13. Jahrgang | Nummer 21 | 25. Oktober 2010

In der Villa von Werner Tübke

von Alfons Markuske

Schwer zu finden ist das frühere Wohnhaus samt Atelier in Leipzig selbst für Ortsunkundige nicht. Man besteigt am Hauptbahnhof, der immer noch Europas größter Kopfbahnhof ist, die Tram Nummer 12 und fährt ein paar Stationen bis zum Nordplatz. Von dort sind es via Lumumbastraße nur wenige Fußminuten bis zur Springerstraße 5, und schon stehen die Besucher vor der Jugendstileitvilla, in der einer der bedeutendsten Maler des 20. Jahrhunderts, Werner Tübke, 27 Jahre sein Domizil hatte und wo ein erheblicher Teil seines Œuvres entstand.

In dem sachkundig und liebevoll restaurierten Gebäude ist Tübkes Atelier im Dachgeschoss erhalten und hat heute die Tübke Stiftung ihren Sitz – gemäß dem Wunsch des Meisters, das Haus einer musealen und Kunst fördernden Nachnutzung zu widmen. Die Öffnungszeiten sind derzeit allerdings – aus finanziellen und personellen Gründen – höchst beschränkt: nur samstags von 10 – 14 Uhr. Der Zugang zu anderen Zeiten ist nur nach Vereinbarung möglich.

Das Atelier beherbergt eine Ausstellung, die außer Informationen über Leben und Wirken des Meisters vor allem einen Querschnitt an Gemälden, Zeichnungen und Grafiken aus allen Schaffensperioden des Künstlers bietet – von frühen Aquarellen des Siebenjährigen über Jugendarbeiten bis zu Tübkes letztem Gemälde, das unvollendet auf der Staffelei verblieb. Darüber hinaus zeigt eine Traditionsecke auch Gegenstände aus dem Alltagsleben des Künstlers. Gerade diese Objekte dokumentieren Züge an ihm, die sich aus seinen häufig ein geradezu fürstliches Selbstwertgefühl ausstrahlenden Selbstporträts – mehrere von ihnen sind in dert Exposition zu sehen – nicht ohne Weiteres ableiten lassen. So sammelte Tübke, der zeitlebens ein genießender Raucher war, unter anderem Aschenbecher und trug nicht etwa durchgestylte, sondern durchaus profane Stücke aus mancher Herren Länder zusammen.

Im Atelier kann es dem Besucher durchaus passieren, dass er von der Vorsitzenden des Stiftungsrates, Frau Brigitte Tübke-Schellenberger, der letzten Ehefrau des Künstlers, angesprochen wird, die sich regelmäßig in den Räumen aufhält. Auch eine sachkundige Führung durch eine der jungen Mitarbeiterinnen der Stiftung kann ohne Weiteres ad hoc in Anspruch genommen werden. Der Eintritt ist kostenfrei. Das sollte man nach einem Rundgang beim Entrichten seines Obolusses in die Spendenbox in Rechnung stellen.

Apropos Geld: Die an der Stiftung beteiligte Stadt Leipzig scheint auf ihren großen Sohn nicht vorbehaltlos stolz oder sich seiner Bedeutung nicht restlos bewusst zu sein. Denn wie anders soll man sich erklärten, dass nicht durch etwas großzügigere finanzielle Unterstützung wenigstens die spartanischen Öffnungszeiten etwas ausgeweitet werden können? An interessiertem Publikum dürfte es nicht mangeln. Bei unserem Besuch waren die Räumlichkeiten jedenfalls gut frequentiert!

Die Tübke-Villa bietet jedoch noch mehr. In der ersten Etage werden Teile der Sammlung von Fritz P. Mayer gezeigt, einem Industriellen in Textilmaschinen aus Frankfurt am Main, der sich besonders der Leipziger Schule und Werken jüngerer, in Leipzig wirkender Maler verschrieben hat. Wer Tübke liebt, der sich in seinem Selbstverständnis und über Jahrzehnte auch in seinem Stil und in seiner Technik den Malern der Renaissance verbundener fühlte als seinen zeitgenössischen Kollegen, der stößt dort mit Michael Triegel auf einen „Enkel-Schüler“ Tübkes (Eduard Beauchamp) – er lernte bei Arno Rink und Ulrich Hachulla – mit einem vergleichbaren Ansatz, der mit seinen erst 42 Jahren bereits ein beachtliches Werk vorzuweisen hat, das den Betrachter in seinen Bann schlägt. Ein Werk mit beeindruckenden handwerklichen und bildkompositorischen Bezügen von Botticelli über die Niederländischen Manieristen bis zu Dürer und seiner Schule, deren Malweisen und Stilmittel Triegel nicht kopiert, sondern für seine Motive und Inhalte adaptiert. Und diesen Rückgriff rechtfertigt Triegel durch seine eigene künstlerische Brillanz. Den folgenden Worten von Eduard Beauchamp kann daher ohne Abstriche zugestimmt werden: „Triegels virtuoser Anachronismus ist eine ästhetische Provokation. Sein Konservatismus ist mithin modern. Denn moderne Kunst funktioniert immer quer zum herrschenden Zeitgeschmack … Mit der makellosen Hyper-Ästetik seiner Bilder protestiert Triegel vor allem auch gegen die Hässlichkeit, die Durchschnittlichkeit und Gleichförmigkeit der zeitgenössischen Zivilisation. Die graue, verfallene DDR war der ursprüngliche Hintergrund seines ästhetischen Hochmuts, die Ursache seines Ausstiegs. Über Nacht fand sich der junge Triegel in der Bundesrepublik wieder. Ihre Miseren bestätigten sein Konzept.“

Bliebe zu ergänzen, dass im Erdgeschoss der Tübke-Villa die Leipziger Galerie Schwind Käufliches aus dem Werk insbesondere von Wolfgang Mattheuer offeriert, aber auch von Tübke, Triegel und anderen.

Einige Mattheuer-Skulpturen im Garten hinter dem Haus ergänzen das hier skizzierte Ensemble vortrefflich.

Wer nach einem Rundgang noch Lust und Muße hat, dem sei ein Besuch im Museum der Bildenden Künste ans Herz gelegt – vom Hauptbahnhof in wenigen Minuten zu Fuß zu erreichen. Das Museum beherbergt nicht nur selbst eine großartige Gemäldesammlung quer durch die europäische Kunstgeschichte, es erweist auch Werner Tübke eine ganz spezielle Referenz, an der der Meister seinen Gefallen gehabt haben dürfte: Sein großformatiges Gemälde „Erinnerung an Sizilien“ von 1974 hängt in einem der Renaissance-Säle des Museums.