19. Jahrgang | Nummer 11 | 23. Mai 2016

Horst Peter Meyers poetische Bildwelten

von Klaus Hammer

Lustvoll setzt er auf Paradoxes und Disparates, groteske Assoziationen, betreibt mit den Titeln seiner Werke und Ausstellungen kuriose Eigenwerbung: „Die Katze jagt im Sack nach Ratten“ hieß 2006 seine Ausstellung im Thüringer Landtag Erfurt. Als „Bombergs Erbe. Späteinsiedler“ bezeichnete er sich im gleichen Jahr in der Mühlhäuser Präsentation. Er hatte einen in Mühlhausen geborenen Vorfahren für sich entdeckt und kehrte nun als ein „Späteinsiedler“ (ein spät ein siedler) an die einstige Wirkungsstätte seines als Holzbildhauer tätigen Urgroßvaters zurück. „Feind Fabrik“ war der Titel seiner Schau 2008 im Stadtmuseum Jena und „Schatten Fang“ 2010 in der Galerie der Kreissparkasse Nordhausen, während er 2012 seine Arbeiten unter „Fluchtmuster“ zusammenfasste. Etwas ratlos steht man allerdings der kryptischen Bezeichnung „OFFROT“ gegenüber, unter der der Künstler jetzt seine Arbeiten in der Galerie Packschuppen im Museumsdorf Glashütte bei Baruth zeigt. Soll das heißen: Rot und Schwarz in der Offensive? Denn mit ihnen geht hier der Maler, Grafiker und Buchkünstler HP Meyer, der auch als Schriftsteller von sich reden machte, bevorzugt um.
„Ich stehe in der Zeit, erlebe sie und leide freudvoll“, sagt Horst Peter Meyer, das Künstler-enfant terrible im klassischen Weimar, und setzt sich in Bild und Wort mit dem Ende des ideologischen Zeitalters auseinander: ausgedienter Kommunismus auf der einen Seite, sogenannte Demokratieverdrossenheit auf der anderen, Popanze in Skandale verstrickt und ausländerfeindliche Erscheinungen – das und vieles andere mehr sind seine Themen. Der spielerische Ernst, mit dem seine Zeitkritik daherkommt, springt in vielfältiger Bild-Typografie übers Papier und ins Auge. Die Lust an dieser Art anarchischem Layout, das keiner geraden Linie gehorcht, setzt groteske Wort- und Bildphantasien, verspielte, witzige, sarkastische Kommentare frei.
Ja, er ist ein Ein-Siedler, ein Außen-Seiter, der rastlos projektiert und produziert, mal hier, mal da zuschlägt, ständig neue Überraschungen und Irritationen bietet. Ebenso wie eine stringent antigesellschaftliche Haltung gehören beißende Karikatur, Zerrbilder, Verfremdungen, die Technik der Collage und das Spiel mit dem Irrealen zum virtuos gehandhabten Instrumentarium. Das vitale Element der Groteske zerstört die hohe Rede, aber damit auch die pathetische oder gespielte Untergangsverzweiflung. Der Künstler betreibt eine Art „individuelles Recycling“, zerschneidet, fragmentiert, zerreißt Medienprodukte, auch eigene ältere Produktionen – etwa das eine oder andere seiner Künstlerbücher – und fügt sie zu neuen Bildfindungen zusammen. Seine Arbeiten tragen Titel, die aufhorchen lassen: „In Heiterkeit der Seele Glut“ (2003) lässt uns in das Chaos menschlicher Befindlichkeit blicken, „Flügel Schlag in Glut verhalten“ (2006) verweist auf den Widerspruch zwischen Beharrung und Veränderung und „Umschwebt von Genien vergehen Gedanken allein“ (2006, alle Arbeiten in Mischtechnik) macht den alleinigen Anspruch auf Geist lächerlich.
Wie das Leben und die Lebensformen für HP Meyer Rohmaterial sind und deshalb die Sequenzierung des Bildraumes zulassen, wird die erstarrte und verfestigte Welt aufgebrochen und neu montiert. Die Verbindung der Bruchstücke erzeugt mitunter einen Gegensinn, eine ironische Befreiung der Wörter wie der Dinge. „auf biegen folgt brechen, auf hauen ein stechen. kopf oder bezahl. stets ist der künstling günstling auch und kommt als bunter vogel frei zur nächsten runde. den holt dann nachts der katz und stopft ihn aus. ist wahrheit denn versoffen, weil sie im wein liegt nur allein? – fragen kostet höchstens die karriere, einzig das würm ist sicher auf dem holzweg unterwegs“, heißt es in dem Künstlerbuch „ELLER KELLER APOLLON“ von 2001.Der Künstler macht Collagen – Klebebilder aus Papier –, und zwar nur „wie von ungefähr“, indem er den „Gesetzen des Zufalls“ (Hans Arp) folgt. Sie alle sind von einer seltsamen Schönheit, denn er hat, wenn er die Sphäre des Bewusstseins verlässt, ein magisches Reich betreten.
Ein starkes Gefüge von Umrisslinien trägt, ohne sie einzuschließen, Flächen in freien Farben von höchster Leuchtkraft. Farblinien, die sich in drehende, wirbelnde Einzelwesen verwandeln, schwingende Formen, schwere Balken, stachelige Bahnen, ins Riesenhafte projizierte schwarze Formeln und Bildzeichen tragen Bewegung und Gefühlsbewegung, beide vereinigt und sichtbar gemacht. Die Spannungen und rhythmischen Akzente bringen ideogrammatische Formungen hervor. Das Erlebnis der Welt wird in dunkelkurvigen Konstruktionen formuliert, hinter denen farbige Akzente aufleuchten. Ein kontrastives Schwarz und Rot, oft auf durchscheinend weißem Grund, „Rotschock“ und „Schwarzmalereien“, sind für HP Meyer in den letzten Jahren charakteristisch geworden.
Seine Figurationen entsteigen Ungeformtem, sie sind nur noch Gekritzel oder schemenhafte Umrisse, fast zufällige Schattenbilder, kaum mehr zu erkennen. Das Menschzeichen wird anonym und tritt zurück in die Materie seiner Herkunft. Die Notwendigkeit, Psychisch-Physiognomisches allein durch die Ausdruckskraft von Linie und Farbe zu geben, ließ HP Meyer auf die Kunst der Primitiven zurückgreifen, deren formale Raffung und strichhafte Isolierung er gleichermaßen übernahm wie konterte. Weil HP Meyer nach Vereinfachung und zugleich Verdichtung und Verfremdung strebt, nimmt die Realität für ihn physiognomische Züge an.
Schon früh hat er die Neigung des Menschen, Gesichter in allerhand Figurationen hineinzusehen, zu Gebilden der eigenen spielerischen Phantasie genutzt. Er zeichnet, überzeichnet, malt im freien Fluss der Gedanken, zerschneidet eigene Fehldrucke, beklebt und bemalt sie und bindet sie zu „Künstlerbüchern“ zusammen. Angereichert mit neuen Motiven, verändert und variiert, in einer bestimmten thematischen Folge, bieten sie ihm als minutiöses Destillat der latenten Wirklichkeitszwänge immer wieder neue Anregungen für die eigene Grafik und Malerei.
HP Meyer hat Themen der Literatur, vor allem der Weimarer Klassik aufgegriffen und paraphrasiert. Hervorzuheben seine großformatigen Blätter zu Christoph Martin Wieland, jenem sprach- und formgewandten Schöngeist des klassischen Weimar, der sich sowohl rokokohaft-graziös als auch spielerisch-ironisch zu artikulieren vermochte. Entgegen der sprachlichen Verklausulierung seines Ahnherrn sucht HP Meyer aber in seinen Kaltnadelradierungen nach sowohl symbolhaften wie surrealen Ausdrucksformen, die das absichtsfreie Spiel des Gedankens und das Assoziationsvermögen herausfordern. So baut er aus Linienbündeln, Figurenchiffren, Zeichensymbolen Meditationsobjekte, die aus einer Synthese zwischen der äußeren Wirklichkeit und den Impulsen, mit denen das Unterbewusstsein darauf reagiert, bestehen. Denkend schauen und sich eines vergessenen Zeichenvorrats erinnernd – darin liegt eine Herausforderung unseres Erinnerungsvermögens. Gegen seine tagtägliche, lautlose Zerstörung malt, zeichnet, druckt HP Meyer seine Botschaften: „vom ich zum wir und zurück. es blinkt ein einsam segel. war nie das volk und bin nicht papst. ein spät ein siedler“.

Horst Peter Meyer – OFFROT. Blätter, Bilder, Bücher. Galerie Packschuppen, Hüttenweg 19, OT Glashütte, 15837 Baruth, Di – So 11 – 17 Uhr, bis 22. Juni.