktivitäten der BDB beobachtet und entsprechende Berichte nach Deutschland weitergeleitet hatte, die BND-Auswerter hätten die Brisanz jedoch nicht erkannt. Deshalb seien die Informationen dem BND-Präsidenten nicht vorgelegt worden. Insgesamt bescheinigte Oppermann dem BND jedoch, sich „korrekt verhalten“ zu haben (16).Es würde nicht für die Effizienz und Leistungsfähigkeit des Dienstes sprechen, wenn dem BND die Aktivitäten der deutschen Polizisten in Libyen verborgen geblieben wären“, sagte Bundestagsabgeordnete Wolfgang Neskovic (Linkspartei) der Berliner Zeitung. Zudem könne er sich nur schwer vorstellen, dass eine sicherheitspolitisch so heikle Kooperation hinter dem Rücken des BND ablaufe. Ähnlich äußerte sich der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele (17).
Für das abrupte Ende des eigentlich auf eine zweite Marge angelegten BDB-Engagements, bei dem die Ausbilder nicht einmal alle Sachen abtransportieren konnten, gab es einen Grund: Das deutsche Bundesamt für Ausfuhrkontrolle hatte die Ende 2005 beantragte Genehmigung zur Lieferung von 140 Pistolen der Firma Sig-Sauer aufgrund von Einsprüchen des BND und des Auswärtigen Amts versagt, obwohl 2004 das EU-Waffenembargo gefallen war. Begründet hatte Libyen den Wunsch nach diesen Waffen mit dem Schutz einer gemeinsamen Konferenz der Europäischen und der Afrikanischen Union Ende November 2006 in Tripolis, an der auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble teilnehmen sollte. Doch dieses Argument erwies sich als Vorwand, weil die Ausbildung der libyschen Personenschützer durch das Bundeskriminalamt erst im Dezember beginnen sollte. Mit der Absage der Deutschen war der Weg dann für italienische, britische, französische und amerikanische Firmen frei, auf der Basis offizieller Verträge militärische und paramilitärische Ausbildungskurse anzubieten. Frankreich sprang beispielsweise bei der Ausbildung von Gaddafis Personenschützern in die Bresche (18).
Gehofft hatte der libysche Revolutionsführer immer auf offizielle Unterstützung aus der Bundesrepublik. Bereits im Herbst 2004 hatte der Chef des libyschen Auslandsnachrichtendienstes Moussa Koussa den damaligen Kanzleramtsminister Frank­Walter Steinmeier persönlich um Hilfestellung bei der Ausbildung libyscher Sicherheitskräfte gebeten und im Gegenzug angeboten, die festgefahrenen Verhandlungen über die Entschädigung der Opfer des im April 1986 verübten Anschlags auf die Berliner Diskothek „La Belle“ wiederzubeleben. Knapp zwei Jahre später, im Juni 2006, wurden Gaddafis Sohn Seif al Islam und der libysche Botschafter in Berlin Daid Abulati Mohamed beim nunmehrigen Außenminister Steinmeier vorstellig, um im Beisein von Innenstaatssekretär August Hanning für die deutsche Vermittlung bei der Schadensregulierung im Fall „La Belle“ zu danken. Bei dieser Gelegenheit trugen sie erneut ihre Bitte um Ausbildungsunterstützung für Personenschützer vor, der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble seit März 2006 prinzipiell positiv gegenüberstand. Daraufhin reiste eine Delegation des Innenministeriums verstärkt durch Beamte des Bundeskriminalamts am 19. Juli 2006 zu Sondierungsgesprächen nach Tripolis. Nur einen Monat später flog eine zweite Gruppe deutscher Sicherheitsbeamter in derselben Sache erneut nach Libyen. Nach offizieller Darstellung kam es jedoch nicht zum Abschluss einer Vereinbarung über ein Training für Spezialeinsatzkräfte oder die Leibgarde Gaddafis (19).
Ein ehemaliger nordrhein-westfälischer Polizeibeamter, der bis Mitte 2006 in Libyen gearbeitet hatte, erklärte jedoch am 9. April 2008, auch nach Abbruch der BDP-Ausbildung habe eine Gruppe aus ehemaligen GSG-9-Männem, SEK-Leuten und Feldjägern mindestens bis Anfang 2008 weiterhin Libyer ausgebildet haben. Dabei sei es darum gegangen, eine Spezialeinheit von Gaddafis Geheimpolizei an westliche Standards heranzuführen (20).

(1) – Vgl. Süddeutsche Zeitung 29.6.2007: Lockerbie-Urteil fragwürdig und Frankfurter Allgemeine Zeitung 31.8.2007: Explosiver Widerruf
(2) – stern 39/2000, S. 238
(3) – Vgl. stern 39/2000: Stunde der Wichtigtuer und Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.9.2000: Der Bundesnachrichtendienst spielte eine wichtige Rolle bei der Befreiung der Wallerts
(4) – Vgl. Der Spiegel 46/2005, S. 40
(5) – Zitiert nach Der Spiegel 15/2008, S. 36
(6) – Vgl. Welt online 5.4.2008: Bundesnachrichtendienst wusste offenbar von Libyen­Ausbildern
(7) – Vgl. Reuters 6.4.2008
(8) – Vgl. Der Spiegel 15/2008, S. 38
(9) – Vgl. Süddeutsche Zeitung 10.4.2008: BND ließ Behörden im Unklaren und Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.4.2008: Bittbriefe aus Tripolis
(10) – Vgl. Frankfurter Rundschau 9.4.2008: 120 Libyer ausgebildet
(11) – Vgl. Die Zeit 10.4.2008: Ein Ostfriese in Tripolis
(12) – Vgl. www.bild.de 12.4.2008: Ich vermittelte deutsche Elite-Kämpfer an Gaddafi
(13) – Vgl. wdr.de 8.4.2008: Keine Hinweise auf BND-Beteiligung
(14) – Vgl. Netzzeitung 21.10.2007: BND warnt vor Terroristen aus Nordafrika
(15) – Vgl. Berliner Zeitung 9.4.2008: Rufe nach mehr Kontrolle über Geheimdienste
(16) – Vgl. tagesschau.de 16.4.2008: PKG: BND hat nur beobachtet
(17) – Vgl. tagesschau.de l7.4.2008: Opposition zweifelt BND-Angaben an
(18) – Vgl. Der Spiegel 16/2008: Deutsch-libysche Kooperation und Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.4.2008: Bittbriefe aus Tripolis
(19) – Vgl. Focus Online 12.4.2008: Deutsche Polizeiausbildung von Libyen offiziell angefragt; Die Zeit 10.4.2008: Ein Ostfriese in Tripolis und Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.4.2008: Deutsche Hilfe für Libyen schon 1979
(20) – Vgl. Focus Online 10.4.2008: Noch heute deutsche Schulungen in Libyen?