18. Jahrgang | Nummer 2 | 19. Januar 2015

Justitias Gleichmacherei

von Günter Hayn

Dem fränkischen Würstelfabrikanten Uli Hoeneß konnte die bayerische Justiz vor wenigen Monaten hinterzogene Steuern in Höhe von 28,5 Millionen Euro nachweisen. Es ging nicht anders. Der Täter war volljährig, und so richtig runterrechnen ließ sich die Summe auch nicht. Am 13. März 2014 waren drei Jahre und sechs Monate Haft fällig. Die zur Bewährung auszusetzen ging leider aufgrund der geltenden Gesetzeslage nicht. Hoeneß musste am 2. Juni in den so gar nicht schicken Landsberger Knast einziehen. Bösewichter nahmen seinerzeit Wetten an, wie lange er in diesem Hort der schweren Jungs würde aushalten müssen – schließlich ist der ehemalige FC-Bayern-Manager im Ländchen südlich des Mains eine Institution und erfreute sich allerhöchster Gunst. Erfreute? Wir haben uns in der Zeitform vergriffen… Die Zustände in bayerischen Gefängnissen können einen Mann allerdings fertigmachen. Aber wenigstens Weihnachten und Silvester durfte sich der Delinquent im Schoße der Familie im eigenen Häusel zu Bad Wiessee am Tegernsee erholen.
Der nach dem Führer berühmteste Gefangene zu Landsberg am Lech hatte sich aber auch ausgesprochen gut geführt. Ganz fleißig habe er den Fußboden der Kleiderkammer gewischt, wusste die online-Ausgabe des Münchner Merkur zu berichten. Darüber, dass unser Uli ein gutes soziale Herz hat, sind sich alle demokratischen Presseorgane der Republik sowieso seit langem einig. Nun wissen wir es genauer: Er duldete als Kammerbulle an keinem Häftlingsbody zerschlissene Klamotten. „Typisch Hoeneß“ habe er seine „Manager-Qualitäten“ abgerufen, lobhudelte die Postille der Brav-Bürger. Genau deswegen durfte das Justiz-Opfer jetzt umziehen. Nein, noch nicht ganz an den Tegernsee, an den Ammersee. Dort genießt er als Freigänger nach harten sieben Monaten die Hafterleichterungen der JVA Rothenfeld. Während die Münchner Abendzeitung erleichtert aufatmete, dass die Haftbedingungen dort „deutlich angenehmer sind als in Landsberg“, ließ sich der Merkur durch billige kleine Zugeständnisse nicht vom harten Häftlingsschicksal ablenken: „Trotzdem sind die Fenster vergittert, und kulinarisch ist der offene Vollzug auch kein echter Fortschritt.“
Als Freigänger muss Hoeneß arbeiten. Großzügig stellte Bayern München ihm ab 2. Januar einen Arbeitsplatz als „Assistent der Abteilungsleitung Junior-Team“ zur Verfügung. Am 5. Januar hatte der Freigänger allerdings erst einmal frei. Er feierte seinen „63.“ – nein nicht in Rothenfeld, in Bad Wiessee am Tegernsee. Natürlich gibt es keinen „Promi-Bonus“, wie die Münchner tz das Bruderherz des Steuerbetrügers, Dieter Hoeneß, zitierte: „Es ist jetzt sehr schön, dass Uli Freigänger ist, aber es werden noch viele harte Monate sein, bis wieder ein normaler Zustand erreicht ist.“ Denn hinsichtlich der beruflichen Zukunft des „Bayern-Patriarchen“ – so klassifiziert ihn diese Art Presse – sei jede „Prognose unmöglich“, meint der Merkur.

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Solch unmenschliches Schicksal sorgte immerhin dafür, dass laut dpa die Selbstanzeigen von Steuerbetrügern 2014 um 60 (!) Prozent gegenüber 2013 anstiegen. Die Berliner Zeitung beschwor gar einen „Hoeneß-Effekt“. Insgesamt 38.300 potenzielle Ganoven – „potenziell“ deshalb, weil auch wir natürlich niemanden kriminellen Tuns bezichtigen wollen, der nicht rechtskräftig verurteilt wurde; die Herrschaften haben teure Anwälte… – zahlten in die Finanzkassen der Länder mindestens 1,32 Milliarden Euro ein. Das klingt gewaltig, macht im Durchschnitt aber nur mickrige 34.464,75 Euro pro Nase aus. Und wegen solcher peanuts wollen linke Sozialneider die Knäste füllen! Baden-Württembergs Finanzminister Nils Schmid (SPD) spricht daher lieber von Steuersündern. Da muss man doch Nachsicht zeigen. Immerhin führte das Ländle 2014 mit zirka 9.000 Steuerbetrügern die bundesweite Ranking-Liste an. Bayern lag „nur“ auf Platz drei (6.000 sündige Landeskinder), und ganz am Schluss – wie bei fast allen bundesweiten Vergleichen – liegt wieder mal Mecklenburg-Vorpommern. Da gaben nur 29 reuige Sünder den Betrug zu. Woran das wohl liegt?

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In Berlin gaben übrigens 1.272 Geldliebende zu, den Fiskus betrogen zu haben – mit allerdings durchschnittlich 47.169 Euro. Aber in der Hauptstadt herrschen noch Recht und Ordnung! Die lokalen Blätter berichteten dieser Tage von einem besonders konsequenten Auftreten unserer wackeren Justizorgane: Hatten sich doch die Schüler eines Abiturkurses entschlossen, ihrer Lehrerin mit einem Abschiedsgeschenk ein Dankeschön abzustatten. Leichtsinnigerweise kannten die Schüler die Ausführungsvorschrift für die Annahme von Geschenken im öffentlichen Dienst Berlins nicht. Der im Januar 2013 darin festgelegte Höchstwert betrug zehn Euro. Inzwischen wurde das verschärft: Pro Kalenderjahr und pro Überreicher dürfen Lehrerinnen und Lehrer Kugelschreiber oder Kalender im Gesamtwert von fünf Euro als „Aufmerksamkeit“ entgegennehmen.
Jedenfalls sammelten die Abiturienten. Es kamen 200 Euro zusammen – und die Lehrerin, warum auch immer, erlag den Verführungen und nahm das Präsent an. Die Gerechtigkeit hingegen nahm ihren Lauf. Der Vater eines Schülers, offenbar selbst Lehrer, reichte Strafanzeige wegen „Vorteilsnahme“ ein. Die Lehrerin entkam einer Verurteilung nur, weil das Verfahren wegen „Geringfügigkeit“ eingestellt wurde und sie eine Strafzahlung in Höhe von 4.000 (in Worten: viertausend) Euro akzeptierte. Ein kleiner Tipp an Rande: Wollen Sie als Berliner Eltern unliebsame Lehrer loswerden, so denken Sie doch einfach an den „Lehrertag“. In der DDR gab’s am 12. Juni massenweise Blumensträuße. Den Lehrertag gibt es noch, es ist jetzt der 5. Oktober. Die Sträuße können billig sein, die Kriminalitätsgrenze liegt bei zehn Euro…
Die Berliner Justiz ist eben gerecht und äußerst akkurat. Über 13 Jahre hat sie sich mit dem Fall eines ehemaligen Managers der ehemaligen Berliner Bankgesellschaft beschäftigt. Es war der Manager dieser Holding überhaupt: ihr Konstrukteur Klaus-Rüdiger Landowsky. Nebenberuflich war Landowsky CDU-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, er galt als graue Eminenz der Berliner CDU. Jedenfalls ging sein Unternehmen nicht zuletzt aufgrund von ihm zu verantwortender Immobiliengeschäfte, die mitnichten ein Geschäft für die Bank wurden, krachen (die von ihm gemanagte schwarz-rote Koalition unter Eberhard Diepgen auch). Vorm vollständigen Zusammenbruch bewahrt werden konnte das Landesinstitut nur durch eine zusätzliche Kapitalzuführung von 1,75 Milliarden Euro und eine Risikoabschirmung durch das Abgeordnetenhaus in Höhe von 21,6 Milliarden Euro. Davon mussten bis zum 31. Dezember 2012 4,499 Milliarden Euro ausgezahlt werden. Dem Landeshaushalt bescherte dies einen jahrelangen Schlingerkurs (Klaus Wowereit 2001: „Berlin muss sparen, bis es quietscht!“). Zu Jahresbeginn teilte der Tagesspiegel mit, dass das Landgericht Berlin inzwischen auch das letzte Untreue-Verfahren gegen Landowsky eingestellt habe, weil „die etwaige Schuld der Angeklagten gering wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht“. Landowsky ist damit juristisch vollständig rehabilitiert. Die dpa zitierte seinen Anwalt Cord Henrich Heinichen (den Berlin jetzt auch noch bezahlen muss): „Alle der Landowsky vorgeworfenen Pflichtverletzungen als Vorstand der Berlin Hyp hätten sich als substanzlose Unterstellungen erwiesen. Die Strafverfolgung habe das Land Millionen gekostet.“ Es sei eine rein politisch motivierte Strafverfolgung gewesen.
Nun ist in Berlin der Gerechtigkeit wieder Genüge getan worden – wenn auch erst nach sanftem Druck des Bundesverfassungsgerichtes, das kassierte 2010 eine vom Berliner Landgericht 2007 verhängte und vom Bundesgerichtshof 2008 bestätigte Bewährungsstrafe. „Damit ist der seit dem Jahr 2001 erfolgten politischen Skandalisierung der Berliner Bankenkrise, mit der die Abwahl Eberhard Diepgens als Regierender Bürgermeister begründet wurde, endgültig die Grundlage entzogen“, kommentierte dpa gegenüber ein gewisser Florian Graf. Der ist CDU-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus und fiel in der laufenden Wahlperiode eigentlich nur dadurch auf, dass auch er seinen Doktor-Titel zurückgeben musste. Ehrenmänner allerorten. Sizilianische Verhältnisse hat Berlin noch nicht. Obwohl… Bis heute gilt der Tod von Lars-Oliver Petroll, EDV-Chef des dubiosen Immobilienunternehmens AUBIS, offiziell als Selbstmord. AUBIS war eng mit der Berlin Hyp verbandelt. Die kreditierte auf großzügige Weise dubiose Immobilienankäufe der CDU-nahen AUBIS-Manager. Petroll war Kronzeuge der Ermittlungsbehörde und soll zudem einen guten Draht zum parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses gehabt haben. Im September 2001 fand man ihn erhängt im Berliner Grunewald.

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„Die kleinen Diebe hängt man, die großen lässt man laufen“, sagt der Volksmund. Nur persönlich pleite sein, das dürfen sie nicht. Dann schlägt auch Justitia erbarmungslos zu.

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