19. Jahrgang | Nummer 2 | 18. Januar 2016

Im Anti-Museum

von Angelika Leitzke

Seit seiner Geburt steht es unter schlechtem Stern, und wer es heute sucht, wandere über Stock und Stein zum Berliner Frustgarten der Moderne. Bei seiner Gründung war ihm allerdings ein anderer Ort beschieden: einige Räume in einem Etablissement, das der Darbietung von Reisebildern wie dem Verkauf von Kunst, Mode und allerlei Schnickschnack diente. 1850 schloss das „Gropius-Diorama“, 1868 zog in dem noch übrig gebliebenen „Schuppen aus Fachwerk, Bretter, Pappe und Lehm“ unser Anti-Museum ein, das seine Entstehung englischen Beziehungen und deutschem Geschäftsgeist verdankt: anhand einer kunstgewerblichen Lehrsammlung sollten dem hiesigen Handwerk stilgerechte Vorbilder jenseits seelenloser neuzeitlicher Industrieproduktion an die Hand gegeben werden, um endlich die Marke „Made in Germany“ einzuführen.
Das Diorama-Haus musste dem Bau der Stadtbahn weichen und unser Anti-Museum in ehemalige Gebäude der Porzellanmanufaktur umziehen. 1881 landete es schließlich im Eigenheim, das ein Spross der Gropius-Familie entworfen hatte. Klaus Wowereit wäre begeistert gewesen, denn die Bauzeit von vier Jahren war relativ kurz, gemessen am derzeitigen Sanierungsprozess der Staatsoper Unter den Linden. Doch rasch sollte eine angemessene Bleibe installiert werden für gut 6.500 Exponate aus der Brandenburg-preußischen Kunstkammer und das inzwischen erworbene Lüneburger Ratssilber, das übrigens vor dem Ausverkauf ins Ausland gerettet wurde – eine Tat, die wiederum Monika Grütters beklatscht hätte.
Im Zeichen des Demokratischen Frühlings nach 1918 wurde unser Anti-Museum ins Berliner Stadtschloss verlegt, wo sich jeder gute Staatsbürger alle Schätze, nun vereint mit kaiserlichem Mobiliar, genau ansehen konnte. Leider ließ der Zweite Weltkrieg das Schloss zur Ruine werden und verstreute das schöne Kunstgewerbe zunächst in alle vier Winde. Auch die Nachkriegszeit ließ sich nicht gut an – immerhin erblickte das, was die westlichen Besatzer noch finden konnten, nun im Schloss Charlottenburg erneut das Licht der Welt, das aber nicht allzu lange leuchtete. Dann aber wurde es richtig finster um unser Anti-Museum, für das ein Architekt einen Neubau ersann, an dem schließlich so viel herumgetüftelt wurde, bis er 1985 als Schuhkarton eröffnet wurde – am besagten Frustgarten.
Unlängst wurde dieses städtebauliche Unglück von einem Berliner Architekturbüro umgestaltet. Dieselbe Firma zeichnet sich auch durch den erst Anfang 2013 eröffneten Erweiterungsbau des Museums Berggruen in Berlin-Charlottenburg aus, der alsbald wieder geschlossen werden musste – durch Feuchtigkeit sei das Dach großflächig von Schimmel befallen. Offensichtlich ist dieses Team überfordert, doch kann man ihm zugutehalten, dass man einen verschachtelten Schuhkarton mit martialischer Betonfassade bei wachsender Inflation binnen drei Jahren nicht in einen Martin-Gropius-Bau verwandeln kann, auf den der Slogan trifft: quadratisch, praktisch, gut. Der Schmuck an der echten Ziegel-Fassade im Neorenaissance-Stil verweist sogar noch auf die verschiedenen Zweige des Kunstgewerbes, und im Inneren kann sich der Besucher an dekorativen Wandmalereien ergötzen, wenn ihn die Ausstellung langweilt. Solide Wertarbeit made in Germany also bei Martin Gropius und seinem Compagnon, deren Meisterstück im Zweiten Weltkrieg ebenfalls zur Ruine zerstört, dann aber wieder aufgebaut wurde. Ein Münchner Architekturbüro restaurierte das Haus der Berliner Stararchitekten von damals erneut, auf dass es noch schöner und besser ward – die Besucherschlangen sprechen für sich: knapp drei Stunden Wartezeit gab es 2010 für die Frida Kahlo-Schau.
Der Umbau des Anti-Museums belief sich auf knapp 4,5 Millionen Euro, doch weiß man nicht so recht, wo sie hingeflossen sind: offensichtlich in einen architektonischen Minimalismus einer postmartialischen Moderne, der lediglich kalten Kartoffelbrei lau aufzuwärmen vermag. Gähnende Öde erschlägt den Besucher innen wie außen. Die meiste Sorgfalt wurde auf eine neue Modegalerie verwendet, durch die man sich im Dämmer von 50-Lux-Birnen mühsam den Weg zwischen den Schaufenstern ertastet. Nicht nur die Roben von Dior und Poiret, sondern auch der 99-Tage-Kaiserin Victoria würden sich bedanken, auf einem solchen Kleider-Friedhof begraben zu liegen.
Im Foyer sucht man vergeblich nach Sitzgelegenheiten, die spärlich vorhandenen Schließfächer für die Garderobe werden durch einen Spiegel an der Wand vervielfältigt, was Nicht-Insidern eine Beule am Kopf kostet. Das Doppelbild kaschiert, dass das Museum an einem Mangel an Besuchern wie an praktischem Verstand krankt. Auf ein Café muss der Kunstfreund verzichten, dafür wartet das Treppenhaus mit monumentaler Scheußlichkeit auf, die auch die Wandbemalung akzentuiert: bloß erinnert sie mehr an das Rote Kreuz als an ein Museum.
Die moderne Designabteilung im Untergeschoss erzeugt dagegen Reminiszenzen an ein bekanntes schwedisches Möbelhaus, dessen historische Variante in der oberen Etage und im Erdgeschoss durchgespielt wird, wo die Präsentation jener Schätze erfolgt, für die das Museum heute noch weltweit berühmt ist: von persischen Fliesen, japanischer Malerei, venezianischen Gläsern über Delfter Fayencen bis zur Berliner Prunkkutsche, von spätmittelalterlichen Tragaltärchen, Zunftkannen, Ornamentstichen, Ledertapeten über barocke Kabinettsschränke, Meißner Porzellan, Roentgen-Möbel bis zu Lalique-Broschen, Gallé-Vasen oder dem Sottsass-Anti-Schrank hat das Berliner Kunstgewerbemuseum eigentlich allerhand zu bieten. Bloß ist davon am Frustgarten nicht viel zu sehen. Zur Schau gestellt hier wird das Werk der Umbauarchitekten.
Ein Kabinett ist einem Schreibambiente des Jugendstilfürsten Henry van de Velde gewidmet, der um 1900 die erste moderne Galerie Deutschlands, Paul Cassirers Kunstsalon im Berliner Tiergartenviertel, ausstaffierte: weder von ihm noch von Martin Gropius, der sich Schinkel zum Vorbild nahm, haben die Berliner Umgestalter etwas gelernt. Der erste Direktor der Kunstgewerbemuseums, Julius Lessing, hatte schon 1900 prophezeit, dass nicht nur die historische Architektur dem Verfall anheimfiele, sondern auch in Bälde Kunstgewerbemuseen überflüssig wären. Der gute Mann hatte wohl recht, betrachtet man die Variante am Frustgarten. Ihr Inhalt wird zur Weihnachtszeit ohnehin durch die Christmas-Show im KaDeWe abgelöst. Danach kann man nur hoffen, dass die nächste Umgestaltung unseres Anti-Museums in nicht allzu weiter Ferne liegt. Im besten Fall hieße sie: das Ganze einfach abreißen.