17. Jahrgang | Nummer 9 | 28. April 2014

Bemerkungen

Medien-Mosaik 

Tamara Trampe kam auf einem Feld an der Wolga bei Eiseskälte zur Welt. Es war Krieg, und ihre sehr junge Mutter war im Fronteinsatz. Einem Vorgesetzten hatte sie nicht Nein sagen können, und so entstand Tamara. Über die Kriegsjahre hat die Mutter nie viel erzählt. Jetzt, mit 70 und einige Jahre nach dem Tod der Mutter, sucht Tamara Trampe in der Ukraine Kampfgefährtinnen auf, um dem Ungeheuerlichen jener Zeit näher zu kommen. Die ehemalige DEFA-Filmemacherin arbeitet seit Jahren mit dem Regie-Kameramann Johann Feindt zusammen, der sie auch diesmal wieder begleitete. „Meine Mutter, ein Krieg und ich“, bei der Berlinale mit dem Heiner-Carow-Preis der DEFA-Stiftung ausgezeichnet, ist ein sperriger und doch einfühlsamer Film geworden. Die alten Herrschaften, darunter auch Tamaras Onkel, erweisen sich als skeptisch. Auch, wenn Tamara ihre Sprache spricht, so hat sie doch zu lange im „Westen“ gelebt, als daß das Eis leicht zu brechen wäre. Und natürlich gibt es Erinnerungslücken. Trampe zitiert den Satz von Gabriel Garcia Márquez: „Nicht was wir gelebt haben, ist das Leben, sondern das, was wir erinnern, und wie wir es erinnern, um davon zu erzählen.“ Trampe und Feindt gelingt es nach und nach, die Zeitzeugen aufzuschließen. Für einige wird es das letzte Mal bleiben, dass sie über diese Zeit Auskunft erteilen. „Ich werde mich bald selbst vergessen haben“, sagt eine der Feldschwestern von damals. Gut, dass es diesen Film gibt.
Meine Mutter, ein Krieg und ich“ von Tamara Trampe und Johann Feindt, seit April in ausgewählten Programmkinos, aktuell im Berliner Kino Krokodil.

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Vor 20 Jahren starb Derek Jarman nur 52jährig an AIDS. Der britische Maler und Filmemacher war ein Weltbürger, der wesentliche künstlerische Impulse von Andy Warhol und Ken Russell empfing, an dessen Filmen Jarman am Beginn seiner Laufbahn auch beteiligt war. Ähnlich wie Russell versuchte Jarman, die Grenzen des konventionellen Filmemachens auszuloten, verstieß bewusst gegen Sehgewohnheiten und provozierte Konservative. Seine Filme entstanden meist zuvor im Kopf und diese Gedanken fanden in kunstvollen Skizzenalben Eingang. „Vollgestopft mit eingeklebten und gezeichneten Bildern, Dialogfetzen, durchgestrichenen Korrekturen, den getippten Seiten seines letzten Drehbuchentwurfs, dem Filigran des hennaartigen Musters seiner braunen oder schwarzen kalligraphischen Handschrift.“ So beschreibt treffend Jarmans bevorzugte Darstellerin Tilda Swinton diese Alben im Vorwort des opulenten Bandes, der viele der schönsten Seiten aus den Skizzenbüchern vereint. Diese Blätter, die schon ein Kunstwerk an sich sind, werden von Freunden und Mitarbeitern von Derek Jarman sachkundig kommentiert. Was dem einen oder anderen fehlen mag, sind Szenenfotos aus Jarmans Filmen, von denen auch nicht alle in diesem Band befriedigend vorgestellt werden. So fehlt die legendäre Shakespeare-Adaption „The Tempest“, die von konservativen britischen Zuschauern als Sakrileg angesehen und in Moskau und Baku gefeiert wurde. Aber diese Fragen sollen wohl in anderen Publikationen aufgearbeitet werden. Jarmans Werk bietet dafür viele Ansätze.
Derek Jarman. Die Skizzenbücher, Deutscher Kunstverlag, Berlin und München 2013, 256 Seiten mit 400 farbigen Abbildungen, 48 Euro.

bebe

Idylle und Plakate

Osterwochenende. Die Sonne scheint, die Dörfer zwischen Hagenow und Neuhaus im Norden sind herausgeputzt. Ostereier und -hasen grüßen in den Gärten. Eine Idylle – aus dem Fenster des vorüberfahrenden Autos gesehen. Bis der Blick auf die Laternenmasten fällt. Von jedem einzelnen Mast grüßt aus reichlicher Höhe die NPD mit markigen Sprüchen, die zum Beispiel Solidarität mit der Oma fordern, nicht mit Sinti und Roma. Die Idylle ist zerstoben. Der Europawahlkampf per Plakat hat begonnen und die NPD hat erstmal Land erobert. Nicht nur im Norden – wie mir auf der Rückreise im Brandenburgischen auffällt. Plakatwerbung von politischen Parteien stehe ich nicht so aufgeschlossen gegenüber, aber das relativiert sich, wenn auf einmal – wie gesehen – nur die NPD präsent ist.

Margit van Ham 

Schaukel auf der Kippe

„Einheits-Schaukel auf der Kippe“ hat die Berliner Zeitung einen Bericht über Probleme bei der Erstellung des geplanten Einheits-und Freiheitsdenkmals nahe dem grade wiedererstehenden Berliner Stadtschloss überschrieben du dabei einige jener Probleme aufgezeigt, die derzeit zumindest am termingerechten Gelingen des Projektes zweifeln lassen. Das dürfte eine sehr kurzsichtige Beurteilung besagten Bauvorhabens sein. Zum einen spiegelt das Gefälle dieser Betonwippe durchaus die soziale und politische Schieflage dieser Gesellschaft. Dass sie zum anderen – jedenfalls nach derzeitiger Konstruktion – nicht für alle (Rollstuhlfahrer) erreichbar ist und jetzt schon erheblich mehr kosten wird als geplant – sinnfälliger für die deutsche Einheit kann ein Denkmal doch kaum sein.

HWK

Blätter aktuell

Der Euro scheint stabilisiert und Griechenland kehrt zurück an die Finanzmärkte: Man könnte den Eindruck gewinnen, Merkels Sparkurs habe Erfolg. Doch die Journalisten Cerstin Gammelin und Raimund Löw weisen minutiös nach, dass die Krise nur unter großer Gegenwehr Deutschlands bekämpft werden konnte –  und dank des Einsatzes der EZB. Bis heute stünden deutsche Interessen einer effektiven Krisenbewältigung im Wege.
Während im Zuge der Krimkrise der russische Präsident Putin als Inkarnation skrupelloser Machtpolitik dargestellt wird, erscheint Michail Chodorkowski als Lichtgestalt. Doch was hat es wirklich mit dem einstigen Oligarchen auf sich? Felix Jaitner, Mitglied der Forschungsgruppe Osteuropastudien an der Universität Wien, zeichnet ein anderes Bild Chodorkowskis – nämlich dessen unternehmerischen Aufstieg in den gesetzlosen Jahren nach dem Ende der Sowjetunion und seine nationalistischen Positionen.
Ungeachtet der krisenhaften Lage in vielen Regionen der Welt bleibt die hegemoniale Stellung der USA unangetastet. Den Grund dafür sieht Mohssen Massarrat, emeritierter Professor für Wirtschaft und Politik, in der unangefochtenen Rolle des US-Dollars als globaler Leitwährung – über die nicht zuletzt auch der Handel mit Öl, dem Treibstoff der Weltwirtschaft, abgewickelt wird. Seine These: Um die Macht des Dollars und damit die Hegemonie der USA zu verteidigen, setzen diese speziell im Nahen und Mittleren Osten auf eine Strategie der gezielten Destabilisierung.

Dazu weitere Beiträge – unter anderem: „Deutschland ewig Kohleland: Energiewende in der Sackgasse?“, „Die NPD vor Straßburg“ sowie „NSU: Prozess ohne Aufklärung“.

am

Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Mai 2014, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet: www.blaetter.de

Das Fahrrad, der beste Freund

Die Zeit ist reif, dass man wieder seinen Drahtesel aus dem „Stall“ holt und damit durch die Lande fährt. Dabei muss der Fahrradfahrer noch nicht einmal die Straßen benutzen, denn in allen nur möglichen Landstrichen gibt es ganz hervorragend ausgebaute Radwege. So könnte ein sportlich Begeisterter sogar die Länder Franken, Bayern und Thüringen mit einem kühnen Ritt bewältigen. Wenn alle Radkarten, Unterkünfte und Ersatzteile besorgt sind, das Fahrrad auf dem neuesten Stand ist, kein bisschen Öl und Luft mehr fehlt, dann noch schnell die sieben Sachen gepackt und der Sonne entgegen gestrampelt. Natürlich sollte der willige Radler auch mal zwischen den Etappen eine kleine Pause einlegen, seinen Allerwertesten auf kleine Schäden untersuchen und sich ansonsten an heimischen Getränken und Speisen laben. Ein bis drei Bierchen dürfen schon gezischt werden. Wer nicht ganz weg vom Buch kommt und sogar etwas zu lesen mitnehmen will, dem sei vor, während oder nach der Radtour das handliche und ganz hervorragend gestaltete Buch „Fahrradspaß“ empfohlen. Auf über 156 Seiten gibt es an Text alles, wo auch nur das Wort Fahrrad vorkommt. So berichtet der deutsche Schriftsteller Hans Fallada (1893-1947) über sein neues Rad und der russische Autor Leo Tolstoi(1828-1910) erklärt noch einmal, wie der mutige Mensch das Rad fahren lernen kann. Herrlich witzig und nach so vielen Jahren immer noch spritzig die Satire von Karl Valentin. Überhaupt nicht schlechter Kurt Tucholskys Bericht über 1.372 Fahrräder. Mal nennen die Dichter in diesem Buch ihr Fahrrad den besten Freund und dann wieder wird geschimpft, dass es eine Freude ist: „Ja, mit so eim scheiß Electroradl fohr i do a so hoch!“Schließlich fährt Franziska Wolffheim mit dem Rad durch Paris und der lustige Hans Zippert stellt fest, dass für Fußgänger mit Fahrrad andere Regeln gelten. Abgerundet wird das flotte und gut lesbare Buch durch einige Gedichte (Thomas Gsella, F.W.Bernstein), die dem Buch noch etwas Stimmung verpassen und manch schwerer Etappe die nötige Power geben.

Thomas Behlert

Fahrradspass. Geschichten und Gedichte, Hrsg. Alexander Kluy, Reclam Verlag Stuttgart, 10 Euro.

Bärchen an der Front

Da macht sich die Welt nun Sorgen um die Ukraine samt Umgebung oder um Venezuela, Syrien, Zentralafrika… Alles nur Ablenkungsmanöver für das unbedarfte Publikum. Denn dort, wo es im Kampf um´s Recht richtig zur Sache geht, sind noch viel härtere Bandagen angesagt, allerdings – das gehört der Gerechtigkeit willen angemerkt – immerhin auf das Feld juristischer Kriegführung beschränkt. Die Rede ist von jenem Feldzug, den Haribo gegen Lindt führt und bei dem es darum geht, ob der Schweizer Schokoladenmogul mit der Gestalt seines Schoko-Teddys die designerischen Rechte von Haribo und dessen Gummibärchen verletzt. Keine Frage, dass diese Auseinandersetzung von allerhöchster Brisanz ist. Keine Sau würde zumindest mittelfristig mehr ein Gummibärchen kaufen, wenn ein ähnlich Geformtes aus Schokolade am Markt wäre und bleiben dürfte.
Eigentlich sind deutsche Gerichte mit Fällen dieser Größenordnung Tragweite eh überfordert. Nun hat sich aber das Oberlandesgericht Köln, vermutlich aus Profilierungssucht, angemaßt, in diesem vertrackten Fall ein Urteil zu sprechen. Und dies ist nicht im Sinne von Haribo, denn: „Die Ähnlichkeit der Produkte sei zu gering, um eine Verletzung der Markenrechte von Haribo zu begründen“, hat der der Vorsitzende Richter des 6. Zivilsenats Hubertus Nolte befunden.
Dass es bei diesem Justizskandal nicht sein bewenden hat, versteht sich für einen Rechtsstaatler allemal. Und folgerichtig ist bereits der Gang an den Bundesgerichtshof angekündigt.
Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens dort ein schiedliches Urteil gefällt wird, denn sonst droht Europa ein neuer Konflikt, bei dem selbst der Einsatz von Blauhelmen im Areal zwischen Bonn und dem zürichnahen Kilchberg denkbar wäre. Besser aber, man einigt sich zuvor friedlich. Ähnlich wie es kurz nach der ostdeutschen Wende in Leipzig der Fall war, wo ein Leipziger Taxiunternehmen sich die allgemeine Rufnummer 4711 zugelegt hatte, dafür vom einschlägigen Geruchsunternehmen in Köln mit einer Klage belegt wurde und dieser explosive Konflikt immerhin durch den vernunftgetragenen Rückzug der sächsischen Logo-Piraten ohne Blutvergießen gelöst werden konnte.
Sofern übrigens Gummibären und/oder Lindt-Bärchen teurer werden sollten, wäre beim Wehklagen darüber zu bedenken, dass solche Prozesse die involvierten Unternehmen einen Haufen Kohle kosten und diese um den Preis des marktwirtschaftlichen Ruins dann halt umgelegt werden müssen.

Hella Jülich

Wirsing

Anhänger des großen Schriftstellers Gabriel Garcia Márquez, die befürchtet hatten, dass es bei seiner Beisetzung unfeierlich zugehen könne, beruhigte Deutschlandradio Kultur: „ In seiner Wahlheimat Mexiko wird heute bei einer feierlichen Trauerfeier an den Literaturnobelpreisträger erinnert.“

Wie der Sender weiter mitteilte, ist in den USA auch eine „Symbolfigur für Rassismus“ von uns gegangen. Wer war es, der nachhaltig für Rassismus warb, dass er zur Symbolfigur werden konnte? Ein Politiker? Ein Polizeipräsident? Nein, es war der farbige Boxer Rubin Carter, der 1967 zu Unrecht wegen Mordes an drei Weißen verurteilt wurde. Erst 19 Jahre später wurde das rassistisch motivierte Urteil aufgehoben. Carter jedenfalls  hat sich leider immer nur gegen Rassismus eingesetzt, aber nie für die Regeln der deutschen Sprache.

Fabian Ärmel

Dummheit auf Reisen

Dummheit ist international, keine Frage. Wenn sie aber extrem daherkommt und durch Landsleute verkörpert wird, kommt man am Fremdschämen kaum vorbei. Beispiele dafür sind Legion, das folgende ist nur besonders aktuell: Ein (vermutlich) Niedersachse hat doch tatsächlich von einem Reiseveranstalter Schadenersatz eingeklagt, weil er sich bei einem Türkei-Urlaub durch die Rufe des Muezzins in seiner Nachtruhe gestört fühlte …
Pech für ihn, dass das Amtsgericht Hannover diese Klage abgewiesen hat. Anderenfalls hätten andere Idioten mit einem wunderbaren Präzedenzfall operieren können: Schadenersatz wegen zu großer Hitze etwa in Ländern der Tropen, wegen Eiseskälte am Nordkap, wegen Hähnekrähens zum Sonnenaufgang, wegen Musik bei Konzerten, wegen Sanddünen in der Sahara, wegen hohen Wellengangs an der See…
„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit“, hat Albert Einstein einst festgestellt und ergänzt: „Aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“

HWK

Café Jenseits

Hier kann ich
Noch rauchen
Im Jenseits
Am Heinrich
Rauch ich
Für den Frieden
Und Weihrauch
Steigt
Aus meiner
Zigarette
O Freiheit
Dein rauchiges
Gesicht hier
Ist noch dein Platz
Am andern Ort
Stellen sie dir
Den Stuhl vor die Tür
Indes
Die Tabakschnüffler
Ziehen schon
Ihre Kreise.

Peter Will