20. Jahrgang | Nummer 10 | 8. Mai 2017

Anmerkungen zur AfD

von Erhard Crome

Die „Alternative für Deutschland“ hat in Köln am 22. und 23. April ihren Wahlparteitag veranstaltet und als ihre Spitzenkandidaten Alice Weidel und Alexander Gauland gewählt. Bei der sogenannten Sonntagsfrage („Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre …“) liegt sie derzeit bei neun bis zehn Prozent, als stärkste der vier „kleinen“ Parteien oder mit der Linken gleichauf. Neben beiden kämmen nach den Umfragen auch die Grünen und die FDP wieder in den Bundestag.
Etliche Beobachter vermögen zwischen rechtsextrem, rechtspopulistisch und konservativ nicht zu unterscheiden und streben danach, der Partei eine rechtsextremistische Schelle umzuhängen. Die Etikettierung mit falschen Aufschriften erleichtert aber nur scheinbar die politische Auseinandersetzung. Schon wenn wir auf die Spitzenkandidaten schauen, wird das deutlich.
Alexander Gauland wurde 1941 in Chemnitz geboren. Sein Vater war Polizeioberst, der vom Nazi-Regime zwangspensioniert wurde. In Karl-Marx-Stadt (nach 1990 wieder Chemnitz) machte er 1959 Abitur und verließ dann die DDR in Richtung BRD. In Marburg und Gießen studierte er Geschichte, Politikwissenschaft und Rechtswissenschaften, 1970 wurde er mit einer völkerrechtlichen Arbeit zum Thema „Das Legitimitätsprinzip in der Staatenpraxis seit dem Wiener Kongress“ zum Dr. jur. promoviert. 1966 legte er in Hessen die erste und 1971 die zweite juristische Staatsprüfung ab. Während des Studiums engagierte er sich politisch im Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), der der Christdemokratie zugehörigen Studentenorganisation. Nach der Promotion arbeitete er für das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, war Presseattaché am Generalkonsulat der BRD in Edinburgh und schließlich Mitarbeiter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Dort lernte er Walter Wallmann kennen, damals stellvertretender Fraktionsvorsitzender, allgemein als Gaulands „Mentor“ bezeichnet. Als Wallmann Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion wurde, machte er Gauland zu seinem persönlichen Referenten. Bei den Kommunalwahlen in Hessen 1977 gewann die CDU überraschend das Amt des Frankfurter Oberbürgermeisters, das Wallmann übernahm. Gauland folgte ihm in den Römer als Büroleiter und Redenschreiber. Als Wallmann dann 1986 in der damaligen Kohl-Regierung zum ersten Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wurde, folgte ihm Gauland nach Bonn. Nachdem die CDU dann 1987 erstmals in der Nachkriegsgeschichte die Landtagswahl gewonnen hatte und mit Wallmann den Hessischen Ministerpräsidenten stellte, wurde Gauland dort Staatssekretär und Chef der Hessischen Staatskanzlei. In der Autobiographie Wallmanns heißt es über Gauland, er sei „außergewöhnlich gebildet, keineswegs immer den Erfordernissen politischer Taktik aufgeschlossen, an allen Fragen interessiert und vor allem ein Mann, der Loyalität mit dem Mut zum Widerspruch in der Sache zu verbinden wusste“. Er sei ein „wichtiger Ratgeber“ gewesen.
Nach Wende und deutscher Vereinigung ging Alexander Gauland wieder in den Osten und war 1991 bis 2005 Generalbevollmächtigter der Märkischen Verlags- und Druck-Gesellschaft, die zur FAZ-Verlagsgruppe gehört, und so Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) in Potsdam.
Parallel zu seiner jeweiligen Haupttätigkeit arbeitete er als Buchautor und Publizist. 1989 erschien im Suhrkamp Verlag eine historische Arbeit zum Thema: „Gemeine und Lords. Porträt einer politischen Klasse“, die überwiegend als Lobpreisung des britischen Gentlemen und Romantisierung des Königreichs angesehen wurde. Das Thema wurde im Jahre 2000 mit einem Band über das Haus Windsor fortgesetzt. 1991 publizierte er bei Eichborn die Streitschrift „Was ist Konservatismus?“ und 2002 seine „Anleitung zum Konservativsein“. Über Helmut Kohl veröffentlichte er 1994 ein Buch, in dem er diesen als den „ersten klassischen Berufspolitiker ohne Wurzeln in einem anderen gesellschaftlichen Milieu“ bezeichnete, einen Vertreter der Bonner Republik, der „durch eigenes Verdienst und glückliche Umstände“ zu einer historischen Figur wurde. Weitere Bücher befassten sich mit der deutschen Geschichte und Fürst Eulenburg (2010), den er als „konservative Alternative zur imperialen Weltpolitik Wilhelm II.“ darstellte. Nach Beendigung seiner Tätigkeit für die MAZ publizierte er in unterschiedlichen Zeitungen und Zeitschriften, so im Berliner Tagesspiegel, in der FAZ, der Welt, der Zeit, in der Frankfurter Rundschau, der TAZ und in der konservativen Monatszeitschrift Cicero. Die bezeichnet ihn als „einen der renommiertesten konservativen Publizisten Deutschlands“.
Verschiedene Autoren mühten sich, Gaulands Weg zur AfD nach 40 Jahren CDU-Mitgliedschaft verstehend zu beschreiben, und verweisen auf mehrere Faktoren: sein konservatives Gesellschaftsverständnis, ein „Unbehagen an der Moderne“, seine Kritik, dass schon bei Helmut Kohl das Reden von der „geistig-moralischen Wende“ nur Leerformel gewesen und nicht zu Politik geworden sei. So sei das „konservative Profil“ der CDU verschwunden. Die „Sozialdemokratisierung“ der CDU unter Angela Merkel habe zwar zu anhaltenden Wahlerfolgen geführt, aber eine bürgerliche Partei müsse zugleich konservativ sein und ein soziales Profil haben. Die Diskrepanz zwischen Eliten und der Gesellschaft unterhöhle auf Dauer die Demokratie. Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche und die Globalisierung würden zu einer zunehmenden Abstraktion der Lebensentwürfe führen, während es die vornehmste Aufgabe der Konservativen sei, das Tempo zu verringern, den Zerfall aufzuhalten und die Globalisierung einzuhegen.
So wurde Gauland 2012/13 zum Mitbegründer und stellvertretenden Vorsitzenden der AfD, führte sie in Brandenburg in den Landtag und ist dort deren Fraktionsvorsitzender.
Eines kann man ihm auf jeden Fall nicht absprechen: Bildung, Kultur und politisches Konzept.
Wenn die auf die Christdemokratie orientierte Mainstream-Presse über die AfD und die von rechts kommenden Proteste schreibt, ist in aller Regel von Neid, Verlusten, Frust, Verunsicherung und Abstiegsängsten die Rede. Das alles trifft auf Gauland nicht zu. Er hätte ein bequemes Pensionärs-Dasein im Potsdamer Villenviertel führen können. Stattdessen startete er eine zweite politische Karriere.
Alice Weidel, die andere Spitzenkandidatin, wurde 1979 in Gütersloh geboren und lebt mit ihrer Lebenspartnerin und deren Kindern am Bodensee. Sie studierte Volks- und Betriebswirtschaftslehre, promovierte mit einem Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung und arbeitete für Goldman Sachs und Allianz Global Investors, darunter sechs Jahre in China. Auch sie braucht nicht die Politik als Beruf. Sie publizierte über den Euro und das Rentensystem in der Volksrepublik China. Der AfD trat sie 2013 in Baden-Württemberg bei, seit 2015 ist sie Mitglied des Bundesvorstandes. Eine wichtige Rolle spielte sie für das Zustandekommen des Parteiprogramms, über alle vorherigen Streitkonstellationen hinweg.
Nach dem Parteitag versuchte ein Reporter, Weidel darauf festzulegen, dass die AfD ja ohnehin nicht regieren wolle. Darauf antwortete sie, ganz im Gegenteil, es gehe darum, die Partei für 2021 regierungsfähig zu machen.
Ich hatte schon 2015 in einem Büchlein über diese Partei geschrieben und dabei unter anderem vermerkt: Die AfD ist Teil einer Umgruppierung im bürgerlichen Lager in Deutschland. 2021 hat Merkel 16 Jahre regiert, so lange wie Kohl. Die CDU hat dann Merkel und die Große Koalition satt. Und eine bürgerliche Regierung (ohne die ‚Sozen‘) wird es nicht ohne die AfD geben.