von Michaela Klingberg
Am 9. November 2007 beschloss der Deutsche Bundestag die Errichtung eines „Freiheits- und Einheitsdenkmals“: Als ein „nationales Symbol in der Mitte der deutschen Hauptstadt“, solle es an die friedliche Revolution im Herbst 1989 und an die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands“ erinnern, „ein Denkmal der Freiheit und Einheit Deutschlands“ sein, „das zugleich die freiheitlichen Bewegungen und die Einheitsbestrebungen der vergangenen Jahrhunderte in Erinnerung ruft und würdigt“. Im März 2008 präsentierte Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) erstmals Näheres. Anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls am 9. November 2009 sollte das Denkmal bereits realisiert sein. Der angestrebte Zeitplan erwies sich jedoch als überambitioniert. Beim ersten Gestaltungswettbewerb waren alle 532 Vorschläge durchgefallen. Einziges Ergebnis: Die Erkenntnis, dass aus dem Streit um das Holocaust-Mahnmal nichts gelernt worden war. Stattdessen verstärkte sich die Tendenz, dass private Initiatoren wie Lea Rosh (Holocaust-Mahnmal), Wilhelm von Boddien (Schloss) und Florian Mausbach (Einheitsdenkmal) Ideen entwickeln, die Bundesregierung und Bundestag mangels eigener Ideen und Konzepte sowie aus Angst vor einer Blamage unterstützen. Das Ganze wird dann als Public Privat Partnership deklariert und soll ein breites öffentliches Interesse suggerieren. Auf das Denkmal verzichten wollte man trotz des Scheiterns des ersten Wettbewerbs nicht. Im Juli 2009 beschloss der Bundestag daher einen zweiten Wettbewerb. Als Auftrag blieb lediglich die Erinnerung an die friedliche Revolution von 1989, da der erste Anforderungskatalog offensichtlich zu komplex und nicht umsetzbar war. Der neue Versuch bestand aus einem offenen internationalen Bewerberverfahren, das 386 Entwürfe hervorbrachte. Aus den eingereichten Arbeiten wählte ein Expertengremium die Teilnehmer für den sich anschließenden beschränkten Wettbewerb aus, an dem sich 28 Künstler beteiligten.
Als Standort für das Einheitsdenkmal wurde ausgerechnet der leere Sockel des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals erwählt. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit fügte sich lieber dem Wunsch des Bundes nach der Schlossfreiheit und stellte das Grundstück ohne Senats- oder Parlamentsbeschluss zur Verfügung. Durch den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses käme es somit zu einer unreflektierten Beziehung zwischen Denkmal und Schloss. Selbst wenn mit dem Denkmal ein anrührendes Mahnmal für den historisch positiven Zustand der Wiedervereinigung geschaffen werden sollte, stellt sich doch die Frage, was die heutige Semantik des ehemaligen Kaiserdenkmals, das sich gegenüber dem Eosanderportal an der Westseite des Stadtschlosses befand, als Machtsymbol des preußisch-deutschen Imperialismus im Zusammenhang mit dem Schlossneubau außer einer Renationalisierung sein soll.
Das 1897 eingeweihte Kaiser-Wilhelm-Denkmal gilt als Höhepunkt der Nationsinszenierung im Kaiserreich. Nach dem Tod Wilhelm I. 1888 wurde das Denkmal zum Staatsprojekt. Der Reichskanzler wurde vom Reichstag beauftragt, einen Wettbewerb durchzuführen. Der erste Preis des Wettbewerbs ging an die Berliner Architekten Rettich und Pfann sowie Bruno Schmitz. Keiner der prämierten Entwürfe hatte das Denkmal auf der Schlossfreiheit verortet. Nach Meinung Kaiser Wilhelms II. war es jedoch auch keinem der Preisträger gelungen, den zu Ehrenden angemessen zu repräsentieren. Der einzige Entwurf, der der gestellten Aufgabe am nächsten käme, sei der von Reinhold Begas, befand der Monarch. Da auf den Geschmack des Kaisers Rücksicht zu nehmen war, beschloss der Reichstag im Juli 1890, die Entscheidung über Ort, Gestaltung und Art der Ausführung allein dem Kaiser zu übertragen. Aus einer Unternehmung der Nation war damit eine Familienangelegenheit der Hohenzollern geworden.
Das Denkmal überstand Novemberrevolution und Nationalsozialismus weitgehend unbeschadet, erst mit dem Ende des II. Weltkrieges zeichnete sich auch das Ende des Kaiser-Denkmals ab. Im Dezember 1949 begann der Abriss. Erhalten blieben lediglich vier überlebensgroße Löwen-Skulpturen und ein Adler. Die Löwen stehen seit 1963 im Tierpark Friedrichsfelde, der Adler dekoriert den Innenhof des Märkischen Museums.
Peter Brandt, Mitinitiator des heutigen Denkmalprojekts, argumentierte für die Wahl des Standortes: „Es war ein Denkmal mit kriegerischer Tendenz. Die Grundidee derjenigen, die diesen Standort favorisiert haben, war, in einer Art dialektischer Aufhebung sowohl die Kontinuität der deutschen Geschichte als auch die Brüche sichtbar zu machen“. An solcherart dialektischer Aufhebung verhob sich allerdings schon die DDR. Zunächst war an der Stelle des ehemaligen Nationaldenkmals ein Denkmal für die politischen Gefangenen des Faschismus geplant. Ende 1950 beschloss das Zentralkomitee der SED dann jedoch den Bau eines Marx-Engels-Denkmals. Nach diversen Streitigkeiten zwischen Künstlern und Politikern wurde der Wettbewerb zunächst ausgesetzt. Im Juni 1977 wurde das Konzept einer Künstlergruppe um Ludwig Engelhardt vom Politbüro beschlossen. Das Denkmal wurde letztlich nicht gebaut, die Verwirklichung scheiterte aus Kostengründen und an Differenzen mit den Künstlern, die sich den Monumentalisierungswünschen der DDR-Regierung entgegenstellten.
Die Erwartungen der Politiker an ein Denkmal für die Nation sind auch mehr als ein Jahrhundert nach Errichtung des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals vielfältig. Einige, wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann, sehen in dem Freiheits- und Einheitsdenkmal „einen Kontrapunkt zur Tradition dieser Stätte sowie die Verdeutlichung des Bruchs und die demokratische Entwicklung seit jenen monarchistischen Zeiten“. Andere, wie beispielsweise Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, werben für das „Mahnmal unseres historischen Glücks“, um zu zeigen, dass „die deutsche Geschichte auch mal gut ausgehen“ könne. Das ist ähnlich sinnstiftend wie die Aussage von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder: „Wir brauchen das Schloss, weil es schön ist“. Überzeugende Begründungen für die Wahl des Standorts sind das nicht. Eher stehen die Aussagen als Beispiele für die Fortsetzung jener Geschichtspolitik, die unter der Kanzlerschaft von Helmut Kohl begann, die 1993 mit der Umwidmung der Neuen Wache zur Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland ihren ersten Höhepunkt fand und bis heute eine kontinuierliche Fortschreibung erfährt.
Das Interesse der Bevölkerung an Einheitsdenkmälern scheint demgegenüber begrenzt. Das erste verwirklichte Denkmal, eine symbolische Kerze, steht in Plauen im Vogtland. Geplante Denkmal-Ableger soll es nun auch in Zwickau, hier fehlt noch Geld, und in Leipzig geben. Dort antwortete lediglich ein Drittel von 3.000 Bewohnern auf eine von der Stadt initiierte Bürgerbefragung. Knapp die Hälfte davon vertrat die Meinung, das Denkmal solle die gesamte friedliche Revolution im Osten sowie den 9. Oktober 1989 würdigen. Der größere Teil der Befragten vertrat jedoch die Auffassung, das Geld würde an anderen Stellen dringender benötigt. Die Denkmalspiele der letzten Zeit vervollständigt die Posse in Dresden, wo Alt- Kanzler Helmut Kohl die Debatte um ein Denkmal für seine Person selbst ad acta legte.
Zurück zum geplanten Denkmal in Berlin. Am Nationalfeiertag, dem 3. Oktober 2010, präsentierte Kulturstaatsminister Neumann die Preisträger des zweiten Wettbewerbs. Die Jury entschied sich für drei preiswürdige Projekte, aber gegen die Vergabe eines ersten Preises. Die drei Preisträger (Stephan Balkenhol, Andreas Meck sowie die Architekten Milla und Partner gemeinsam mit der Künstlerin Sasha Waltz) sind zur Nachbesserung aufgefordert. Egal welcher der drei Entwürfe demnächst zum Sieger gekürt wird, ein Denkmal für Freiheit und Einheit auf dem Sockel des Denkmals für Kaiser Wilhelm I. wird die Illusion der nationalgeschichtlichen Kontinuität weiter stützen. Bereits 1882 hatte Ernest Renan festgestellt, dass das Vergessen historischer Gewaltereignisse eine wichtige Basis für die nationale Identität sei – andernfalls träten affektive Bindungen der Einheit der Nation entgegen. Das zu verhindern ist die eigentliche Aufgabe der Erzählung vom „Mahnmal des historischen Glücks“.
Schlagwörter: Berliner Stadtschloss, DDR, Denkmal, Einheit, Freiheit, Kaiser-Wilhelm-Denkmal, Michaela Klingberg, Public Privat Partnership