20. Jahrgang | Nummer 19 | 11. September 2017

Schöpfers Rundflug

von Heinz W. Konrad

Hat es der Herr nach der erfolglosen Menschheitsläuterung durch die bibelbekannte Sintflut auch schon lange aufgegeben, auf eine gedeihliche Weiterentwicklung des „vernunftbegabten“ Teils seiner Schöpfung zu hoffen, so macht er doch von Zeit zu Zeit einen Rundflug, um sich über den Stand der menschlichen Dinge auf dem Laufenden zu halten.
Als er einen solchen dieser Tage antritt, fällt ihm am Moskauer Moskwa-Ufer ein Mann auf, der dort herzzerreißend schluchzt. „Aber Wladimir“, lässt ihn sein mitfühlend Herz fragen, „was macht dich denn derart traurig?“
„Ach Herr“, weint Wladimir Putin, denn um keinen anderen als diesen handelt es sich, „keiner außerhalb Mütterchen Russlands mag mich, nur weil ich die Krim heim ins Reich geholt habe. Dabei bin ich lieb, so gut ich kann, und verzichte sogar darauf, den einst vom Zaren formfehlerbehafteten Verkauf Alaskas an die Amis zu reklamieren. Was soll ich denn noch tun?“
„Aber Wolodja“, umarmt der Herr ihn tröstend, So habe ich die Welt nicht gewollt, so ist sie nun aber. Hab einfach Geduld, es wird schon noch werden, ich versprech’s dir, und ich muss es schließlich wissen.“
Dankbar schmiegt Putin seine nasse Wange an die trockene des Gottes und winkt ihm nach, als dieser gen Polen abhebt.
Aber ach, auch an der Weichsel bietet sich ein gleiches Bild. Jarosław Kaczyńskis Nase tropft bereits ebenso wie seine Augen dies sturzbachartig tun. Des Herrn Nachfrage erhält zur Antwort, dass die Welt, und sogar etliche Polen (!) ihn nicht mögen und ihm unterstellen, er wolle das Land in eine Autokratie ausgerechnet nach dem Vorbild des verhassten Russlands verwandeln. Und das ihm!, der lediglich auf eine gerechte Aufklärung der wahren Umstände des Todes seines Bruders Lech dringt und zudem die polnische Justiz veranlasst hat, dem Verdacht zu folgen, dass bereits Nikolaus Kopernikus, Henryk Sienkiewicz, Papst Wojtyła und wer weiß noch von russischen Geheimdiensten umgebracht worden sind.
Auch hier spendet der Schöpfer Trost. „Irgendwann, mein Lieber, wird sich die Wahrheit durchsetzen, denn, so kann ich dir allwissend bestätigen, trotz deiner ist Polen nicht verloren.“
Spricht’s und fliegt weiter, diesmal Richtung Kleinasien, wo Recep Tayyip Erdogan flennt. „Bloß weil ich als Einziger, der weiß, wo’s langgeht, hier der Bestimmer bin, nennt man mich einen Diktator. Wie gemein!“, stößt der wie immer tadellos frisierte Recep hervor. „Dabei habe ich für mein Volk Dinge geleistet, die mir erst mal einer nachmachen soll. Zum Beispiel die Errichtung des größten Flughafens der Welt in einer Bauzeit, die nur ein Zwölftel jener des kleinen Feldflughafens von Berlin beträgt. Aber nein – angeblich unterdrücke ich die Opposition. Dass ich nicht lache…“
Der Schöpfer, durch sein empathisches Naturell selbst nah am Wasser gebaut, nimmt auch Recep in den Arm. „Keine Sorge“, motiviert er ihn zum Anflug eines Lächelns, „das wird schon. Gehören dir erst mal Syrien und Nordirak, fragt kein Mensch mehr nach den Petitessen deiner jetzigen Probleme. Das findet ja schließlich auch deine Frau. Inschallah, Recep!“
Einen Besuch Syriens, Ungarns, Saudi-Arabiens und Venezuelas auf ein nächstes Mal verschiebend, hält der Herr weiter Kurs gen Osten. Hier, am Ufer des gemächlich dahinfließenden Taedonggang von Pjöngjang, wimmert Kim Jong Un. Seine Begleiter haben bereits mehrere Waschkörbe verweinter Taschentüchern gesammelt, um sie für die Nachwelt aufzubewahren, falls man dieser irgendwann einmal ein solches Zeugnis der Schwäche ihres heißgeliebten Obersten Sprengkopfes wird zumuten können. „Aber Kim, Herzblatt, was trübt deine Sinne“, erkundigt sich der Herr mit geboten höflicher Zurückhaltung nach einer vorherigen Leibesvisitation durch die nordkoreanischen Leibgenossen des Allerbeliebtesten Führers. „Ich bin nachweislich der größte Politiker mindestens der Gegenwart“, stottert es aus Kim heraus, „und trotzdem machen sich alle – außer hier zu Hause natürlich – über mich lustig. Sogar über meine Frisur, dabei ist die von dem Trumpel doch viel hässlicher. Ich bin sehr, sehr enttäuscht vom Ausland, wo mir noch niemand eine demokratische Wahlzustimmung von mehr als 100 Prozent nachgemacht hat.“
„Nun ja“, beschwichtigt der Herr den drahtigen Raketenfreak, „gut Ding will halt Weile haben. Glaub mir, in absehbarer Zeit wird dir die ganze Welt zu Füßen liegen, wie jetzt bereits dein leibeigenes Volk, wirste sehen.“ Zuversicht schöpfend, trocknet Kim sich die Augen, richtet die gediegene Frisur seines Haupthaares und überreicht dem Schöpfer umgehend den „Großen Kim, Kim, Kim-Orden“ sowie eine Freifahrkarte für die Metro von Pjöngjang.
„Einer geht noch“, sagt sich der ob so vieler Negativerlebnisse bereits angegriffene Schöpfer und landet am Washingtoner Ufer des Potomac, wo er unter einem blonden Schopf den Präsidenten ausmacht. „Was zum Scheitan (der Herr klopft sich ob dieses unstatthaften Fluches selbst auf den Mund) musst du denn nun rumheulen“, frage er unwirsch. Da er – schließlich ist er Gott – aber die Antwort bereits kennt, legt der Schöpfer den Arm um ihn und weint hemmungslos mit.