20. Jahrgang | Nummer 14 | 3. Juli 2017

Film ab

von Clemens Fischer

Eugen Ruge selbst hatte seinem Roman „In Zeiten des abnehmendes Lichts“ Unverfilmbarkeit attestiert, aber Drehbuchaltmeister Wolfgang Kohlhaase dabei offenbar nicht auf dem Schirm gehabt. Und Ausnahme-Regisseur Matti Geschonneck ebenso wenig. Die beiden haben gar nicht erst versucht, die komplexe und komplizierte Struktur des Buches, das das Schicksal einer Familie von Kommunisten über drei Generationen beleuchtet, cineastisch abzubilden. Sie haben sich vielmehr auf dessen inhaltlichen Kern konzentriert: Woran die gesellschaftliche Utopie des Sozialismus scheiterte und der Staat DDR zugrunde ging beziehungsweise wie das von Parteigängern und Funktionsträgern des Systems reflektiert wurde, respektive wie weit verbreitet Scheuklappen bis zum auch deshalb zwangsläufigen Ende waren.
Die Kohlhaase/Geschonneck-Geschichte ist um solche zentralen Sätze herum gebaut wie: Wem die Kinder weglaufen (durch Republikflucht), der verliert die Zukunft. Oder: Wenn es an Brot mangelt, kann man Kartoffeln essen; aber wenn es an Ideen mangelt … Und dem alten Genossen, dem in lieblosen, stereotypen Gratulationen im ND alle fünf Jahre ein ums andere Mal ein langes Leben im Dienste der Arbeiterklasse bescheinigt wird, und dessen Feier zu seinem 90. Geburtstag im Herbst des Jahres 1989 den Handlungsrahmen des Filmes bildet, bleibt jeder Zugang zu den aktuellen Entwicklungen im Lande versperrt. Im Rückblick auf die Machtübernahme der Nazis und die damalige Lage in der KPD kann er lediglich räsonieren: „Wir waren nicht vorbereitet. Und wir sind heute wieder nicht vorbereitet.“
Die in solchen Kreisen offenbar bleierne Endzeit der DDR war nicht frei von menschlicher Tragik. So beantwortet ein augenscheinlich namhafter Historiker, der zehn Jahre in stalinschen Lagern verbringen und dort den barbarischen Tod des eigenen Bruders erleben musste, die Frage: „Und dann gingen Sie in die DDR?“ mit der Gegenfrage: „Ja, wohin denn sonst?“ und erklärt später einem leitenden Genossen, der seine Akte kennt und um seine Lagerzeit weiß, er selbst habe damit umgehen können, sein (gerade republikflüchtiger) Sohn hingegen nicht …
Dass Wolfgang Kohlhaase nicht zuletzt ein Gespür für das Komische im Tragischen hat, offenbart nicht zuletzt eine Szene, in der zwei Abgesandte einer landwirtschaftlichen Brigade, die den Namen des Jubilars trägt, diesem sowie seinen Gästen berichten, woran man zurzeit arbeite: Man wolle einer französischen Käsesorte, dem Brie, „im Brandenburgischen eine neue Heimat geben“ – bei verkürzter Reifezeit, doch ohne Qualitätseinbuße; das Ziel sei, kurz gesagt: „Ostkäse, der wie Westkäse schmeckt.“
Dem Film gebührt aus Sicht des Kritikers ohne Abstriche das Prädikat „besonders wertvoll“. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen sollte ihn künftig einmal im Jahr zeigen. Um 20:15 Uhr. Und am besten immer zum gleichen Datum. Der 7. Oktober wäre dafür genau richtig.

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Wahrscheinlich haben die beim hiesigen Verleih überlegt, wie sie möglichst viele Zuschauer in „The Beautiful Fantastic“ locken und verfielen auf einen doppelten Trick: Sie erfanden den (höchst zutreffenden) deutschen Titel „Der wunderbare Garten der Bella Brown“ und ließen ein Plakat entwerfen, dem auf den ersten Blick anzusehen ist, was die jetzige Hauptdarstellerin, Jessica Brown Findlay, und die damalige, Audrey Tautou, mindestens gemeinsam haben – die Frisur und den träumerischen Blick. Dass den jetzigen Streifen mit dem seinerzeitigen Publikumsrenner „Die fabelhafte Welt der Amélie“ ansonsten nur noch das Genre, romantisches Filmmärchen, verbindet, merkt der Zuschauer ja erst im Kino. Und wird nicht enttäuscht sein, denn was Drehbuchautor und Regisseur Simon Aboud da aufs solches längst nicht mehr seiende Zelluloid gebannt hat, entlässt ihn nach reichlich anderthalb so beschwingt aus seinem Lichtspielhaus, dass er, sollte er es nicht längst wissen, erahnen dürfte, warum Hollywood einst Traumfabrik genannt wurde. Hier für die cineastischen Puristen der Einschub: Hollywood als Metapher, denn hauptsächlich kommt der Streifen überwiegend aus GB.
Tom Wilkinson ist gerade erst im vorangegangenen „Film ab“ wegen seiner herausragenden Darstellungskunst erwähnt worden. Das muss hier wiederholt werden. Er gibt den Nachbarn der Bella Brown, einen an den Menschen ermüdeten, ebenso griesgrämigen wie dünkelhaften alten Grantler mit verschüttetem guten Kern, der im Laufe der Handlung frei gelegt und zu einem wesentlichen Element des Happy Endings wird. Und Wilkinson gibt ihn auf eine Art und Weise, die den Vergleich mit dem Maßstab für solchen Typus und solche Wandlung keineswegs scheuen muss – mit Sir Alec Guinness in „Der kleine Lord“
„Der wunderbare Garten der Bella Brown“, Regie: Simon Aboud. Derzeit in den Kinos.