von Kai Agthe
Dieses nachtaktive, ebenso scheue wie gefährliche Wesen ist in Brehms Tierleben nicht zu finden. Es gehört zur Familie der Vampire mit den Unterarten Dracula und Nosferatu. Mag es auch in den Karpaten heimisch sein, ist es doch in der Literatur, auf der Bühne und im Film verbreitet, wo es seit über hundert Jahren für schönen Schrecken sorgt. Apropos: Max Schreck hat 1922 als Nosferatu im gleichnamigen Stummfilm cineastische Maßstäbe gesetzt und Bela Lugosi 1931 als Dracula geglänzt. Grundlage für alle Vampir-Variationen ist der Roman „Dracula“ (1897) des irischen Autors Bram Stoker. Mit van Helsing erhielt 2004 auch eine Nebenfigur des Buches als Dracula-Widersacher seinen eigenen Hollywood-Filmauftritt.
Nach Motiven des Romans hat Helmut Landwehr zusammen mit der Regisseurin Sylvia Wanke eine Theaterfassung erarbeitet, die unter dem Titel „Nosferatu – Ein Nachtstück“ jüngst im Theater Naumburg Premiere hatte. Es ist ein Zwei-Personen-Stück. Mehr noch: Was in neunzig Minuten geboten wird, ist subtiles Kammerspiel und psychologisches Kabinettstück. Weil ihr Mann Jonathan Harker wegen Immobiliengeschäften bei Graf Dracula im fernen Transsylvanien weilt, kümmert sich van Helsing (Tobias Weishaupt), ein Freund Harkers, um dessen Ehefrau Mina (Kathrin Blüchert). Die Gespräche Minas und van Helsings drehen sich um die abwesenden und doch unterschwellig anwesenden Jonathan und Dracula.
Mina, von Ahnungen und Visionen, Träumen und Ängsten geplagt, ergeht es in der Nähe des obskuren van Helsing wie dem Fischer in Goethes bekannter Ballade: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“ Aber auch die umgekehrte Tendenz ist erkennbar: Halb zog er sie, halb sank sie hin. In Momenten, da Mina ihren Blick von ihrem Gastgeber abwendet, macht van Helsing solch kantige Bewegungen wie man sie von Dracula kennt, wenn er zum Biss ansetzt, um sich an Menschenblut zu laben und die Sterblichen – je nach Definition – dadurch entweder ins ewige Leben oder in die untote Ewigkeit zu holen. Richtig ist: Wer untot ist, bleibt ewig jung.
Traum oder Wirklichkeit, Phantasmagorie oder tatsächliches Geschehen: Dracula erscheint Mina, obwohl wir uns in London befinden, mehrfach. Ihre Begegnungen, die in den finalen Biss münden, sind ausschließlich Pantomimen, die mit Musik, einmal auch mit einem Tango, unterlegt sind. Eine dieser Szene ist choreografisch besonders gelungen: Dracula entzieht sich, der Tag naht, der ihm somnambul ergebenen Mina, die jedoch mit seinem Mantel und seiner Maske anmutig weitertanzt, als halte er sie und nicht sie seine Utensilien in den Armen.
Die Geschichte von Jonathan und Dracula kann in einem Drama für zwei Personen nur indirekt wiedergegeben werden. So ist es kluge Idee, dass Mina fühlen kann, wie Jonathan auf der Kutschfahrt zu Dracula von Angst ergriffen und wie er im Schloss des Grafen manipuliert wird. Jonathan Harkers Erlebnisse werden einerseits von Mina als Botenbericht dargeboten, andererseits auch als Schattenspiel visualisiert, das sich in dem Koffer befindet, mit dem Mina zu van Helsing kam. Derweil Kathrin Blüchert und Tobias Weishaupt die Flachfiguren führen, kommt Jonathans Erzählung über das bizarre Treiben in Draculas Burg aus dem Off.
Die „Nosferatu“-Version des Theater Naumburgs besticht gerade dadurch, dass man auf alle effekthascherischen Elemente verzichtet, die dem Stoff eigen sind. Getragen wird das ruhige Stück allein von den Anziehungs- und Abstoßungskräften, die zwischen Mina und van Helsing sowie zwischen Mina und Dracula wirken. Dass das überzeugend gelingt, liegt an dem großartigen Spiel beider Akteure. Am Ende stirbt Mina. Die Ärzte gehen, wie van Helsing in einem Brief kolportiert, von einem natürlichen Tod aus. Aber an Minas Ende mag nicht glauben, wer Zeuge der nächtlich-vampiristischen Ereignisse im Haus van Helsings war.
Die nächsten Vorstellungen: 3. April, 23. April und 30. April, jeweils 19.30 Uhr. Tickets: (03445) 272481, service@theater-naumburg.de.