20. Jahrgang | Nummer 8 | 10. April 2017

Ein Präsident der Minderheit

von Bernhard Mankwald

Als die Niederlage der Kandidatin erst einmal feststand, wuchs ihr Vorsprung an Stimmen unaufhaltsam. Schon nach ersten Zwischenergebnissen waren auf Hillary Clinton einige hunderttausend Stimmen mehr entfallen als auf ihren Rivalen; nach endgültigen Zählungen waren es fast drei Millionen. Zu den bisher verbreiteten Gründen für Clintons Misserfolg kommt also ein weiterer: es handelte sich offensichtlich nicht um eine gleiche Wahl.
Hillary Clintons Stimmen ergaben ziemlich genau einen Anteil von 48 Prozent. Donald Trump kam bei den Urwählern dagegen nur auf 46 Prozent, die ihm aber fast 57 Prozent derjenigen Stimmen einbrachten, die wirklich zählten: bei den gerade einmal 538 „Electors“, den Wahlmännern und -frauen, die einige Wochen später die eigentliche Wahl vornahmen. Eine solche Diskrepanz zugunsten des Kandidaten der Minderheit ist sehr ungewöhnlich; beim Wahlsystem der USA genügten dafür jedoch knappe Mehrheiten in den Staaten Wisconsin, Pennsylvania und Michigan. Offensichtlich hatte Trump an manchen Orten wenige Anhänger, konnte aber in den genannten Staaten mit besonderem Glück – oder speziellem Geschick – die Wahl für sich entscheiden. Ansonsten blieb der neue Präsident deutlich hinter den Wahlergebnissen seiner republikanischen Parteifreunde im Repräsentantenhaus zurück, die fast 50 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinten.
Die Wahl galt schon vor der Abstimmung der „Electors“ als entschieden, da diese sich verpflichten, ihre Stimmen für einen bestimmten Kandidaten abzugeben. Von dieser Vorgabe waren diesmal immerhin sieben Abweichungen zu verzeichnen; so entfielen unter anderem auf den früheren Außenminister Colin Powell drei Stimmen. Unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen machte das keinen Unterschied; bei einem knapperen Ergebnis könnte in Zukunft die Wahl durch solchen Eigensinn jedoch durchaus eine unerwartete Wendung nehmen (siehe dazu meinen Beitrag im Blättchen 22/2016).
Die Amtseinführung des neuen Präsidenten war von den lebhaftesten Protesten seit der Ära Richard Nixons begleitet. Das fand aber nicht überall Verständnis; im Blättchen 4/2017 bezeichnete Bernhard Romeike die Demonstranten als „Bauern in einem gnadenlosen Machtspiel innerhalb der herrschenden Klasse der USA“. Mich erinnert diese Formulierung an Bob Dylans Song „Only a Pawn in Their Game“ – aber der „Bauer“, den der Dichter dort besang, war ein rassistischer Mörder.
Der Autor berichtete über Pläne zu einem Staatsstreich – in einem „Land, in dem es seit George Washington keinen Militärputsch gegeben hat.“ Allerdings war der Befehlshaber des Unabhängigkeitskriegs – anders als später anderen Orts etwa die Bonapartes oder Lenin – putschistischer Neigungen auch gänzlich unverdächtig. Nach dem Krieg legte er vielmehr sein Amt nieder, wurde später zum ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt, führte dieses Amt im Einklang mit der Verfassung – und begründete überdies die Regel, nach zwei Amtsperioden keine weitere Neuwahl anzustreben, die seit 1951 als Verfassungszusatzartikel XXII auch gesetzlich verbindlich ist.
Dienach wie vor geltende Gründungsverfassung er USA beruht auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Dies musste inzwischen auch Trump erfahren: seine Einreiseverbote wurden von Bundesgerichten umgehend wieder aufgehoben, die Abstimmung im Repräsentantenhaus zur Abschaffung der unter Obama eingeführten gesetzlichen Krankenversicherung mangels Mehrheit abgesagt.
Für den Fall, dass ein Präsident versucht, dieses Verfassungsprinzip zu unterlaufen, kann ein Verfahren zur Amtsenthebung (Impeachment) angestrengt werden. Bisher wurden die Präsidenten Andrew Johnson im Jahr 1868 und Bill Clinton im Jahr 1999 wegen entsprechender Vorwürfe durch das Repräsentantenhaus angeklagt. In beiden Fällen fand sich im Senat nicht die erforderliche Mehrheit, um sie abzusetzen. Der bereits erwähnte Richard Nixon dagegen wartete 1974 die förmliche Anklage nicht erst ab, sondern trat zurück, um eine Amtsenthebung zu vermeiden.
Im Wahlkampf 1972 waren es noch echte Einbrecher, die versuchten, an die Geheimnisse der „Demokraten“ heranzukommen – und sie stammten nicht aus fernen Ländern, sondern aus der zwielichtigen Szene der US-amerikanischen Geheimdienste. Mitarbeiter des Präsidenten gerieten wegen ihrer Rolle bei den Vorgängen unter Druck und belasteten am Ende auch Nixon. Die finalen Beweismittel lagen derweil in den Archiven in Form von Tonbandaufnahmen, die Nixon selbst hatte anfertigen lassen.
Ein Präsident der Vereinigten Staaten hat also neugierige Sonderermittler eher zu fürchten als ehrgeizige Putsch-Generäle. Konkrete Vorwürfe irgendeiner Form von Machtmissbrauch gibt es gegen Trump bisher nicht; allerdings sind seine undurchsichtigen Privatgeschäfte vielleicht noch für Überraschungen gut. Die Mehrheit der Republikaner in beiden Häusern des Kongresses macht das beschriebene Verfahren für den Augenblick aber außerordentlich unwahrscheinlich. Trump hat also noch Zeit, um bei den zuständigen Gremien um Unterstützung für seine Pläne zu werben; die nächste Kongresswahl findet erst im November des kommenden Jahres statt.