von Erhard Weinholz
Schon lange hatte ich vor, einmal ein paar Tage zu Fuß durch die Mark zu wandern: Sprung vom Alltag ins Ungewohnte. Im April fand sich schließlich eine terminfreie Zeit, und eines Mittwochs machte ich mich trotz einiger Bedenken, meine Kondition, das Wetter und die Unvorhersehbarkeiten des Lebens betreffend, auf den Weg, Fontane im Sinn und Eichendorff im Herzen. Vielleicht war’s auch umgekehrt. Am Freitag sollte Brandenburg/H. erreicht sein, erstes Ziel war Nauen, die Funkstadt, wie sie sich nennt, denn von dort wird seit mehr als 100 Jahren gefunkt, seit Jahrzehnten auch gesendet. Losgewandert bin ich am Bahnhof Spandau.
Anfangs ging es also durch den Westen, alles in allem eine langweilige Gegend: Schmucke Häuschen reihen sich eines ans andere, am Stadtrand dann noch einmal Hochhäuser. Im Osten ist die Abwechslung größer: Neues, Älteres, ganz Altes, dazwischen Ruinen, Grundstücke voller Schutt und Müll – die Saturiertheit des Fertigen fehlt. Es dauerte eine Weile, bis ich diesen Osten erreicht hatte, denn ich bin langsam gewandert, langsamer noch als geplant. Zunächst kam ich nach Falkensee, durchquerte vorbei an Einfamilienhäusern aller Art den Ortsteil Falkenhagen. Falkensee, Falkenhagen, Falkenhöh, höchst verwirrend, diese ganze Falknerei. In Falkenhain, ebenfalls Ortsteil von Falkensee, warb man auf einer großformatigen Tafel für das Hotel „Zum Kronprinz“ in der Friedrich-Engels-Allee. Etwa Ecke Karl-Marx-Straße?, dachte ich. Und so war es dann auch. Vielleicht hätten sie ihr Etablissement „Zu den drei Klassikern“ nennen sollen, man muß ja nicht sagen, daß es die des ML sind. Weitere Merkwürdigkeiten scheint der Ort nicht zu bieten. Ein bißchen kam ich mir dort vor wie in den amerikanischen suburbs: Ich war lange Zeit weit und breit der einzige Fußgänger. Entsprechend schlecht war oft der Zustand der Bürgersteige. Der Fahrbahnasphalt dagegen, auf den ich dann auswich, war immer tipptopp.
Von Falkensee wollte ich hinüber nach Brieselang. Einen einzigen Weg nur gab es, der unter der Bahnstrecke nach Berlin hindurch quer durch den Wald hinüberführte; ich hatte Glück und verfehlte ihn nicht. Diese Strecke durch den Bredower Forst war die schönste des ganzen Tages. Die Sonne schien, und unter Birken und hohen Buchen blühten die weißen Buschwindröschen; dazwischen hier und da das Violett der Taubnesseln und das Gelb von Löwenzahn und Kriechendem Hahnenfuß – wenn ich die Beschreibung in meinem Taschenbuch der einheimischen Frühjahrsblumen richtig gedeutet habe.
Hinter Brieselang begann zum Ausgleich die mieseste Etappe: Das Wetter wurde so schlecht wie vorhergesagt, Graupelschauer und stürmische Böen aus West. Zudem wuchs der Verkehr rasch an – es ging auf die Autobahn zu. Von der Brücke darüber hatte ich einen weiten Blick auf die Stadtrandlandschaft: Hochspannungsleitungen kreuz und quer, in der Ferne riesige Lagerhallen, wie der Wasserturm nahebei wohl zum Rangierbahnhof Wustermark gehörend. Inzwischen war später Nachmittag, ich beeilte mich, nach Nauen zu kommen. In einem Dorf am Wege fiel mir ein ruinenhafter Bau auf: Wie eine kleine Kirche, mit hohen Fenstern, doch ohne Turm und unterkellert – wen danach fragen? Fontane hätte wohl jemanden herausgeklingelt. Doch dazu konnte ich mich nicht aufraffen, ich wollte weiter. Über eine Landstraße 4. Ordnung erreichte ich Nauen durch die Hintertür. Viel altes Fachwerk in den holprigen Nebenstraßen, manches aufwendig rekonstruiert, anderes – auch hier die osttypische Mischung – in verschiedenen Stadien des Verfalls. Doch wo war nun mein Hotel? Wieder niemand, den ich hätte fragen können. Das Handy half. Ich hatte mir meine Herberge in einem der schönen alten Bürgerhäuser im Stadtinneren gewünscht, aber sie lag weiter draußen an einer Ausfallstraße. Egal – ich hatte es geschafft und für alle Fälle Ohropax bei. Das Stadtmuseum mit seiner rundfunkgeschichtlichen Sammlung, erfuhr ich noch zuletzt, ist derzeit aus Geldmangel nicht auf Sendung. Zu Hause habe ich die Strecke dieses ersten Tages auf der Karte abgezirkelt: Gut 28 Kilometer, etwas viel für ungeübte Wanderer. Zum Glück hatte ich für den Donnerstag erheblich weniger eingeplant.
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