von Leo Piotracha
Das Unternehmen „Lexikon Künstler in der DDR“ erscheint spät. In den achtziger Jahren bereits war es von Dietmar Keller, Staatssekretär im Ministerium für Kultur der DDR, gefördert worden. Erscheinen sollte es als Werk von Dietmar Eisold, damals Redakteur für bildende Kunst (1971–1991) beim Neuen Deutschland, im VEB E.A. Seemann Verlag in Leipzig, bei dem der Thieme-Becker (37 Bände) und der Vollmer (sechs Bände) über Jahrzehnte eine Heimstatt fanden. Der Herausgeber des jetzt erschienenen Lexikons, Dietmar Eisold, sieht in seinem Vorwort in ihm ausdrücklich eine Fortsetzung für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, begrenzt auf das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik, ergänzt um einige herausragende Namen aus den Jahren der sowjetischen Besatzungszone, wie Karl Schmidt-Rottluff, Renée Sintenis und Wilhelm Wagenfeld. Aus dem Thieme-Becker und dem Vollmer jedoch war, verbunden mit einer langen Vorbereitungszeit, das „Allgemeine Lexikon der bildenden Künstler“ unter der Leitung von Günter Meißner geworden, 1990 auf drei Bände gelangt. Der Verlag K.G. Saur, München, der das Unternehmen kaufte und machte aus den drei Bänden, wenn auch mit einem beträchtlich veränderten DM-Preis, gleich sechs Bände im neuem Format. Die Leipziger Redaktion blieb erhalten, wenn auch stark geschrumpft. Das Unternehmen ist jetzt bis zum Buchstaben G (Guntbaldus) gelangt. Dieses Lexikon der Weltkunst umfasst bisher 65 Bände. Es ist nicht zu verstehen, dass dieses große Werk offensichtlich vom Herausgeber ignoriert wird. Auch Kürschners Handbuch der Bildenden Künstler, Deutschland, Österreich, Schweiz, das seit 2007 im 2. Jahrgang in zwei Bänden vorliegt, ist nicht erwähnt oder zu Rate gezogen.
Als Redaktionsschluss für das „Lexikon Künstler in der DDR“ wird der 31. Dezember 2009 angegeben. So darf der Benutzer und Leser des Werkes von nahezu 1.100 Seiten, die 7.300 Namen enthalten, sowohl in den biographischen Daten als auch in den Literaturangaben weitgehende Aktualität erwarten. Das Ergebnis ist jedoch nicht befriedigend. Manchmal reichen die Angaben bis in die jüngste Zeit, Wichtiges ist an anderer Stelle aber unbekannt. Der unterschiedlichen Informations- und Wissensstand mindert den Wert des Lexikons, das vor Redaktionsschluss noch eine beträchtliche Überarbeitung hätte erfahren müssen. Unter den 7.300 Künstlerinnen und Künstlern (eine Zahl von mindestens 10.000 bis etwa 12.000 entspräche etwa der Anzahl der Mitglieder des Verbandes Bildender Künstler in 40 Jahren) sind nicht wenige, die bis zum Oktober 1990 aus unterschiedlichen Gründen die Deutsche Demokratische Republik verlassen hatten. Werner Schmidt war 1990 in Dresden mit dem Katalog „Ausgebürgert“ auf die Zahl von 665 gekommen. Hartmut Pätzke gelangte in seiner Dokumentation zehn Jahre später schon auf über 1500 und schloss dabei Kunsthistoriker ein, die als Kunstwissenschaftler seit 1959 eine eigene Sektion im Verband Bildender Künstler Deutschlands gebildet hatten. Eisold nennt, ohne exakte Angabe des Autors und des Titels, das Register „Ausgebürgert“ in dem im Akademie Verlag erschienenem Buch “Eingegrenzt – Ausgegrenzt, Bildende Kunst und Parteiherrschaft in der DDR 1961-1989”, das Hannelore Offner und Klaus Schroeder 2000 herausgegeben haben. Offensichtlich ist ihm nicht bekannt, dass das Register „Ausgebürgert“ nur eine Quintessenz aus weit umfangreicherem Material ist, welches zudem in den letzten zehn Jahren auf bald 2.000 Namen gewachsen ist.
Es kann nicht akzeptiert werden, dass gerade diese Künstler, die in der DDR in der Regel nach ihrem Weggang nicht mehr erwähnt wurden (lebten sie noch, durften sie auch nicht ausgestellt oder publizistisch oder wissenschaftlich gewertet werden – von Ausnahmen wie Gustav Seitz oder Waldemar Grzimek abgesehen), nahezu unbeschriebene Blätter bleiben. Es wäre ein Gebot des Anstands und der Solidität, den verfemten und oft über einen langen Zeitraum nicht genannten Künstlern zumindest den Raum zu bieten, den die in der DDR gebliebenen Künstler erfahren.
Insgesamt gehen viele Mitteilungen nicht über die achtziger Jahre hinaus, oft heißt es beispielsweise „vor 1990 in Berlin ansässig“. Es wäre die Aufgabe auch der Redaktionsgruppe unter der Leitung von Dr. Peter Michel gewesen, auf einen aktuellen Informationswert dieses Lexikons Wert zu legen. Es erscheint mir problematisch, eine ganze Reihe von Werken eines Künstler zu nennen, ohne deren Standorte hinzuzufügen.
Nur höchst zufällig scheinen in den letzten Jahren Verstorbene bekannt geworden zu sein. Nicht notiert sind Wolfgang E. Biedermann, Erika Bläser, Rudi Ebeling, Wolfgang Geisler, Ingrid Goltzsche-Schwarz, Paul Gruson, Hertha von Guttenberg, Jürgen Haufe, Reinhardt Heinrich, Renate Herfurth, Hainer Hill, Gerhard Hillich, Veit Hofmann, Joseph W. Huber, Margit Illyes, Renate Jessel, Dietrich Kaufmann, Werner Kilz, Mareile Kitzel-Grimm, Erika Klein, Horst Leifer, Roger Melis, Ingeborg Meyer-Rey, Alfred Traugott Mörstedt, Ursula Molnár-Höing, Kurt Mühlenhaupt, Willi Neubert, Heinz Olbrich, Klaus Poche, Erika Pölkow, Norbert Pohl, Sieghard Pohl, Friederike Pondelik, Doris Pollatschek-Jeitner, Gerhard Rappus, Eva Johanna Rubin, Franz Schütt, Helena Scigala, Renate Schamal, Waltraud Servais, Paul Sinkwitz, Klaus Sobolewski, Margarete Stock, Peter Sylvester, Gerhard Tag, Heinz Tetzner, Dieter Tucholke, Oswin Volkamer, Hans-Joachim Walch und Rolf Winkler. Herbert Bergmann-Hannak ist nicht 1990 gestorben, er lebt und arbeitet in Berlin-Pankow. Nachzutragen für das Jahr 2010 wären der Tod von Wolfgang Frankenstein, Peter Hoppe Jürgen Pansow und Ulli Wittich-Großkurth, Jena, die unter den Konsultanten für das Lexikon genannt ist und deren Doppeldeckeldose 1986 auf dem von Prof. Rudolf Grüttner gestalteten Umschlag unter den 15 abgebildeten Kunstwerken zu finden ist. Die Vornamen von Kreuzberg und Shaw, richtig geschrieben, lauten Carin und Elizabeth. Carnap, Christa ist die geborene Carnap, Christa von, die als Grzimek, Christa und als Cremer, Christa bekannter sein dürfte und anlässlich ihres 80. Geburtstages bei Gerhard Wolf in Pankow eine Ausstellung hatte. Sabine Noll ist identisch mit Sabine Kahane-Noll, einer Tochter von Gertrud Klemke-Stremlau und Werner Klemke. Weiter: Heißen muss es statt Bewersdorf, Ulrich richtig Bewersdorff, Ulrich. Elisabeth Holz-Averdungen gibt es nicht. Es muss heißen: Elisabeth Holz-Averdung. Ihren zweiten Namen hat sie von Joe Averdung, ihrem ersten Mann, der im Lexikon aufgrund von „Ausgebürgert“ enthalten ist. Harmoss, Martin ist ebenso falsch wie Kistner, Bernd und Speerschneider, Hans. Die Künstler heißen, wie ebenfalls bei Pätzke aufgeführt: Harnoss, Martin, Kistner, Bert und Sperschneider, Hans. Richter und Rubin schreiben ihre Vornamen Hans Theo und Eva Johanna ohne Bindestrich.
Das Lexikon der Kunst, das im Seemann Verlag erschienen ist, ist im Abkürzungsverzeichnis unzureichend angegeben. Das Lexikon ist von ursprünglich vier vorgesehenen auf fünf Bände gewachsen, jedoch zwischen 1987 und 1994 auf sieben Bände gekommen, womit es auch im Oktober 1996 bei dtv herauskam und bei E.A. Seemann in einer zweiten unveränderten Auflage 2004 erschien, die man daraufhin mit einer bibliophilen Ausgabe meinte krönen zu müssen. In der Literatur zum Beispiel zu Paris, Ronald muss es statt LdK: Bd. III, Bd. V heißen. Auch Lothar Langs “Malerei und Graphik in der DDR (1945–1983)” wird leider nicht in der 2. durchgesehenen maßgeblichen Auflage 1986 (Reclams Universal-Bibliothek Band 955) gekannt, die Anfang 1987 vorlag.
Gewiss wird das Lexikon Künstler in der DDR gerne vielfach als schnelle Informationsquelle genutzt werden. Die Benutzer werden erstaunt sein, auch kaum bekannten Namen zu begegnen. Doch besonders nach vielen älteren Künstlerinnen und Künstlern sucht man vergeblich. Der Zwiespalt zwischen einem Lexikon, das 1989/90 weitgehend angelegt war und einer weit späteren, wohl zu schnell angefertigten Ergänzung und Erweiterung, ist spürbar. Ein insgesamt ausgewogeneres und stichhaltiges Lexikon Künstler in der DDR, wenn es auch zwei Bände umfasst hätte, wäre dankbar aufgenommen worden.
Dietmar Eisold: Lexikon Künstler in der DDR. Ein Projekt der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V. (gefördert durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin), Verlag neues leben, Berlin 2010, 39,90 Euro.
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