von Erhard Crome
György Konrád, ungarischer Schriftsteller, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels und früherer Präsident des Internationalen PEN, lebt in Budapest und erlebt die Veränderungen der neuen politischen Entwicklung nach rechts unmittelbar mit. Wenn man über das neue Mediengesetz des Ministerpräsidenten Viktor Orbán spricht, geht es im Wesentlichen, so Konrád, „um die Erstickung der Presse- und kulturellen Freiheit. Gestohlen wird uns das, was das Ziel und die Errungenschaft der öffentlichen und der illegalen demokratischen Bewegung sowie das Wunder von 1989 war. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und der Rundfunk unterliegen bereits einer strengen Zensur und gestalten sich zunehmend nichtssagend.“ Entstanden sei. so Der Spiegel , „eine neuartige Diktatur“.
Unmittelbar nach Bekanntwerden dieses Mediengesetzes in Ungarn reagierte der Luxemburgische Außenminister Jean Asselborn mit Empörung und forderte die EU-Kommission auf, unverzüglich gegen dieses Gesetz vorzugehen; es verstoße gegen Geist und Buchstaben der EU-Verträge. In Deutschland kommentierte selbst der ziemlich konservative Historiker und Publizist Michael Stürmer in der ziemlich konservativen Zeitung Die Welt die Sache unter der Überschrift: „Führerstaat Ungarn“ und schrieb, das neue Mediengesetz „gibt der neuen Nationalen Medien- und Telekommunikationsbehörde weitgreifende antidemokratische Vollmachten. Von Zensur und Beschlagnahme von Dokumenten bis hin zum materiellen Ruin unliebsamer Medien gehört alles dazu, was sich ein autoritäres Regime wünschen mag. Es ist ein Ministerium für Meinungssteuerung und Lobpreis der Macht Die Spitzenvertretung besteht aus Parteigängern und Günstlingen des Premiers Viktor Orbán. War Österreichs Haider-Zwischenspiel noch Operette, so ist, was sich in Ungarn abspielt, Tragödie. Im Falle Österreichs nahm die Europäische Union noch Anstoß und strafte die Alpenrepublik durch Versetzung in die Strafecke. Im Falle Ungarns passiert gar nichts, obwohl der Weg in den autoritären Staat vorgezeichnet ist und wahrhaftig nicht über Nacht begann. Die Freiheit, die Ungarn vor zwei Jahrzehnten für sich und andere errang, geht dahin.“ So weit die Bewertungen in der Sache, durchaus nicht nur von „links“. Kurz vor Weihnachten forderte Martin Schulz, Vorsitzender der Sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament, angesichts dieses Mediengesetzes eine Aussetzung der EU-Präsidentschaft Ungarns zu prüfen.
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung trat nun Georg Paul Hefty auf den Plan. Am 27. Dezember schrieb er, die Medienpolitik in Ungarn sei „das Feld einer parteipolitischen Dauerschlacht“ gewesen, richtige Regelungen, wie in Deutschland, habe es nicht gegeben, so dass auch die Rechtsextremen hätten agieren können. Dass die Kritiker Orbáns eher von links kommen, und dass Orbán an Entstehung und Ausgreifen des Rechtsextremismus in Ungarn in Zeiten der Opposition seiner Partei nicht unbeteiligt war, verschweigt Hefty sorgsam und stellt vielmehr fest: „Es gab für Orbán und sein parlamentarisches Regierungsbündnis also gute Gründe, den radikalen und gar extremistischen Tendenzen in den Medien etwas entgegenzusetzen.“ Kein Wort zum Gesetz selbst, vielmehr eine freundliche Deutung aus einer verkürzten Kontextbeschreibung heraus mit dem Fazit: Das Gesetz sei nötig gewesen.
Der Vorgang war auch insofern erstaunlich, als Hefty eigentlich innenpolitischer Redakteur der FAZ ist. Allerdings hatte er 1977 zur ungarischen Außenpolitik promoviert und publiziert und später den Wandel in Ungarn als Korrespondent beobachtet. Vor diesem Hintergrund erhielt er nun offenbar eine Art Federführung in Sachen Orbán-Interpretation für die gehobenen Schichten dieses Landes. Bereits am 3. Januar schrieb er in dieser Eigenschaft den Leitartikel der FAZ auf Seite 1, in dem er das Misstrauen in der EU gegenüber dem ungarischen Ratsvorsitz geißelte: „Die EU ist mit ihrer parteipolitisch taktierenden Kritik an der rechtskonservativen Regierung Ungarns in Gefahr, strategisch, also auf lange Sicht, sich wie die Katze in den Schwanz zu beißen.“ Wieder kein Wort zum Mediengesetz in der Sache, sondern Kritik der Kritiker Orbáns, diese würden nur aus parteipolitischer Taktik heraus handeln. Dazu schreibt Hefty dann weiter: „Seine Partei Fidesz ist europaweit allen Sozialdemokraten und Linksliberalen ein Dorn im Auge, weil ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament dokumentiert, dass nach dem völligen Vertrauensverlust der ungarischen Sozialisten und Freien Demokraten das Volk … der rechten Mitte zur Regierungsfähigkeit verholfen hat.“ Hier sei ausdrücklich nochmals darauf verwiesen, dass Die Welt und Stürmer nun wirklich linker Umtriebe unverdächtig sind, aber angesichts des Mediengesetzes genau so argumentiert haben, wie es Hefty jetzt als „links“ denunziert. Nebenbei ist interessant, dass Hefty Orbán als „rechtskonservativ“ einführt, um ihn dann als „rechte Mitte“ aus der Argumentationsfigur wieder zu entlassen. Hier wäre schon interessant, ob dies für den Leser in Deutschland als gleichbedeutend anzusehen ist.
Reinhard Müller, ebenfalls innenpolitischer Redakteur der FAZ, ehemaliger Feldjäger, studierter Jurist und eigentlich für den Themenbereich „Staat und Recht“ zuständig, war dann der Mann für den Kommentar auf Seite 1 am 11. Januar 2011, wieder in Sachen Kritik der Orbán-Kritiker. Er meint zunächst: „Wenn eine zugelassene Partei in eine Regierung gewählt wird, dann ist das zunächst einmal kein Fall für Brüssel oder die anderen Mitgliedstaaten. Niemand steht unter Generalverdacht.“ Während Hefty noch unter Verweis auf die Rechtsextremen zu Gunsten von Orbán-Verständnis schrieb, könnte dieser Satz nun plötzlich auch für jene gelten. Schuld ist aber natürlich wieder die Linke, die aus solcher Kommentatoren-Sicht schon bei den Sozialdemokraten beginnt: „Im Fall Haider hatte sich die vereinigte Linke Europas – auf Anstoß österreichischer Sozialdemokraten auf einer Holocaust-Konferenz“ – Was bedeutet denn dieser Verweis als Argument? Aber weiter: „– zu den Sanktionen gegen das Land entschlossen. An Österreich wurde ein Exempel statuiert, das bis heute nachwirkt. Wer schon vor der genauen Kenntnis des ungarischen Mediengesetzes den Entzug der Stimmrechte empfiehlt, der verstößt selbst gegen die ‚Grundfesten der europäischen Zivilisation‘.“ Woher weiß der Mann eigentlich, dass all die vielen Kritiker des Orbánschen Mediengesetzes dieses nicht gelesen haben bzw. in Ungarn dessen Durchführung nicht bereits spüren?
Wenn man länger über diese Blütenlese nachdenkt, ergibt sich die Frage, ob es diesen Leuten in der FAZ eigentlich nur um Ungarn geht. In dem eingangs zitierten Text von Konrád findet sich auch folgende Aussage: „Ungarn bietet auch den im Westen Europas existierenden Vorstellungen von einem starken Mann einen Stützpunkt.“ Nun muss der „starke Mann“ nicht unbedingt wörtlich genommen werden; der Satz kann auch so gelesen werden: „den im Westen Europas existierenden Vorstellungen von der Errichtung eines rechtskonservativen, autoritären Regimes“. Soll uns das auch in Deutschland verpasst werden? Zu welchem Zwecke eigentlich?
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