17. Jahrgang | Nummer 6 | 17. März 2014

Briefe in Zeiten des Krieges

von Mathias Iven

Dass vor einhundert Jahren der Erste Weltkrieg ausbrach, ist sicherlich nicht nur ein Untersuchungsgegenstand für Historiker. Und so schauen beispielsweise Literaturwissenschaftler darauf, wie sich Schriftsteller und Publizisten zur europäischen Urkatastrophe positioniert haben.
Nehmen wir Hermann Hesse: In dem soeben bei Suhrkamp erschienenen, von Volker Michels in wie immer hervorragender Weise kommentierten Band mit gesammelten Briefen aus den Jahren 1905 bis 1915 finden sich immerhin 70 Schreiben aus der Kriegszeit. – Obwohl er bereits zwei Jahre in der Schweiz lebte, war Hesse zu Beginn des Krieges immer noch deutscher Staatsbürger. So wird verständlich, warum er sich Ende August 1914 bei der deutschen Gesandtschaft in Bern als Kriegsfreiwilliger meldete. Es war allerdings weniger die allgemeine Kriegseuphorie, die Hesse dazu veranlasste, sondern die Hoffnung, dass sich die von Willkür und sozialen Spannungen geprägten gesellschaftlichen Verhältnisse durch den Krieg ändern könnten. „Aus dem blöden Kapitalistenfrieden herausgerissen zu werden, tat vielen gut“, bekannte er Ende 1914 gegenüber dem Schweizer Dirigenten und Komponisten Volkmar Andreae. „Das gefällt mir eigentlich an diesem phantastischen Krieg, daß er gar keinen ,Sinn‘ zu haben scheint, daß es nicht um irgendeine Wurst geht, sondern er die Erschütterung ist, von der ein Wechsel der Atmosphäre begleitet wird. Da unsre Atmosphäre einigermaßen faul war, kann der Wechsel immerhin Gutes bringen.“ Auch in seinem im März 1915 in der Wiener „Zeit“ erschienenen „Offenen Brief an einen Verwundeten“ sprach er von der Hoffnung auf einen Wandel: „Es tauchen vermutlich nach diesem Kriege Gelegenheiten und Stimmungen zu Neuordnungen im staatlichen Leben auf, die nicht wiederkommen werden, zumindest für uns nicht. Die wollen wir nutzen.“
Das sind noch nicht die Worte des späteren Kriegsgegners Hesse, der – wie viele andere seiner Kollegen – schon bald in seinem Schreiben beschränkt werden sollte. Konkret hieß das, dass der gefragte Rezensent in der Tagespresse nichts mehr besprechen sollte und alles in seinen „Bücheranzeigen gestrichen werde, was von Russen, Franzosen, Belgiern, Engländern, Japanern stammt“. Für Hesse ein harter Schlag – auch seine finanzielle Situation betreffend. Doch er blieb sich treu: „Zum Glück hängt das, was ich an Glauben und Philosophie in mir habe, so wenig an Zeitlichem, daß nichts davon erschüttert werden konnte. Insofern bin ich heil geblieben. Sonst aber ist unsereiner, der dem Betrieb der Welt fernsteht, jetzt isolierter als je.“ Zwölf Monate später, am 1. Weihnachtsfeiertag 1915 dann die Feststellung: „Wer für geistige Werte arbeitet, wird immer sowohl die Hurrahpatrioten wie die Portemonnaie-Patrioten gegen sich haben und sehr oft sind beide in einer Person vereinigt. Lassen wir sie laufen!“
Im Gegensatz zu vielen anderen Schriftstellern, die den Krieg überschwänglich begrüßten, verließ Hesse, der als untauglich zurückgestellt ab 1915 gemeinsam mit Richard Woltereck die Bücherzentrale für deutsche Kriegsgefangene leitete, die anfängliche Begeisterung sehr schnell. Er geriet mit der Umwelt und sich selbst in Konflikt. Es begann für ihn ein Leben in einer „scheußlichen Umgebung“. Überall war er den Widrigkeiten der deutschen, neutralen oder feindlichen Diplomatie ausgesetzt. Die Luft um ihn „her war ein einziges Netz von Spionage und Gegenspionage, von Spitzelei, Intrigen, politischen und persönlichen Geschäftigkeiten“. Mehrmals bekam er Probleme wegen seiner friedensliebenden Äußerungen.

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Machen wir einen Zeitsprung. – Nach dem Ersten Weltkrieg zog Hesse einen Schlussstrich unter sein bisheriges Leben. Die Abkehr von der Vergangenheit, von den alltäglichen und familiären Sorgen und Unwägbarkeiten fiel ihm nicht schwer. Im Frühjahr 1919 fuhr er nach Lugano, von dort ging er nach Sorengo und fand in Montagnola schließlich das, was er suchte. Hesse war 42 Jahre alt, noch einmal so lange sollte er in diesem Ort leben …
Zu seinem neuen Bekannten- und Freundeskreis zählte bald schon das Ehepaar Bodmer. Auch sie waren erst 1919 ins Tessin gekommen. Vor allem bei der in Basel geborenen Malerin Anny Bodmer holte sich „der Alte vom Berg“ immer wieder Rat und Unterstützung bei der Bewältigung der „Sorgen und Geschäfte des Augenblicks“. Taten sich doch gerade im Zusammenhang mit seiner Scheidung und der Versorgung der drei Söhne wiederholt unüberwindbar scheinende bürokratische Hürden für ihn auf. Hermann Bodmer hingegen, der in Locarno eine Chefarztstelle bekleidete, wurde von Hesse in gesundheitlichen Dingen um Rat gefragt: „Caro Dottore! Ohne Eile erbittet der ergebenst Unterfertigte Ihren geschätzten ärztlichen Rat samt Zaubermittel, so es sein kann.“
Nur ein gutes Jahrzehnt währte der vor allem mit Anny Bodmer gepflegte intellektuelle Gedankenaustausch. Ihr 48. Geburtstag lag gerade erst hinter ihr, als sie kurz vor Weihnachten 1930 starb. Auch wenn sich in den zurückliegenden Jahren ihre physische und psychische Konstitution zunehmend verschlechtert hatte, so kam ihr Tod doch völlig unerwartet. Bereits ein Vierteljahr darauf veranstaltete die Kunstgesellschaft Locarno eine ihr gewidmete Gedächtnisausstellung. In seiner aus diesem Anlass geschriebenen Betrachtung fasste Hesse die Freundschaft zu ihr in die Worte: „Wir werden diese schönen Bilder weiter lieben, wo immer sie uns begegnen und werden uns bei ihnen der kleinen Malerin Anny Bodmer erinnern. Als eines Menschen von seltener Anmut und Wärme, eines vornehmen Menschen, der einen großen Teil der Problematik unserer Zeit in sich erleben mußte und doch darüber nicht den Glauben und die innere Einheit verloren hat.“ –
Jürgen Below hat die umfangreiche, fast vollständig überlieferte und bis dato unveröffentlichte Korrespondenz zwischen den Bodmers und Hesse in Buchform gebracht. Veröffentlicht wurde das Ganze im Hamburger Igel Verlag, der – nach einem Band mit dem Briefwechsel zwischen Hermann Hesse und Wilhelm Kunze – damit eine weitere, für die Hesse-Forschung wichtige Quellensammlung vorlegt. Mit Einführungstexten und umfangreichen Kommentaren versehen, liest sich der Band von Below fast schon wie eine Hesse-Biographie der Jahre zwischen 1919 und 1930. Er erlaubt zugleich aber auch einen Blick zurück auf das Leben einer in Vergessenheit geratenen Malerin.

Hermann Hesse:„Aus dem Traurigen etwas Schönes machen“. Die Briefe, Band 2 (1905–1915), Suhrkamp Verlag, Berlin 2013, 636 Seiten, 39,95 Euro.

Hermann Hesse: „Sonne und Mond seien freundlich zu Ihnen, liebe Freundin!“. Der Briefwechsel mit Anny und Hermann Bodmer, Igel Verlag, Hamburg 2013, 299 Seiten, 24,90 Euro.