von Max Hagebök
Vorgaben sind der Tod für kreative Flüge. Nichts ist mehr ergebnisoffen. Das Publikum ist bekannt, und diesem dient der hilflose Denker. Er schreibt für das momentane Gefühl und nicht für die Wahrheit. Manchmal trifft es sich glücklich, dass der Gedanke länger währt als ein Moment. Noch glücklicher ist der, dessen Gedanken irgendwann erinnerungswürdig sind. Doch so viel Gunst wird einem Blättchenschreiber nicht zuteil. Er schreibt leider häufig gegen sich selbst an. Gegen Phasen der Müdigkeit oder des Zorns.
In einer lauten Welt geht der Ruf im Geschrei unter. Und auch nachts wird der Schrei von Schlaf der Gerechten absorbiert. Also bleibt das wunderbare Gefühl, sich selbst zu gehören und sich selbst wichtig zu sein – dies nach der berühmten Wende mehr als davor. Darüber zu schreiben ist der Auftrag und den erfülle ich hiermit. Gern.
In meiner DDR schrie man nicht mehr laut. Wut begleitete den Wunsch nach einer besseren Welt. Für Leute wie mich gab es kein Blättchen. Nur Parteiversammlungen. Komischerweise sprach ich dort häufig lauter als heute gesagt wird. Deshalb hielt ich immer wieder ein bisschen mehr aus. Und als die Götterdämmerung nahte, da stand ich voller Ohnmacht am Tor der neuen alten Welt und wollte nicht hinein. Ein wirklicher Zwischenweltler. Dieses Wort gibt es laut Rechtschreibprogramm nicht. Ich fordere, es sofort im Duden zu hinterlegen. Es gibt in dieser Welt und somit in diesem Land verdammt viele Zwischenweltler. Sie können nicht dort und nicht hier glücklich werden. Es tut überall weh.
Doch für uns und damit vielen schaffen die real existierenden Gesellschaften ein wunderbares verbales Konstrukt. Ein Wort, welches persönliches Handeln definiert und wertet. Der einfache Sachverhalt des menschlichen Tuns erfährt eine ungeahnte Weihe. Kein Mensch tut mehr etwas für Menschen, sondern er tut es für eine Sache. Dies ist das Zauberwort der Modernen.
Für die Sache wurden Menschen reglementiert, entwürdigt und ermordet. Die Sache ersetzt die Moral, das Denken und das Fühlen. Sie absorbiert den Menschen und wandelt ihn eine mathematische Funktion. Damit schläft es sich für den Sachdiener gut. Es gibt kein höchstes Gericht. Wer für die Sache unterwegs ist, dessen Auftrag macht straffrei. Vor der Gesellschaft als auch vor dem eigenen Gewissen. Die Sache legitimiert jede verkommene Tat und verklärt den Blick auf das eigene Leben.
Das ist die bittere Erkenntnis von über 50 Jahren menschlichen Seins.
Und die Kritiker meines Lebens sollten schweigen. Egal aus welcher Gesellschaft sie kommen, die Sache ist immer schon da. Es gibt nur wenige, die sich dem Zugriff der Sache entziehen. Da sie wenige sind, müssen wir uns selten rechtfertigen. Doch treffen wir auf sie, dann sind dies Spinner oder Weltfremde. Jedenfalls lebensuntauglich. Schnell wird verdrängt, dass sie sich der Sache erfolgreich entzogen haben. In ihrem Leben werden sie nur an ihrer Untauglichkeit zweifeln.
Doch wir anderen sterben immer zwei Tode. Unseren eigenen und den gesellschaftlichen. Unser Pakt mit der Sache nimmt uns die Individualität und schenkt uns die Unverantwortlichkeit.
Deshalb bin ich traurig. Einst wollte ich einer Sache dienen und kam dabei vom Wege ab. Dann floh die eine Sache von mir, und eine andere übernahm die Macht über mich.
Es gab keine Wende.
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