17. Jahrgang | Sonderausgabe | 15. Dezember 2014

Ein überflüssiger „Aufdecker“

von Gerhard Jaap

Der Verlag verspricht im Klappentext ein aufrüttelndes und für die Politik unbequemes Buch, das hier (neudeutsch) „Aufdecker“ genannt wird. Vor uns soll sich ein ungeschminktes Bild der Wirklichkeit der deutschen Polizei entfalten. Nun ja. Der Autor, der für die innere Sicherheit der Bild-Zeitung zuständige Redakteur, wollte als Kind sogar Polizist werden. Jetzt jedenfalls beschäftigt er sich schon seit Jahren mit der Situation der Polizei in Deutschland.
Im Kapitel „Wo stehen wir gerade?“ erfahren wir etwas über Bagatelldelikte, Fahrraddiebstähle, Überfälle und Gewalt. Und wir lesen, dass Sicherheit ein Grundrecht ist, dass das Verbrechen neue Wege geht (Waffendelikte, Internetkriminalität und Terrorismus) und dass die Polizei darauf schlecht vorbereitet sei. Die Aufklärungsquoten sinken, die Zahl der Wohnungseinbrüche nimmt zu. Zwei von drei Bürgern fühlten sich nicht mehr sicher.
„Die Polizeiarbeit aus der Innensicht“ ist das zweite Kapitel überschrieben, in dem bekannte Fakten aufgezählt werden. Denn „Polizeireformen“ haben immer nur die personelle und fachliche Lage der Verbrechensermittler verschlechtert. Stellen wurden massiv abgebaut, die Polizisten werden schlecht bezahlt, die Karrierechancen sind mau, die Technik ist veraltet, und auch die Polizisten selbst sind dramatisch überaltert. Sie seien zum Spielball der Politik geworden.
Dann wird der ziemlich verunglückte Versuch unternommen wird, die Ursachen der Gewalt zu analysieren. „Psychologen haben dafür keine eindeutige Erklärung“, lesen wir auf Seite 167. Als wenn es nur die Aufgabe von Psychologen ist… Im vierten Kapitel „Was sich ändern muss“ entwickelt der Verfasser zum Teil fragwürdige Ideen, wie man diese misslichen Zustände überwinden könne: Videoüberwachung als große Chance und uneingeschränkte Datenspeicherung. Dass die Grundrechte der Bürger dabei auf der Strecke bleiben, wird nicht erwähnt.
Insgesamt ist der „Aufdecker“ ein Konglomerat von Meinungen und Einsichten, von Autoritätsbeweisen („Eine wissenschaftliche Untersuchung des renommierten Kriminologen Christian Pfeiffer …“) und Berichten über spektakuläre Verbrechen, wobei der Autor meistens aufdringlich aus der Bild-Zeitung zitiert.
Soziale Ursachen für Kriminalität sind dem Verfasser entsprechend seines journalistischen Auftrages beim Arbeitgeber keine Zeile wert. Eine verheerende Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, zum Beispiel durch die „Experten“ Schröder und Hartz, eine gescheiterte Familien- und Kinderpolitik oder der massive Abbau von kulturellen Einrichtungen als kriminogene Faktoren tauchen erst gar nicht auf, weil das ja nach gesellschaftlichen Veränderungen riecht. Solms-Laubach erkennt nicht, dass gerade diese Situationen im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung, bei der Polizei und beim Bürger, der das Vertrauen in die Polizei immer mehr verloren hat, eigentlich politisch gewollt sind, auch wenn das in Reden immer geleugnet wird. Es geht schon lange nicht mehr um den Bürger und seine Sicherheit.
Im neuen deutschland war schon 1993(!) im Zusammenhang mit der Abwicklung der Kriminalistik an der Berliner Humboldt-Universität als Hochschuldisziplin zu lesen, dass der Bürger zum Synonym für das potenzielle Opfer werde. Die heutigen Mängel in der Vorbeugung, Untersuchung und Aufklärung von Verbrechen können unter anderem auf die Ausbildung bei der Polizei zurückgeführt werden, bei der, so scheint es, nur das Fach Einsatzlehre Bedeutung besitzt. Kriminalistische Kompetenzen sind verloren gegangen, zum Beispiel durch die sogenannte Einheitspolizeiausbildung in Brandenburg nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen, die vereinfacht ausgedrückt besagt, dass jeder Schutzpolizist auch einen Mord untersuchen und jeder Kriminalist Wache schieben kann. Man kann sich vorstellen, dass die Polizeioberen mit solch einem Personal viel flexibler umgehen können als mit intelligenten Spezialisten.
Für den Verfasser gehören Verbrechen offenbar zur Gesellschaft, nur Auswüchse sollten bekämpft werden. Und jetzt, so die Hauptaussage des Buches, müsse bei dieser überbordenden Kriminalität und dem schlechten Zustande der Polizei eingegriffen werden.
Immerhin kommt André Schulz, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BdK), zu Wort, der bei den Kriminalpolizeien der Länder einen Direkteinstieg und Lehrstühle für Kriminalistik an den Hochschulen einfordert: „Wir brauchen nicht nur Experten in den jeweiligen Fachgebieten wie Informatik, Physik und Wirtschaft, sondern Kriminalbeamte, die auch bei komplexen Lagen die richtigen Schlüsse ziehen.“
Wahrscheinlich wird aber die nächste Polizeireform, wo auch immer, nur das bestätigen, was Henning Mankell in seinem Roman „Die fünfte Frau“ beschrieben hat: „Außerdem waren immer weniger Polizeibeamte mit direkten polizeilichen Aufgaben beschäftigt. Immer mehr saßen in der Verwaltung. Immer mehr planten für immer weniger.“

Franz Solms-Laubach: Das Ende der Sicherheit. Warum die Polizei uns nicht mehr schützen kann, Droemer, München 2014, 254 Seiten, 18,00 Euro.