19. Jahrgang | Nummer 11 | 23. Mai 2016

Wieder am Pfaffenteich und an der Neiße

von Frank Burkhard

Auch, wenn sie zeitlich auseinandergerückt sind, überschneiden sich zwei Filmfestivals im Mai nach wie vor inhaltlich. Das Schweriner Filmkunstfest hat als Wettbewerb des unabhängigen deutschen Spielfilms vor 25 Jahren begonnen und zeigt jetzt in einer Vielzahl von Nebenreihen zusätzlich Kurz- und Dokumentarfilme, sehenswerte Streifen auch aus anderen Ländern, wobei ein gewisser Schwerpunkt in Osteuropa liegt und auch die DEFA-Geschichte immer wieder Entdeckungen bietet.
Das Neiße-Filmfest (NFF) war eine Idee der EU-Erweiterung. Als 2004 die Grenzen zu Polen und Tschechien fielen, war es offensichtlich, dass auch der Kunstraum grenzübergreifend wirken konnte. Filmenthusiasten aus der Umgebung von Zittau gründeten in Großhennersdorf ein Filmfestival fürs Dreiländereck, und Partner in Polen und Tschechien ermöglichten ein Kennenlernen anspruchsvoller Filme der drei Länder. Auch hier ist das Festival mit vielen Nebenreihen gewachsen. Ein Stück Welt, auch übers Dreiländereck hinaus, ist zu besichtigen.
Wie die Welt in die Provinz kommen könnte, zeigte der Dokumentarfilm „Parchim International“ von Stefan Eberlein und Manuel Fenn. Er lief sowohl in Schwerin als auch in Mittelherwigsdorf beim NFF und wurde rege diskutiert. Im Schweriner Wettbewerb gewann der Streifen, der am 19. Mai seinen Kinostart hatte, den Preis als bester Dokumentarfilm. Die Jury, der unter anderen der DEFA-Dokumentarfilmer Winfried Junge angehörte, begründete den Preis so: „Überzeugend authentisch, zugleich aber auch gleichnishaft, ohne die Szene zu überhöhen, wird erlebbar, wie ein Mann von anderswo, hier ein chinesischer Unternehmer, seiner risikoreichen Idee folgt, nicht uneigennützig der Gegend in Parchim wirtschaftlich aufzuhelfen, indem er einen Großflughafen vornehmlich für den Frachtverkehr zwischen Asien und Europa zu schaffen versucht. Die Autoren dokumentieren das Projekt nicht nur mit Sympathie, sondern auch mit Skepsis, ohne sich mit Ironie zu Wort zu melden.“ Doch es gab schon Szenen, in denen sich beim „Großprojekt“ Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagten, und die zum Lachen reizten. Ein großes Verdienst der Filmemacher war, dass sie den chinesischen Investor in seiner Heimatgemeinde, einem vor Ausländern eigentlich streng abgeschirmten Gebiet, besuchten und ihm und seiner Familie menschlich sehr nahe kamen.
Ein Spielfilm wurde sowohl in Schwerin als auch beim NFF ausgezeichnet. Für „24 Wochen“ konnte Regisseurin Anne Zohra Berrached in Schwerin den Preis für die beste Regie, den Publikumspreis und den der DEFA-Stiftung entgegennehmen. Im polnischen Zgorzelec an der Neiße erhielten ihre Szenenbildner Janina Schimmelbauer und Fabian Reber einen Sonderpreis. Bei so vielen Preisen fällt es dem Kritiker schwer zu murren, aber es gab durchaus Zuschauer, denen der Plot des Films (ein Elternpaar muss sich entscheiden, ob es das Kind bekommen will, das mit dem Down-Syndrom zur Welt kommen wird) zu vorhersehbar war, die mit der gefühlvollen Musik nichts anfangen konnten und denen die Handkamera auf die Nerven ging.
Während das Schweriner Festival fast ausschließlich im dortigen Kino „Capitol“ stattfand, ist das Besondere des NFF, dass es über Spielstätten in verschiedenen Städten und Gemeinden in drei Ländern verfügt. Hauptspielort des Spielfilmwettbewerbs war das über 100-jährige Zittauer Kronenkino, aber es gab auch Nebenreihen mit großer Ausstrahlung. Im tschechischen Varnsdorf mit einer riesigen Panorama-Leinwand wurden 70-mm-Filme präsentiert – hauptsächlich aus den USA. Im Zeichen des 70. DEFA-Jubiläums wurde aber auch Horst E. Brandts Film über die antifaschistische Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack mit dem Titel „KLK an PTX – Die Rote Kapelle“ aus dem Jahr 1971 gezeigt. Der dreistündige Streifen mit Klaus Piontek, Heidemarie Wenzel und Manfred Karge hat weder an Aktualität noch an Frische eingebüßt und wirkt noch immer spannend. Auch in Schwerin liefen einige DEFA-Spielfilme, wie „Die Beunruhigung“, in denen Christine Schorn im Mittelpunkt stand, der in diesem Jahr der „Goldene Ochse“, der Ehrenpreis des Festivals, verliehen wurde.
Sowohl in Schwerin, wo es Beziehungen zu den polnischen Filmfestivals in Gdynia und Szczecin gibt, als auch an der Neiße kam man schnell auf eventuelle Veränderungen des deutsch-polnischen Verhältnisses unter der neuen, auf nationalistische Töne setzenden Regierung zu sprechen. Die deutsch-polnische Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet stand im Mittelpunkt einer Diskussion in Schwerin. Welche Auswirkungen hat die Abgrenzungspolitik der Partei PiS auf das deutsch-polnische Verhältnis? Die Diskussionsteilnehmer wiegelten ab. Noch ist vieles möglich, auch, dass in der Zusammenarbeit mit deutschen und polnischen Filmemachern gegen den einseitigen polnischen Nationalismus gewirkt werden kann.
An deutschen Nationalismus wurde man anlässlich der Verleihung der „Neiße-Fische“ in Zgorzelec erinnert. Seit 1945 ist Görlitz bekanntermaßen eine geteilte Stadt. Während viele bedeutende historische Bauten auf der deutschen Seite stehen, dominiert auf polnischer Seite das Miejski Dom Kultury das Stadtbild. Hier handelt es sich um die „Ruhmeshalle“, die Kaiser Wilhelm II. 1902 zum Gedenken an seine hohenzollernschen Vorgänger eingeweiht hatte. Der wilhelminische Prunkbau hat seit rund 70 Jahren eine andere Funktion. Junge Leute widmen sich auf verschiedene Weise der Kultur, musizieren, sehen Filme. Resümierend kann gesagt werden, dass sowohl am Schweriner Pfaffenteich als auch an der Neiße erfolgreich daran gearbeitet wird, die Welt durch Filme besser zu verstehen.