14. Jahrgang | Nummer 3 | 7. Februar 2011

Bemerkungen

Gelöbnis

Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.

Ich werde meinen Lehrern die schuldige Achtung und Dankbarkeit erweisen.

Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben.

Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein.

Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wahren.

Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten.

Meine Kolleginnen und Kollegen sollen meine Schwestern und Brüder sein.

Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale Stellung.

Ich werde jedem Menschenleben von seinem Beginn an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden.

Dies alles verspreche ich feierlich und frei auf meine Ehre.

Diese Genfer Deklaration – auch Genfer Gelöbnis genannt –wurde 1948 auf der 2. Generalversammlung des Weltärztebundes in Genf verabschiedet. Mehrfach ergänzt, stellt sie eine zeitgemäße Version des Eids des Hippokrates dar. Inwieweit die heutigen gesellschaftlichen Gegebenheiten es den Ärzten – den Willen dafür gern unterstellt – möglich macht, den Postulaten vier und acht gerecht zu werden mag beurteilen, wer Kassenpatient ist – oder Pharmavertreter; je nachdem.

HWK

Fremde Worte

Was wäre die Sprache ohne die vielen fremden Wörter, die ihren Wortschatz bereichern? Zweifellos wäre sie um vieles ärmer. Die Fremdwörter eröffnen neue Horizonte, versteht man sie richtig zu entwickeln und zu gebrauchen. Natürlich können sie, treten sie als elitärer Dünkel auf, das Schriftgut auch hermetisch verriegeln und ungenießbar machen.
Aber per se machen sie das nicht. Um gewisse Nuancen und Sachverhalte auszudrücken, sind die Fremdwörter unumgänglich. Ein Rapport ist mehr als ein Bericht, imitieren heißt mehr als nachahmen, und wenn etwas passiert ist, ist das nicht dasselbe, wie wenn etwas geschehen ist. Oder denken wir an fair und foul, welche Übersetzungen soll es da geben? Oder bei vermasseln? Oder bei Niveau? Welches deutsche Wort erreicht dieses Niveau? Wir sagen auch Cousine und Friseur, nicht Base und Barbier. Meine Großeltern hätten nie Gehsteig zum Trottoir gesagt. Und die Waschschüssel hieß immer Lavoir. Französisch konnten sie allerdings nicht, wahrscheinlich war ihnen nicht einmal bewusst, dass diese Wörter einst aus der Fremde gekommen sind.
Der Kampf gegen Fremdwörter, gegen die Verunreinigung der Sprache, war immer ein reaktionäres Gefecht. Es gibt keine reine Sprache, alles ist durchsetzt und durchmischt und nichts bleibt, wie es ist. Natürlich kann man über Sinn und Zusammenhang einzelner Wörter streiten, aber wenn etwa von Amerikanisierung die Rede ist, dann ist Vorsicht geboten. Man mag etwa gegen das Wort „cool“ so manche Einwände haben, interessant wäre aber doch zu zeigen, weswegen es sich durchgesetzt hat und was es in seiner häufigen Verwendung ausdrückt. Und warum man nicht einfach stattdessen „kühl“ sagen kann.
Sprache ist lebendig, und die Auseinandersetzung um Begriffe stets akut. Wörter kommen und gehen, manche sind so verkommen, dass sie zum Vergehen gebracht werden müssen. Das sexistische Begriffspaar „dämlich“ und „herrlich“ etwa und „verschandeln“ aus nahe liegenden Gründen sowieso …

Franz Schandl, Wien

Beschleunigte Revolution

Mancher meint, daß die Entwicklung der Gesellschaft dermaßen schnell verlaufe, daß das Individuum diesen Prozess nicht mehr nachvollziehen könne und sein Zeitalter deshalb als statisch empfinde – alles ist im Fluss.
Eine historische Langeweile hat die Menschen ergriffen, das was als Ende der Geschichte verhandelt wurde, scheint für viele ein Teil Lebenswirklichkeit zu sein. Morgens aufstehen, Nachrichten, die übelsten Lügen eines Verteidigungsministers schallen durch den Raum, Zähne putzen und auf der Arbeit vom alten Zeitsoldaten das hören was in der Bundeswehr rumort: „Der Typ, den sie auf der Gorch Fock abgesägt haben, war zu dem Zeitpunkt gar nicht Kapitän…“ Der bloße Skandal verschluckt. „Welcher Afghane soll sich für die Post der Kameraden interessieren? Da steckt der MAD (Militärischer Abschirmdienst) hinter!“ Kaffee schlucken. „Die Jungs halten sich einfach die Waffe an den Kopf, aus Spaß – so’n Ding geht gerne mal los!“ Zigarette an. „In der Truppe rumort es gerade tierisch!“ Laptop hochgeklappt und weiter geht’s. Bloße Existenz auf hohem Niveau als die unbefriedigendste aller Lebensformen. Das stete Suchen nach dem großen Ganzen, dessen Teil man werden könne, alle Schlachten längst geschlagen, also noch mal von vorne:„Ihr werdet eure Revolution noch erleben“ oder „Warum erhebt ihr euch eigentlich nicht?“ Saturiertes Dasein angeprangert, aber: „Allerdings so schön wie ihr, hatte es keiner.“
„Wir werden Teil von etwas sein, das in die Geschichte eingeht!“ Ein Ausspruch beim Aufbruch zu einem längst vergessenen Event – Woodstock war einmal. Die stete Suche nach dem Sinn, in einer Welt, die scheinbar alle Sinngebung verpatzt und neidisch nach Osten blicken lässt. „Merkel im schweizerischen Exil – Davos, der Sammelpunkt aller demokratisch gewählten Staatsoberhäupter nach Verjagung aus dem Amt.“ Eine Traumschlagzeile für von der Geschichte Gelangweilte oder schlicht von der Geschichte Benachteiligte mit materiellem Vorteil. Und dann? Die Suche nach dem Che, selbst Che sein, aber wo, ins Land des Goldes streben und neues aufbauen oder auch abbauen, inklusive goldverzehrender Arroganz im Gepäck.
Also vor Ort! Die Apologeten des alten Korpsgeistes brüllen sofort: „Eine Horde Studenten, die jetzt 68 spielen will!“ Wer will das? Sind wa mal ehrlich: Eigentlich alle! Unreflektierte Momente sind bei den meisten Menschen die spannendesten, was sich im Kopf bildet, aber sonst verschwiegen wird, quillt unverhofft kommt oft einfach hervor. Politische Theorien der Steinzeit als eigens generierte Gedanken, um alles wieder in Fluss zu bringen, während Sturzbäche auf uns nieder gehen und davon tragen. Ein Che auf kahlen Bibliothekswänden als farbiges Fanal, um verschlafene Hirne zu lüften. Stürmische Zeiten als Folie für die Aufschreckung einer unverständlich überbeschleunigten Welt, inklusive neuem Handy alle paar Wochen – Produktverjüngung aller Orten.

Paul

Die Rache der Asiaten

Im hiesigen halbstaatlichen Rundfunk bin ich keineswegs sicher, dass meine öffentlich rechtlichen Kollegen persönlich vor den Folgen dessen Konsums geschützt sind; das lehrt auch ein Besuch in der Kantine. Dort gibt es einen „internationalen counter“, in dem ausländische Gericht „live“ gekocht werden. Gekocht ist freilich ein großes Wort, denn auch hier steht der Show-Wert gegenüber dem (zweifelhaften) Gebrauchswert im Vordergrund. Manchmal beschleicht mich der Verdacht, dass der Gebrauchswert überhaupt nur noch im Show-Wert besteht, die Sache sonst wirklich keinen (nahrhaften) Nutzen hat!
Dort stehen also zwei Köche vor zwei Woks, und machen vorbereitetes Allerlei warm, darüber wird eine Soße und Nudeln oder Reis geleert und bekommt dann so klingende Namen wie Suzi Wong. Hier läuft das unter asiatische beziehungsweise chinesische Küche und die Schlange ist dort immer am längsten. Diese Art des Kochens ermöglicht der Küche, alle ihre Reste der anderen Essen und diverse andere gewinnbringend an den Exotik suchenden und verkörpern wollenden Esser zu bringen; das ist soweit nicht schlimm! Auch wir haben den Eingeborenen einst Glasperlen gegeben und dafür Gold genommen. Nun haben sie aber, wohl um einer zweifelhaften Transparenz genüge zu tun – die schlimmsten Banken sitzen ja hinter Glasfassaden – auch die chinesischen Nudelpackung hinter die Glasscheibe ihres „counter“ gelegt, damit wir sehen, woher die wunderbaren Instantnudeln kommen. Da der Schreiber dieser Zeilen ein paar Jahre in China gelebt hat, kann er glaubhaft versichern, dass selbst in diversen chinesischen Uni-Mensen das Essen besser war und wirklich gekocht wurde, nicht eben angerührt, bzw. ein bisschen herumgerührt wurde zum heiß machen.
Das Ganze wird dann auch noch in Schüsseln serviert, als eine Art asiatischer Eintopf. Viel Chinesisches (Asiatisches) mag ich an dem Essen nicht zu erkennen, aber sehr viel von Kultur- und Programmverständnis dieses Senders.

Rosa Wacholder

Gedanke des Gemeinguts

Aus einem Gedanken werden Worte. Aus den Worten werden Sätze. Die Sätze werden mit großen Hämmern bearbeitet, noch sehr grobgeistig. Die Sätze werden umgeworfen, der Gedanke geschärft. Neue Worte kommen hinzu. Neue Sätze entstehen. Der Satzschmied verfällt einer Depression. Der Gedanke kommt, die Depression geht. Wieder werden Sätze geschmiedet. Die Sätze werden für den Schmied endgültig. Der Schmied hat Glück, seine Sätze werden gebunden. Gebunden beäugt, was zu gebrauchen ist, wird gefragt, für sich, für seine Schmiede. Die Konkurrenz heizt den Ofen, der Gedanke wird umgeschmiedet, verarbeitet, verbreitet. Der Urschmied gerät in Vergessenheit. Aus seinen vielen Sätzen werden wenige, Plattitüde wird geboren, Gemeingut entsteht – gedankenlos.

Paul

Stasi ist überall

Manchmal ist alles viel einfacher, als man denkt. Nur will das dann niemand wahrhaben. Sie kennen doch Schläfer? Manchmal muss man gar nicht schlafen, sondern nur ein paar teutschen Rindviechern, Schweinen (der Name sagt alles) und Hühnern falsches (bzw. richtiges – alles eine Frage des Standpunktes) Futter verabreichen, dioxinhaltiges zum Beispiel, und schon mäht es reihenweise bundesdeutsches Publikum dahin. Und ein OiDE (Offizier im dioxinhaltigen Einsatz) vermeldet der Genossin Honecker nach Chile: Auftrag erfüllt. Zu blöd? Nö, der Verdacht, ein Stasi-Mitarbeiter habe Dioxin-verseuchte Lebensmittel in Umlauf und Verbrauch gebracht, geht auf BILD zurück. Also eine seriöse Meldung. Nie wäre ich darauf gekommen, dass die Genossen des untergegangenen Ministeriums ihren Auftrag so ernst wie gleichermaßen kreativ ausfüllen würden. Auftrag? Klar: „Deutschland schafft sich ab!“ Einfacher geht’s nimmer. Ob Aldi, Kaisers´s oder Bio-Laden: An Dioxin gehen alle zu Grunde. Muss man erst mal drauf kommen.
Oder darauf, dass auch automatische Gewehre von Heckler & Koch gemeinhin dahin schießen, wohin der Schütze die Knarre hält. Insbesondere in Afghanistan wird der Schütze – so er ein deutscher ist – nämliche Knarrre gen Himmel halten (nur dort sind noch erwähnenswerte Ziele). Manchesmal freilich, wenn die Stasi-Schlange ihr Liedlein singt und Äpfel hindurch reicht unter verdorrten Zweigen, senkt oder biegt (Uri, du kannst das erklären!) sich der Lauf auch einer deutschen H&K und trifft den Gegenüber. Tödlich. Zufällig. Oder so. Oder Stasi. Der Graf von und zu wird es der andächtig lauschenden Gemeinde mitteilen.
Wie auch den auffällig morschen Zustand diverser Seile in den Masten der „Gorch Fock“, der einer Azubi (auch Frauen dürfen im Zustand der Gleichberechtigung „Dienst an der Waffe“ leisten – ach, welch Fortschritt!) zum Opfer fiel, was – in doppelter Verantwortung (morsche Seile – typisch; Meuterei – auch typisch) nur der Stasi zugewiesen werden kann.
Und dann noch Offene Briefe, nein: geöffnete Briefe „unserer Kameraden fern am Hindukusch“. Das war ein alter Stasi-Offizier in alter Gewohnheit, zumal doch „kriegsähnliche Zustände“ bereits vom Herrn von und zu bescheinigt wurden. Da könnte ja jeder Lageberichte nach Hause… Das Einzige, was auffällt: Die Stasi hätte die Briefe wieder zugeklebt (Macht der Gewohnheit), auch dann, wenn man bei fehlendem Kleister mit Wasser und Mehl hätte improvisieren müssen (Und: „Mehl gab´s immer“, wie uns neulich im Supermarkt eine sicherlich stasifreundliche Kundin mitteilte zur Bemerkung der Verkäuferin, man habe – neben anderen fehlenden Kleinigkeiten – schon zwei Wochen kein Mehl mehr bekommen, und die Kundin meinte – empfindliche Seelen bitte weghören, es wird hart – die DDR!).
Der Minister wird uns aufklären, oder Herr Knabe, oder Die Zeit, oder die BILD, oder worin besteht der Unterschied?

Thomas M. Wandel

Fröhliche Rebellen

Im Januar jährte sich der 255. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart sowie der 1. Todestag von Howard Zinn. Mozart ist jedem bekannt; der amerikanische linke Historiker und streitbare sozialistische Humanist Zinn sollte es sein. Unabhängig, prinzipienfest – vor allem wenn es um Themen wie soziale Gerechtigkeit und Kampf gegen Rassismus und Kriegstreiberei ging. Und lebensfroh war Howard Zinn.
Mozarts Neigung, die dumpfen Vorurteile seiner Zeit durch sein Freimaurertum und seine wunderbar verspielten Liebesbriefe an sein Bäsle Maria Anna Thekla herauszufordern, ist bestens illustriert. In seinem klugen und hochrelevantem Theaterstück „Marx in Soho“ schrieb Zinn:“If you are going to break the law, do it with two thousand people and…Mozart.“ Fordern wir sie also heraus, die Herrscher unserer Welt, die im Namen von Freiheit und Demokratie diese abbauen und teilweise schon ganz offen von einer „post-demokratischen“ kapitalistischen Welt träumen. Mit Mozart gegen den Ungeist von Ausbeutung, Unterdrückung und Barbarei.

P.S.: „Marx in Soho“ ist ein witziges Gedankenspiel, in welchem Marx die himmlischen Autoritäten schlieβlich überzeugt, ihn zurück auf unsere Erde zu schicken, um all die zu konfrontieren, die seinen Namen und seine Ideen verfälschen.  Durch einen bürokratischen Fehler landet Marx aber nicht in Londons Soho-Distrikt, sondern in dem von New York. Dort geht Marx den heutigen kapitalistischen sowie auch den ehemaligen realsozialistischen Unterdrückern gedankenreich an den Kragen.

Axel Fair-Schulz

Über Anpassung und Widerstand in der Diktatur

Hans Werner Richter (1908-1993) ist weniger als Schriftsteller, sondern vielmehr als langjähriger Leiter der „Gruppe 47“ in Erinnerung geblieben. Doch dank des Wagenbach-Verlags kann Richter seit einiger Zeit als Erzähler wiederentdeckt werden. Nach dem Roman „Ein Julitag“ und den „Bansiner Geschichten“, die beide erkennbar autobiografisch angelegt sind, sowie der Miniaturen-Sammlung „Im Etablissement der Schmetterlinge – 21 Porträts aus der Gruppe 47“ wurde nun auch der Roman „Die Stunde der falschen Triumphe“ als Taschenbuch veröffentlicht. Bei dem 1982 erstmals edierten Werk handelt es sich um zwei Erzählungen, die aber durch inhaltliche Verschränkungen ein gehaltvolles Ganzes ergeben.
In „Die Stunde des Friseurs“ erleben wir, wie Barbier Willi versucht, sich mit dem Dritten Reich zu arrangieren. Kein Freund der neuen Ordnung, bröckelt sein innerer Widerstand, je größer Hitlers Erfolge nach der Machtergreifung und nach dem Kriegsbeginn werden. Das ist psychologisch von Richter überzeugend in Szene gesetzt. Eine humoristische Note bekommt die Erzählung, als Willi beim Preisschießen ein Gemälde mit dem Konterfei Hitlers gewinnt. Der Ortsgruppenleiter bestimmt als Platz für das Bild die Wand über dem Ehebett. Scharen von Besuchern pilgern fortan ins Schlafzimmer des Friseurs, um das Machwerk zu bestaunen. Weil Willi dem Befehl des Nazi-Funktionärs nicht widersprechen mag, wacht der Führer bis Mai 1945 über seinen Schlaf und das, was sich sonst noch in diesem Raum zutragen mag. Mit Kriegsende vernichtet man das Gemälde, was die Rotarmisten aber nicht glauben wollen. Von diesen als Nazi beschimpft, entgegnet Willi: „Ich bin Friseur und nichts weiter, nur Friseur.“ Allein durch die Fürsprache seines Schwagers – der auch Willi heißt, Lehrer ist und von den Russen als Bürgermeister eingesetzt wird – entgeht der Friseur Willi seiner Verhaftung.
In „Die Stunde des Lehrers“ wird die Geschichte von Willi, dem Pädagogen, erzählt. Von den Nazis wegen seiner antinazistischen und pazifistischen Gesinnung als Volksschullehrer entlassen, erlebt er im Dritten Reich zahlreiche Demütigungen. So muss er zu Ehren Hitlers eine Eiche pflanzen. Obwohl er seine politische Betätigung einstellt, wird er eines Tages verhaftet. Sich schon im KZ sehend, wird er doch wieder auf freien Fuß gesetzt, weil er bei einer hohen Stelle Protektion genießt. In den ersten Nachkriegstagen bittet der untergetauchte Ortsgruppenleiter Willi darum, ihm einen Entnazifizierungsschein auszustellen. Der neue Bürgermeister tut das, nachdem er erfährt, dass es, auf Bitten seiner Frau, kein anderer als der Ortsgruppenleiter war, der sich seinerzeit für Willis Haftentlassung eingesetzt hatte.
In beiden Fällen geht es um das Problem von Anpassung und Widerstand. Mit einfachen Antworten kann und will Hans Werner Richter nicht dienen. Er delegiert die Frage, wie man sich in einer Diktatur politisch und moralisch richtig verhält, sofern man nur eine Wahl hat, an den Leser. Der Autor gibt uns allerdings zu verstehen, dass wir uns, möge uns auch die Eitelkeit kitzeln, vor vorschnellen Urteilen hüten sollten: Es könnte eine billige, also falsche Genugtuung sein. Ein wichtiges Resümee, das für manche inhaltliche Schwäche des Romans durchaus entschädigt.
Und obwohl die Geschichten ihres Parabelcharakters wegen nicht in einer bestimmten Stadt verortet sind, wird der genaue Leser dank eines einzelnen Hinweises auf eine Gruppe von Fischern daran erinnert, dass Richter beim Schreiben seine vorpommersche Heimat vor Augen hatte.
Nun wäre zu wünschen, dass auch Hans Werner Richters Roman „Die Flucht nach Abanon“ (1980) wieder erscheint – die mit viel Lebensweisheit grundierte Geschichte einer späten, aber unausgesprochenen Liebe zwischen einem alternden Schriftsteller und einer Schauspielerin, für die die von Hans Werner Richter geschätzte Gertrud Kückelmann (1929-1979) Pate stand.

Kai Agthe

Hans Werner Richter: Die Stunde der falschen Triumphe, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010, 125 Seiten, 9,90 Euro

Wirsing

Wer wirklich Kommunist ist, kann die Zukunft imaginieren. In einem entsprechenden Artikel von Ellen Brombacher im Neuen Deutschland ging es beispielsweise um die Freiheit des Einzelnen im Kommunismus, gleich, „ob er Hartz-VI-Empfänger oder Bankmanager“ sei. Ja, wenn auf Hartz V schnell Hartz VI folgt, ändert sich das Leben grundlegend. Die Arbeitsagentur wird im Kommunismus vermutlich so vergrößert, dass hier Hartz-VI-Empfänger ebenso wie Bankmanager vermittelt werden. Beide haben dann die Freiheit, angebotene Weiterbildungskurse abzulehnen.

Fabian Ärmel